Tilde oder: der Fuchs mit dem Hut

Kurzgeschichte zum Thema Glück

von  Judas

Dieser Text ist Teil der Serie  Tilde.
Ich fragte mich, wie er mit diesen Pfötchen überhaupt einen Joint drehen konnte. Ohne Daumen, ohne abspreizbare Finger, naja aber es liegt nicht an mir, Pfötchen in Frage zu stellen, nicht diese Pfötchen.
Der kiffende Fuchs zog seinen Hut tiefer ins Gesicht, das Abendlicht fiel auf die Seite.
„Wer baut, der haut“, sagte er und zündete den Joint an. 'Stimmt nicht', dachte ich und sah zu, wie auf der anderen Straßenseite ein Architekturstudent von vier Nazis zusammengeschlagen wurde und sagte: „Lass uns lieber verschwinden.“
„Ok“, sagte der kiffende Fuchs, aschte ab, schnippte und wir verschwanden.

„Ich hab' mich einfach so gebeamt“, sagte der kiffende Fuchs und lächelte selig. 'Einfach so ist gut...', dachte ich grün im Gesicht, sagte aber nur „üäarg“ während ich meinen Mageninhalt auf dunkle Ackererde kotzte.
„Dass du vom Beamen immer kotzen musst“, beschwerte sich der kiffende Fuchs kopfschüttelnd und gab mir den Joint. Ich zog dran. Der Rauch vertrieb den sauren Geschmack in meinem Mund. „Das ist weil du das Beamen immer übernimmst“, wehrte ich mich trotzig, „Wenn ich selbst beamen könnte ey... ich würd' so beamen.“
Der kiffende Fuchs lachte bellend und fragte mich nach dem Glück. „Gute Frage“, sagte ich und wir sahen uns um. Er und ich wir saßen auf einem brachen Feld. Neben uns stand ein dürrer Baum. Es war Nacht. Zwei Eulen sagten „schuhu“ meinten aber 'Guck mal die beiden da, guck mal da..., wie bekifft die doch sind.' Kurz darauf packten sie ihre Eulenköfferchen und flogen nach Athen. Am Horizont leuchtete ein Atomkraftwerk hämisch in die Dunkelheit.

„Als ob der Strom aus der Steckdose kommen würde“, sagte der kiffende Fuchs. Ich schnipste den Jointstummel Richtung Atomkraftwerk.
„Hat das auch was mit Glück zu tun?“, fragte ich.
„Ich glaube nicht“, sagte er.
Ich überlegte, ob Atomkraftwerke mich glücklich machen und kam zu keinem schlüssigen Ergebnis. Dann überlegte ich, warum es so vielen Menschen schwer fällt, glücklich zu sein.
„Nagut“, sagte ich, „Ist bestimmt schwierig glücklich zu sein, wenn man grade von vier Nazis zusammengeschlagen wird.“ Der kiffende Fuchs hob den Kopf. „Oder wenn man furchtbar paranoid ist und alles im Leben zerdenkt“, sagte er. „Bist du denn paranoid?“, fragte ich ihn. „Nein“, entgegnete der kiffende Fuchs kopfschüttelnd, „Aber das heißt nicht, dass mich niemand verfolgt.“
„Naja“, fuhr ich fort, „Es ist sicher schwierig glücklich zu sein, wenn man immer so viel entscheiden muss. Einfach so vor sich hinleben wie man will... das ist eben einfach nicht drin!“

Der kiffende Fuchs nickte und drehte den Kopf. Ich folgte seinem Blick mit meinem. Aus dem Schatten der Nacht kamen zwei Gestalten auf uns zu. Ein großer, dicker Mann und ein kleines, dünnes Pferd. Der Mann blieb vor uns stehen. Er hielt in der einen Hand das Pferd an den Zügeln und in der anderen Hand ein Gewehr. Seine Bartstoppeln waren grau. In seinen alten, dunklen Augen lag eine unheimliche Tiefe.
„Eine gebrochene Seele“, sagte ich ehrfürchtig.
„Seele ist nicht so mein Wort“, erwiderte der Mann. Langsam drehte er sich um und starrte zu dem Atomkraftwerk. Es leuchtete grün und in der Ferne und warf irrlichte Schatten auf sein Gesicht.
„Wenn die Maschinen gestoppt sind, blutet das Pferd“, erklärte er uns. Dann ließ er den Kopf sinken und zog an uns vorbei und zog das Pferd mit sich.

„Das Pferd sieht nicht sehr glücklich aus“, sagte der kiffende Fuchs.
„Der Mann auch nicht“, erwiderte ich daraufhin.
„Er musste sich entscheiden, er musste so viel entscheiden. Ist bestimmt schwierig, auf diese Weise glücklich zu sein“, fügte ich noch nachdenklich hinzu.

Der kiffende Fuchs nahm seinen Hut ab und legte mir seine Pfote auf den Fuß. Er schwieg. Wir schwiegen beide. Wir schwiegen so lange, bis wir einen Schuss hörten. Kein Wiehern, kein Wimmern folgte.

Fuchs sah zu mir hoch. „Es ist eigentlich ganz einfach glücklich zu sein“, sagte er zu mir.
„Du musst nur entscheiden, was du mit der Zeit anfangen willst, die dir gegeben ist.“


Anmerkung von Judas:

Der Titel ist im Moment nur Platzhalter, aber der Beste, den ich finden konnte. Wikipedia sagt: "Die Tilde (~) (lateinisch titulus „Überschrift, Überzeichen“) ist ein schriftliches Zeichen in Form einer Schlangenlinie."

