"Wer ist Dein Ansprechpartner" wurde ich vor kurzem von einem Christen gefragt - da es im Buddhafharma keinen Schöpfergott an oberster Position gibt und sich der Christ offenbar wenig auskannte in nondualer Sichweise (heidnisch für sein Verständnis!). Das bewog mich, das Folgende zur Erklärung zu schreiben, die jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt:
Im tantrischen Buddhismus, der manchmal als der kurze Pfad (zur Erlangung von Klarheit) bezeichnet wird, bedarf es des persönlichen Lehrers, der kraft seiner Verwirklichung in einer zeremoniellen Einweihung einen Teil seiner Kraft auf den Schüler überträgt, welche diesem ein Befreien von Anhaftungen auf allen Seins-Ebenen ermöglicht.
Dieser "Rimpoche" (Kostbarer) genannte Lehrer gilt jedoch nicht mehr nur als spiritueller Freund, (wie in der Urform des "Theravada-Buddhismus aus den Tagen des historischen Buddha Sakyamuni) sondern er steht, als Angehöriger einer Linie, die in den weitergegebenen Methoden ungebrochen bis zum Buddha zurück reicht, für eine Ausstrahlung oder "Emanation" desselben. Das heißt, es wird ihm von Schülerseite die gleiche Verehrung zuteil, wie dem vollkommen Erwachten.
Übertragungslinien - mit voneinander abweichenden Schwerpunkten in den Praktiken, nicht aber in ihren Kernaussagen - gibt es in Tibet vier große: Gelugpas oder Gelbmützen, mit ihrem Oberhaupt, dem Dalai Lama; Kagyudpas oder Rotmützen; Nyinggmapas und Sakyapas, sowie einige kleinere.
Das Vajrayana oder Diamantfahrzeug, wie es genannt wird, mußte sich damals, als die Lehre nach Tibet kam, mit dem alten Zauberkult der Bön-Magier auseinandersetzen, was zur Folge hatte, daß vieles davon modifizierend in die Lehre einfloß.
In einer speziellen Anrufung - der so genannten "Zufluchtnahme" - visualisiert der Praktizierende seinen Lehrer als Buddha vor sich oder über sich auf einem Lotus sitzend. Dieser Lotus ist nicht eine witzig-exotische Vorstellung, wie einige Dualisten denken werden, sondern ist Symbol der reinen und vollkommen fehlerlos geordneten Energie, wie sie dem Auge der Seher im Raum erscheint und wie sie geistig entwickelten Wesen zueigen ist.
Auf dem Lotus liegt eine Mondscheibe, als Symbol der Reflektion seines Lichts, ganz im Sinne des Mondes, der das Licht der Sonne äußerlich reflektiert und im Gemüt durchs Empfinden.
Traditionell besteht die Visualisation bei der Zuflucht aus den drei Kostbarkeiten von Buddha, Dharma und Sangha:
Buddha ist der innere Zustand vollkommener, uranfänglicher Klarheit, wie sie in jedem Lebewesen potentiell und latent vorhanden ist. Jedes Leben besitzt die Buddhanatur.
Dharma heißt die traditionelle Lehre, die zur Klärung führt und
Sahgha ist die Gemeinschaft derer, die den Weg bis zur Klarheit gehen. Das ganze heißt dann manchmal wegen seiner Anordnung auch "Zufluchtsbaum," der aus einem mystischklaren See heraus wachsend vorgestellt wird, an dessen Ufer zahllose Menschen im Gebet versammelt stehen.
Ich möchte an dieser Stelle noch betonen, daß das Unbewußte eines jeden Lebewesens auf Bilder anspricht, nicht auf Intellekt und Logik, was man sich, anders als im Westen, hier auf besondere Weise zunutze macht. In der östlichen Tradition geht es um die komplette Verwandlung oder "Integration" des Unbewußten in die Präsenz bewußten Allgegenwärtigseins. Aus diesem Grund ist jedes Detail, jedes Symbol, Geste, Farbe tief bedeutsam und entschlüsselt sich mitunter erst im Laufe des Weges.
Man nimmt natürlich erst dann Zuflucht, wenn man die Lehre in ihren Grundzügen verstanden hat und ihr zu vertrauen beginnt. Hierzu gehort zum Beispiel auch das Verstehen von den drei Zuständen: Wahrheitszustand, Freudenzustand und Verwandlungszustand, wobei der letzte leichter zu verstehen ist, während der erste aufgrund seiner Verwandtschaft mit dem Raum sich aller Spekulation entzieht: Wahres währt, man kann es mit den Sinnen nicht erfassen, wohl aber durch das ewige Verwandeln ihr Wesenhaftes als organisch ordnend zur Gestalt hin erfahren.
Unter Freudenzustand wird das Entrücken aus der Welt der stofflichen Zwänge durch Ursache und Wirkung verstanden, eine sich mit dem Aufgeben von Anhaftungen steigernde Unabhängigkeit zum Freisein, frei und weit, wie der Raum, der ohne Eigendünkel ist. Das bedeutet jedoch nicht, daß einem die bedingte und als illusorisch erkannte Welt gleichgültig wird, was einer Flucht gleich käme, sondern das genaue Gegenteil ist die Folge: man wird zum tatkräftigen und furchtlosen Diener am Leben, oder, wie es heißt, zum mitfühlenden "Bodhisattva", zum Erleuchtungswesen und verzichtet auf die Seligkeit des Nirvana, jedenfalls solange, wie es noch Leid in der bedingten Welt gibt. Alle Wesen wollen glücklich sein, niemand will leiden - diesem Umstand trägt der Dharma Rechnung.
Die drei Zustände des Wahren, der Freude und steter Verwandlung - aus anderer Perspektive läßt sich von Essenz, Natur und Energiefluß sprechen - spiegeln sich auch in der Dreiheit von Körper, Sprache und Geist, mit denen man Zuflucht nimmt: Körperlich durch Verbeugung vor den Kostbarkeiten, sprachlich durch Anrufung und Rezitationen, sowie geistig durch die Praxis der Visualisierungen und anschließendes Verschmelzen mit dem für das Unbewußte aufgeladenen Bild, sowie Verdienstwidmung.
Zusammenfassung: ich visualisiere die drei Kleinodien über mir, bete zu ihnen um Segen für mich und alle Wesen, rezitiere das Mantra des Angerufenen, werde eins mit seinem Licht und spende am Ende der Meditation den Verdinst daraus dem Wohle und der Entwicklung Aller, ohne jemanden auszuschließen - das ist in etwa die Kurzform der Zuflucht innerhalb der Vajrayanapraxis, welche den Praktizierenden durch den Alltag begleitet. Fehlte das symbolische Verdienstspenden am Schluß, wäre es kein Buddhadharma.
"Mögen alle Wesen glücklich werden. Möge der Leidensstrom durch diese Praxis austrocknen."
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