Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Erzählung zum Thema Fremde/ Fremdheit

von  TassoTuwas

Ich hatte mich dem Strom der Ausgestiegenen angeschlossen. Der Blick zurück zeigte, es befanden sich nur noch wenige Fahrgäste in dem wieder anrollenden Zug. Den Koffer in der einen Hand, die Reisetasche in der anderen bereitete es Mühe den entschlossen vor mir her Eilenden zu folgen. Der Marsch durch die spärlich erhellten Gänge endete nach verwirrenden Richtungsänderungen vor einer Rolltreppe, einem hölzernen Ungetüm, dass mich knarrend und ächzend mehrere Stockwerke in die Höhe beförderte. Oben angekommen waren es nur noch wenige Schritte ins Freie.
Draußen empfing mich ein kühler Wind. Ich setzte mein Gepäck ab, um den Mantel zu schließen. Hinter mir hörte ich ein metallisches Geräusch, zwei Uniformierte der Underground zerrten die Scherengitter vor den Eingang, dann gingen die Lichter aus. "Glück gehabt..." dachte ich",...noch die letzte Bahn erwischt".
Ich sah mich um, meine Mitreisenden waren längst in die Dunkelheit eingetaucht, die Rücklichter einiger Automobiles verschwanden um die Ecke. Der Platz voller Leere versetzte mich in ungläubiges Erstaunen, ließ mich zweifeln. Sollte sie das wirklich sein, die singende swingende Weltmetropole, das wild pochende Herz einer ganzen Generation. Ernüchterung stellte sich ein. Nicht ein Taxi stand bereit, nun ja, wenn die letzte Bahn weg war, was sollten sie noch hier.
Ich steckte mir eine Zigarette an und überlegte wie ich dort hin kommen konnte, wo ein Bett auf mich wartete. Dann entdeckte ich das Halteschild für Busse. Also hieß es warten, irgendwann musste so ein roter Doppeldecker oder doch noch eine dieser altertümlichen Taxen vorbei kommen. Zuhause hätte ich mich jetzt auf die Suche nach einer Kneipe gemacht und zwei, drei Bier getrunken, hier schlossen die Pubs um elf die Türen ab. Ich seufzte.
Die Kälte kroch unter den Mantel. Dieser Bahnhofsvorplatz hatte in seiner milchig, trüben Beleuchtung, seiner Leblosigkeit etwas armselig Provinzielles. Ich schlug den Kragen höher und schnippte den Zigarettenrest in den Rinnstein. Was hatte ich mir nur dabei gedacht den letzten Flieger zu nehmen, in eine Stadt, die mit völlig fremd war, deren Eigenheiten und Rhythmus ich nicht kannte. Nicht einmal mit dem Hund war eine Menschenseele unterwegs, die ich hätte fragen können, und für die Telefonzelle auf der anderen Straßenseite fehle mir das Kleingeld. Ich vergrub die Hände in den Manteltaschen und wartete, ohne zu wissen worauf. 
Was vielleicht ging, ich konnte nach einem Haus suchen in dem noch Licht brannte, ich zögerte, verwarf die Idee ohne ein bessere zu haben, da rollte ein Wagen über den Platz, war vorbei, bremste, setzte zurück und nahm Kurs auf mich. Ein hochbeiniges viereckiges Gefährt von erheblichem Alter kam vor mir zum Halt. Ich atmete auf, um gleich darauf die Luft anzuhalten. Die Türen zu meiner Seit flogen auf und zwei Kerle kletterten heraus, die beim Austeigen gar nicht aufhören wollten größer zu werden. Ein Dritter blieb hinter dem Steuer. Die da auf mich zu kamen waren riesig und schwarz, so riesig und so pechschwarz, dass das Schummerlicht des Platzes noch weiter verblasste.
Der Kerl vor mir grinste auf mich herab, und kaute etwas hervor, dass sich wie die Frage anhörte, ob er mir helfen könnte. Ich nestelte den Zettel mit der Adresse meiner Unterkunft aus der Tasche. Er wandte sich an den Fahrer, der das Seitenfenster herunter gekurbelt hatte, ein paar kurze Sätze flogen zwischen den Beiden hin und her. Währenddessen hatte sich sein Begleiter zum Heck der Limousine begeben und den Kofferraum geöffnet. Der Hüne vor mir grinste breit, ließ etwas vernehmen, das einem "OK" ähnlich klang, gab seinem Begleiter ein Zeichen, der packte sich mein Gepäck und ehe ich begriffen hatte was vor sich ging, war es im Kofferraum verschwunden. Dann kletterten beide mit katzenartiger Gewandtheit in den Wagen und der mit mir gesprochen hatte machte eine eindeutige Handbewegung "Come on!"
