Plötzlicher Kindstod

Kurzprosa zum Thema Kinder/ Kindheit

von  RainerMScholz

Illustration zum Text
(von RainerMScholz)
Ich sitze in der Wanne und das Wasser ist lauwarm. Der Badeschaum ist zerflossen. Langsam wird mir kalt. Ich bin allein. Ich sehe an die blauen Kacheln und lächele. Von der Decke hängt eine nackte Glühbirne, die strahlt mir ins Gesicht. Nasse Handtücher liegen auf dem Boden herum. Der Föhn hängt an der Wand, das Kabel baumelt lose. In der Ecke liegt meine Ente. Die habe ich vergessen mitzunehmen. Es wird kalt. Und ich habe Hunger. Und Durst. Ich habe schon sehr lange Hunger. Eigentlich ist der Hunger das erste Gefühl, an das ich mich erinnern kann und das immer geblieben ist. Neben dem anderen Gefühl. Die Erinnerung an den Schmerz. Die Scham. Ich bin vier Jahre alt, sitze alleine in der Wanne mit dem erkaltenden Wasser und sehe auf die blauen Kacheln. Und das Rosarot, das zwischen meinen Beinen hervor in das Badewasser sickert. Ich kenne den Hunger und den Schmerz und das Gefühl, wenn der Mann nett zu mir ist. Dann sickert das Blut wieder. Dann stillt er meinen Hunger mit dem weißen Saft, der klebt und riecht. Der stinkt. Papa stinkt. Und Mama ist nie da. Sie ist zwar da, doch irgendwie auch nicht. Dafür ist der Mann immer da. Der Papa ist. Sein Saft ist warm und das Wasser ist lau. Mau Mau. Mau Hau Sau. Hau die Sau.
Es wird kalt und ich sehe mir noch einmal die Kacheln an. Ich habe die Augen unter Wasser weit geöffnet und bald halte ich die Luft nicht länger an. Es ist blau. Dunkelblau.
Dann immer dunkler.
Dann schwarz.
So schwarz wie der Himmel.
Ich habe meine gelbe Ente vergessen.
Der Himmel ist schwarz.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text

Jack (33)
(18.11.11)
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 princess (18.11.11)
Das ist ein guter Text zu einem schwierigen Thema. Ich bin unmittelbar in der Perspektive dieses Kindes, das da in der Badewanne sitzt und eine nüchterne Bilanz seines jungen Lebens zieht. Einige Formulierungen wie
Dann stillt er meinen Hunger
dürften dem Wortschatz eines Vierjährigen nicht entsprechen, andere wie
Mau Mau. Mau Hau Sau. Hau die Sau.
führen mich sehr intensiv in das, was hier geschieht.

Was mir nicht so gut gefällt ist die Wahl des Titels
Plötzlicher Kindstot
(Bitte mit *d*, Kindstod). Diese Diagnose bezieht sich auf das unerwartete Sterben von Säuglingen im ersten Lebensjahr. Diesen Tod mit dem hier skizzierten Tod begrifflich zu verknüpfen, für mein Gefühl passt das nicht.

Liebe Grüße, princess

 RainerMScholz meinte dazu am 18.11.11:
Danke für das d. Ich denke, als transzendenter Hinweis passt der Titel schon, auch wenn ich schon bessere hatte.
Bis dahin, Grüße,
R.
Gedankenwut (21)
(08.04.12)
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 RainerMScholz antwortete darauf am 10.04.12:
Statistiken interessieren in diesem Zusammenhang nicht, das stimmt.
Dank und Gruß,
R.

 Dieter_Rotmund (30.07.20)
Sehr dröge, Rainer!
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