Der Kopierer

Kurzgeschichte zum Thema Alltag

von  Wortsucht

Innovation ist im Kleingewerbe gefragter denn je. Nachdem ich bereits mehrmals meinen Multifunktionsdrucker im Büro für Kopierarbeiten von Kunden benutzen musste, beschloss ich, ein Kundengerät zu beschaffen. Und die Ausgangslage war gut. Es gab nur einen einzigen öffentlichen Kopierer im Dorf – in der Post. Aber diese hat bekanntlich weniger lange Öffnungszeiten als mein Dorfladen.

Die Auswahl an Profigeräten war riesig. Sie konnten dieses und jenes. Eigentlich fehlt den Geräten nur noch die Kaffeproduktion. Ich schränkte die Wahl deshalb etwas ein. Drucken, kopieren, scannen, mailen, faxen, heften, falten, lochen. Dazu Schubladenstöcke für A4, A3, Fotopapier und Couvert.



Die Tatsache, dass dieses Gerät im Anschaffungspreis den Jahresmietpreis meines Ladenlokals um Längen schlug, liess mich nach einer günstigeren Variante Ausschau halten.



Der Verkäufer, ein schlauer Mann, bot an, ich könnte das Gerät erst einmal probehalber für einen Monat mieten. Der Kopierer wurde also geliefert und angeschlossen. Das Personal und ich wurden geschult und das grosse Geschäft konnte beginnen!

Der erste Kunde, der das Gerät entdeckte, war ein älterer Mann, welcher mir bereits bestens bekannt war. Naja, nicht als Lieblingskunde.

Er betrachtete die neue Maschine ausgiebig. Ich ignorierte ihn deutlich. Er durfte seine Fragen an eine Mitarbeiterin richten. Offenbar war er nicht restlos überzeugt. Jedenfalls drängte er mich in die Ecke und stellte seine Fragen.

Eigentlich war es mehr Kritik. Er hätte nicht herausgefunden, wie er mit der Maschine eine Faxnachricht versenden könne. Das neue Ding sei viel komplizierter als das alte und überhaupt wäre früher alles besser gewesen.



Das war mein Stichwort. Früher war alles besser? War es das wirklich? Ich stellte ihm genau diese Frage. Er bejahte und versuchte mir dies zu beweisen.

Er erzählte mir eine Geschichte von früher. Sein Vater, damals im Krieg. Die hätten damals noch etwas geleistet. Und schon damals konnten sie geheime Nachrichten übermitteln. Ohne, dass man einen Hochschulabschluss dafür brauchte.

Ich konnte ahnen, worauf er hinaus wollte und kürzte die Sache ab: „Sie meinen wirklich, eine Brieftaube würde ihr Blatt Papier zuverlässiger an den Empfänger übertragen, als mein Faxgerät?“

Er nickte etwas irritiert, aber meine Aussage schien seine Meinung zu reflektieren. Deshalb bewies ich ihm das Gegenteil und zeigte dem Mann, wie einfach das Versenden eines Faxes mit meinem neuen Multifunktionsgerät wirklich ist. Er schaute zu und fand keine Argumente mehr für die Brieftaube. Ausser den Preis. Diesen empfand er zu hoch, für so wenig Arbeit. Und beim alten Gerät sei es wirklich einfacher gewesen.

Als ich ihm erklärte, dass es hier noch gar kein anderes Gerät dieser Art hatte und er sicher jenes in der Post meine, konnte er es kaum glauben. Erst die Bestätigung einer anderen Kundin überzeugte ihn.

Ausser ihm benutzte niemand die Maschine und ich war froh, dass ich sie nach dem Probemonat zurückgeben konnte. Die Mietkosten für diesen Monat reuten mich zwar, aber ich war froh, dass ich mich nicht zu einem Kauf entschlossen hatte.



Und als hätte der Mann es bemerkt, stand er am darauffolgenden Tag im Laden und fuchtelte mir mit einem Blatt Papier vor dem Gesicht herum. Er wollte wissen, wo der Fax hingekommen sei.

Ich erklärte ihm, dass 100% der Kunden, die das Gerät benutzt hatten, etwas zu reklamieren gehabt hatten und ich deshalb die Maschine zurückgegeben hätte.

„Was soll ich denn jetzt bloss machen?“, jammerte er. „Die Post ist geschlossen und ich muss diesen Brief faxen!“

Ich grinste. „Ich wüsste da schon eine Lösung,“ sagte ich, „gehen sie doch zum alten Müller, der hat Brieftauben!“


Anmerkung von Wortsucht:

Aus der Serie: Der Dorfladen

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