Außerdem: großen Dank an KoKa (RIP), Gandalf und einen Freund von mir, der hier aber nicht angemeldet ist, für das Ausleihen und Benutzen gewisser Zeilen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

KoKa (44)
(02.05.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Judas meinte dazu am 02.05.12:
Hallo KoKa!
Danke für deinen Kommentar :) Ausbaufähig wohl, ja. Ich fummel das ganze Wochenende schon am Text rum, entschied mich aber doch, ihn jetzt schon online zu stellen. Hilfe von Außen und so!
KoKa (44) antwortete darauf am 02.05.12:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Judas schrieb daraufhin am 02.05.12:
Klar, deshalb bin ich ja hier. Sind wir das nicht alle? :)
KoKa (44) äußerte darauf am 02.05.12:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Nomenklatur (63) ergänzte dazu am 02.05.12:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Judas meinte dazu am 02.05.12:
Bitteschön, steht jetzt im Anhang so lang das für KoKa ok ist :)
Nomenklatur (63) meinte dazu am 02.05.12:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
KoKa (44) meinte dazu am 02.05.12:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 RomanTikker (02.05.12)
Hey, ein neuer Judas! Wurde aber auch mal wieder Zeit. Hmmm, es fällt mir aufs Neue schwer, festzumachen, warum ich deinen Text mag, aber ich mag ihn. Besonders Installationen à la
„Wer baut, der haut.“, sagte er und zündete den Joint an. 'Stimmt nicht.', dachte ich und sah zu, wie auf der anderen Straßenseite ein Architekturstudent von vier Nazis zusammengeschlagen wurde.
bringen mich zum Schmunzeln. Und eine lyrische Welt, in der kiffende, beamende Füchse sowieso normal sind, ist mir eh sympathisch. Ich war da auch mal. Oder bin da immer noch. Oder komme da noch hin. Ist mir jedenfalls vertraut.
Und die Scahe mit dem Glück? Tja - wer baut der haut: im übertragenen Sinne stimmt es dann nämlich doch. Irgendwie.
Also, danke fürs Scheiben (und fürs wählen ;°)) und auf bald!
R

 Judas meinte dazu am 02.05.12:
Hihi ja, der Text ist voll von solchen Wendungen. Mich freut es, wenn er dir gefällt. Ich hoffe wir sehen uns beim Treffen. Oder bei der Kanzlerwahl ;)

 Dieter_Rotmund (03.05.12)
„Bist du denn paranoid?“, fragte ich ihn. „Nein.“, entgegnete der kiffende Fuchs kopfschüttelnd, „Aber das heißt nicht, dass mich niemand verfolgt.“

Lieber Judas, das ist uralt und nicht von Dir!

Ob ich ich von Kiffern lesen will, die über "Glück" palavern... eher nicht...

Trotzdem habe ich "Tilde" (obere Version) gerne gelesen, ist handwerklich nicht schlecht: flüssig und verständlich. Nur Kiffergeschwätz ist immer Unsinn.

 Judas meinte dazu am 03.05.12:
Lieber Dieter, das stimmt, aber ich kenne es nur als uralten, allgemeinen Ausspruch. Wüsste ich, von wem es ist, er/sie/es wäre ebenfalls im Kommentar erwähnt worden.

 Untergänger (14.06.12)
musste am Anfang an das Kängurumanifest denken.

"„Es ist eigentlich ganz einfach glücklich zu sein.“, sagte er zu mir.
„Du musst nur entscheiden, was du mit der Zeit anfangen willst, die dir gegeben ist.“"

da drängt sich die Frage auf, wenn Du wissen könntest, wieviel Zeit dir noch bleibt, würdest Du es wissen wollen?
und wenn Du es dann weißt, müsstest Du dann nicht besonders glücklich sein, weil Du ganz genau planen kannst, was Du mit der Zeit anstellen willst!?... muss ich mal drüber nachdenken.

mömmel,
Alfons

P.S.: ich würde wirklich gerne den genauen Zeitpunkt meines Todes kennen... ich glaube, das wäre toll.

 Judas meinte dazu am 14.06.12:
Aber wenn man den Zeitpunkt seines Todes kennt... kann man das nicht manipulieren? Zum Beispiel indem man sich vor 'nen Bus wirft und ruft "Haha, Schicksal, nimm das!"

Die Zeit jedenfalls ist uns immer gegeben. Shit egal, ob wir wissen, wieviel von ihr noch bleibt. Fakt ist, da man das nicht weiß, lohnt sich doch ein Leben im Jetzt. Oder? Oder. Muss ich auch mal drüber nachdenken :D

Danke für dein Vorbeikommen! Also hier, am Text. Apropo, kommst du zum kV-Treffen? Wäre toll.
(Antwort korrigiert am 14.06.2012)

 Untergänger meinte dazu am 14.06.12:
kV Treffen?
ich bin schüchtern. sehr sogar.

 Judas meinte dazu am 14.06.12:
Ich auch :D
Buster (30)
(05.07.14)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Judas meinte dazu am 05.07.14:
Für ein epischer Theaterstück, vergiss das nicht! :D Vielen Dank!

 Feliks Gershon Bokser (02.04.21)
Geil

 Judas meinte dazu am 02.04.21:
Danke :D Gibt auch Fortsetzungen!
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram