Realitätsverlust

Bild zum Thema Lebensbetrachtung

von  Fuchsiberlin

Beim Aufstehen beginnt wieder einer jener Tage, an dem ich auf die Uhr schaue, und mich frage, was ich in den nächsten Stunden tun werde.

Ein anderes Ich in mir vergittert gerade das Fenster, trotzdem könnte ich aus diesem verglasten Blickquadrat springen. Dritter Stock, unten Asphalt, und alle dreieinhalb Minuten ein Fußgänger. Die Stadtreinigung kommt um 11:26 Uhr.

Vielleicht sollte ich im Innenhof zündeln, und mich an einem Lagerfeuer erfreuen. In fünf Minuten wäre die Feuerwehr vor Ort, und die Polizei würde mich, dank einer Um- die-drei Ecken-Nachbarschaft, in drei Minuten irgendwo hinbringen, und aus irgendeinem mir unbekannten Mund könnten mir Fragen entgeggengeschleudert werden, deren Antworten sich in einer Warteschleife "Bitte-warten-sie, wir-sind-gleich-für-sie-da" befinden .

Stop! Den emotionalen Streß im Alltag kann ich auch so nicht umgehen, geschweige denn diesen auf die beschriebene Art und Weise verhindern. Erzähle mir bitte nix vom Mann auf dem Mond, mir reicht der in einem Ohr.

Huch, ich könnte mir im Baumarkt auch eine Farbe kaufen, ein Anstrich in Orange für meine komische Welt. Oder ich besorge mir im Lebensmitteldiscounter Bio-Eier, und vergrabe sie unter einer Bank am Ufer der Havel. Ei-Bestattung, ganz anonym.

Nun erscheint in meinem Kopf eine andere Gestalt. Diese findet meine Gedanken gut. Uff, ich merke gerade, dass ich den Kontakt zur Wirklichkeit verliere. Vielleicht sollte ich der Drogerie um die Ecke einen Besuch abstatten. Es kann ja sein, dass ich dort das Parfum "Realität" entdecke. Eine Rebellion erscheint mir an dem dortigen Ort eher unwahrscheinlich.

Oder aber, ich statte meinem Neurologen einen Besuch ab, denn mein Kopf schmerzt. Wie gut, dass er auch sein medizinisches Studium im Fach "Psychiatrie" erfolgreich abschloss. Meine Nachbarin ist übrigens noch heute der festen Überzeugung, dass ein Neurologe ein Irrenarzt wäre. Vielleicht sollte sie mal bei einem Psychiater einen Termin vereinbaren.

Das Wartezimmer bei meinem Neurologen/Psychiater wird, wie so oft, bis auf den letzten Platz besetzt sein.

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Kommentare zu diesem Text

Anne (56)
(11.10.12)
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 Fuchsiberlin meinte dazu am 13.10.12:
Liebe Anne,

ich empfinde es sogar als wichtig, der Realität auch einmal zu entfliehen. Manchmal kann dies auf manch einen Außenstehenden als "verrückt" empfunden werden. Doch das Wort "verrückt" drückt eine umgangssprachliche persönliche Sichtweise des Einzelnen aus, so wie "irre".

Ick wünsche Dir een schönet Wochenende.
GlG
Jörg

 EkkehartMittelberg (11.10.12)
Jörg, sind die Wartezimmer von Neurologen/Psychiatern wegen Realitätsverlust so stark frequentiert oder wegen Klarsichtigkeit. Das ist die Frage, die du uns stellst.
LG
Ekki

 Fuchsiberlin antwortete darauf am 13.10.12:
Hallio Ekki,

das ist die Frage...Vielleicht wird manchmal auch erst beim Experten Klarsicht gewonnen, oder diese wird mit einer tiefen Verzweifelung dorthin getragen, oder aber der Realitätsverlust ist bei vielen stärker als Mensch es glaubt.

Lg
Jörg
SigrunAl-Badri (52)
(11.10.12)
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Steyk (61) schrieb daraufhin am 12.10.12:
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 Fuchsiberlin äußerte darauf am 13.10.12:
Liebe Sigrun und lieber Stefan,

wenn die verschiedenen "Ichs" in einem agieren, regieren und reagieren, dies aufgrund einer kaum aushaltbaren Realität, kann es durchaus zu einer Flucht vor der Wirklichkeit kommen, an deren Ende gar schlimmstenfalls ein Suizid stehen kann. Es kann jedoch auch eine Chance bedeuten, sich zu finden, zu erkennen, das Leben für sich auf der eigenen emotionalen und geistigen Ebene neu zu definieren und zu gestalten. Verzweifelung entsteht dann, wenn die Hilflosigkeit das Diktat über das eigene Ich übernimmt, und Außenstehende zuschauen, oder wegschauen.

GlG
Jörg
Möwe (63)
(11.10.12)
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 Fuchsiberlin ergänzte dazu am 13.10.12:
Ich danke Dir sehr:)

Lg
Jörg
fragilfluegelig (49)
(11.10.12)
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 Fuchsiberlin meinte dazu am 13.10.12:
Hallo,

ich denke, es existieren unzählige Realitäten, objektive als auch subjektive. Sog. "Verrückte" können anderen in einem tiefen See den Blick für etwas öffnen, was das eigene Ich bereichern kann. Das austauschbare Gesicht sucht die graue Kleidung im Schrank aus, und beraubt sich der Chance, das Leben, andere und sich auf eine interessante und intensivere Art und Weise kennenzulernen. Der Mensch ist mehr als ein Lebewesen auf zwei Beinen. Blau mag ich als Farbe auch:) Die Realität braucht Menschen, die sich nicht von ihrem Intellekt in ein Korsett der gemeinschaftlichen Alltäglichkeit zwängenn lassen.

Lg
Jörg
chichi† (80)
(11.10.12)
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 Fuchsiberlin meinte dazu am 19.10.12:
Ich danke Dir sehr, liebe Gerda:)

Ganz liebe Abendgrüße
Jörg
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