Wiege und Grab

Gedicht zum Thema Melancholie

von  ViktorVanHynthersin

I.
Geboren 1894 im Sturm der Nacht,
aufgewachsen hinter den Deichen,
der Vater ein Fahrensmann,
die Mutter Plätterin beim Deichgraf.

Die Brüder Jan und Arne
hätten unterschiedlicher nicht sein können.
Kräftig, unbeugsam, gewitzt war Jan,
schwach, anhänglich, schüchtern der Arne.

Und doch
gingen sie ihren Weg,
gemeinsam,
bis in den Tod.


II.
Jan, der Bagalut
konnte Knoten knüpfen
bevor er zwei Jahre wurde,
lief schneller als der Wind.

Arne, der Kiekinnewelt
besuchte nie eine Schule,
beherrschte aber Lesen und Schreiben,
liebte das Wort und Theodor Storm.

Jan lies sich Störtebeker nennen,
liebte Spuk- und Spökergeschichten.
Arne wollte Godenwind gerufen werden,
schrieb Liebesgedichte für Agda.

Beide ahnten nichts
vom beginnenden Krieg,
von ihrem Schicksal,
das die See noch heute birgt.


III.
Der Kaiser rief und sie wurden
Janmaaten seiner Majestät,
Artelleristen unter Kapitän Reiss
auf der SMS Wiesbaden.

Sie liebten die raue See,
den Vater, die Mutter, den Bruder
die drallen Huren im Hafen
und das Heimatland.

Die Mannschaft wuchs zusammen
Freunde fanden sich
so wie Johann Wilhelm und Arne.
Doch die Uhr tickte, unerbittlich.

Ihr Kreuzer sank am 1. Juni 1916
in der Skagerrakschlacht.
589 Kameraden starben
nur Oberheizer Hugo Z. überlebte.

Das Meer war ihre Wiege
ihr Leben, ihre Liebe,
ihr Schicksal, ihr Tod
und ihr nasses Grab.



Erklärungen:

Fahrensmann: Seemann

Plätterin: Hausmädchen, das für das Bügeln zuständig ist

Bagalut: junger Rüpel

Kiekinnewelt: Verträumter Junge

Störtebeker, Klaus (1360-1401): Heldenhafter Seeräuber

Spuk- und Spökergeschichten: Spuk- und Geistergeschichten aus Norddeutschland

Godenwind: Guter Wind (frei übersetzt)

Janmaaten: Matrosen

SMS Wiesbaden (Kleiner Kreuzer):   Seiner Majestät Schiff Wiesbaden

Johann Wilhelm (Kinau, 1880-1916): Deutscher Dichter, bekannt als  Gorch Fock

(Ober)-Heizer: Schiffsmaschinist


Anmerkung von ViktorVanHynthersin:

Mein Dank gilt Sigrun für Ihre tatkräftige Unterstützung.

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Kommentare zu diesem Text


 sensibelchen13 (13.09.11)
Auch ich mag ihn, den Theodor Storm.
Nachdenkliche Zeilen.

Lieben Gruß
Helga

 irakulani (13.09.11)
Lieber Viktor, wie erwartet, bleibt dein Zyklus weiter spannend.
Sprachlich und inhaltlich gleichermaßen gelungen, bis ins Detail abgestimmt, lädt er den Leser ein, sich auf die Geschichte der beiden Brüder und die weiteren Teile zu freuen.

Vielen Dank auch für deine Anmerkungen, die sicher dem Einen oder Anderen das Verständnis erleichtern.

Mast und Schotbruch dem Kapitän der Worte,
aufgewühlt wie das Meer,
Ira

 moonlighting meinte dazu am 16.09.11:
....ich schließe mich der Ira an.....

LG
Moonlight

 EkkehartMittelberg (13.09.11)
"Aquis submersus", diese Novelle Storms spielt auf dem Binnenland, deine auch auf der See. Es ist jetzt schon absehbar, dass sie nicht minder gut ist, Viktor.
Theodor winkt dir aus dem Dichterhimmel zu und ich bin gespannt auf die Fortsetzung.
Herzliche Grüße
Ekki

 Songline (13.09.11)
Toll erzählt. Das gefällt mir sehr und ich sehe mir die anderen Teile sicher auch noch an.
Liebe Grüße
Song
KoKa (43)
(13.09.11)
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chichi† (80)
(13.09.11)
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 Martina (13.09.11)
Schließe mich den anderen an, ansonsten müsste ich es wiederholen.... =) Lg Tina.

 Fuchsiberlin (13.09.11)
Ohne viel Worte... Ich bin einfach beindruckt.

GlG
Jörg
SigrunAl-Badri (52)
(13.09.11)
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Wellblecheisenbahn (39)
(13.09.11)
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