Für einen Augenblick stand ich wie gelähmt, ich sollte einsteigen, zu denen und mitfahren, und dann? "Unmöglich", war mein erster Gedanke, der zweite, "Hol´s der Teufel", ich konnte die doch nicht mit meinen Klamotten abhauen lassen, ich musste mit. Kaum im Auto folgte der nächste zweifelhafte Verdacht, war ich gerade in eine Falle getappt? Ich hier, mitten in der Nacht, mit drei Unbekannten, schlimmer noch, mit zwei Meter großen Negern unterwegs. Und ich, ein Fremder, ein Ahnungsloser, was wusste ich von dieser Stadt? War London nicht eine Hochburg des Verbrechens? Saß ich in einer Gangsterkarre? Waren im Londoner Nebel nicht schon unzählige Touristen spurlos verschwunden? Ich starrte in die Nacht, finstere Nacht war es aber kein Nebel, ein Hoffnungsschimmer.
Unsinn sagte ich mir, hätten sie es auf das Gepäck abgesehen, warum wollten sie mich dann mitnehmen. Was als Beruhigung gedacht war führte zu einer erschreckenden Vermutung, doch nur um alle Spuren zu verwischen. War das der Plan? Vierzehn Tage konnte es dauern bis eine Leiche, die bei Putney Bridge in die Themse geworfen wurde, in den Docks wieder auftauchte. Mach dich nicht verrückt, schoss es mir durch den Kopf, du hast zu viele Kriminalfilme, gesehen, das sind drei junge Kerle, die aus Langeweile mit ihrer Karre durch die nächtliche Stadt kutschieren. Andererseits, war Langeweile nicht der Nährboden vieler Übel? Wie lange würde es dauern bis jemandem mein Verschwinden auffiel?  Ich musste unbedingt einen Weg finden, hier wieder heraus zu kommen.
Zum Überlegen kam ich nicht. Der Beifahrer machte sich über das Autoradio her, dann dröhnte "Radio Caroline" "Tears of a Clown" und "No milk today". Ironie des Schicksals oder hatte das etwas zu bedeuten? Verrückte Gedanken.
Der Fahrer und der, der mich am Bahnhof angesprochen hatte steckten die Köpfe zusammen, wohl über ihr weiteres Vorgehen. Es waren wirklich raffinierte Finsterlinge, durch den lauten Beat war es unmöglich zu verstehen, um was es ging. Sie besprachen einen Plan, das war klar. Ich drückte mich tiefer in die Polster als wenn das meine Lage verbessern würde. Ab und zu drehten sie sich gleichzeitig zu mir, mit einem Grinsen, das nicht zu deuten war.
Du musst freundlich bleiben, sagte ich mir und lächelte so gut es ging zurück, überlegte dabei, wer wohl der Anführer sein konnte, der Fahrer oder der, der mich vor dem Bahnhof angesprochen hatte. Der Dritte, der neben mir, mit Sicherheit nicht, der hatte die ganze Zeit kein einziges Wort gesprochen, der machte den Schweiger oder noch wahrscheinlicher, er war der fürs Grobe, der Handlanger. Mein Gott, Handlanger für was?
Nein, kleine Kofferdiebe waren die Drei auf keinen Fall. Sie trugen Anzug und Krawatte, die brauchten den Inhalt meines Pappkoffers nie und nimmer. Sahen eher feierlich aus, genau richtig um vertrauensseligen Leuten wie mir Harmlosigkeit vorzugaukeln, vielleicht hatten sie noch etwas Besonderes vor. Was, wenn sie zu Beispiel zu einer mitternächtlichen "Schwarzen Messe" unterwegs waren und was sollte ich dabei? Bestimmt nichts Gutes!
Beim nächsten Halt musste ich heraus springen. Es gab kaum Ampeln oder sie waren ausgeschaltet, die wenigen in Betrieb zeigten grün oder im Falle von rot ließ der Fahrer vor der Kreuzung ein paar Mal die Lichthupe aufblitzen und preschte durch. Danach freuten sie sich wie die Kinder und warfen mir triumphierende Blicke zu. Du bist chancenlos, wurde mir klar, das waren eiskalte Typen.
Ich starrte nach draußen, versuchte  etwas zu finden das Hinweis darauf sein konnte, wo wir uns befanden, ein Straßenschild, einen Wegweiser. Wenn irgend etwas käme, das auf Soho deutete, dieses verruchteste aller verruchten Stadtviertel, musste ich zum Äußersten bereit sein. Aber alles was ich sah, waren nur langweilige niedrige Reihenhäuser, eines wie das andere. Dann veränderte sich das Straßenbild, die Häuser wurden größer, herrschaftlicher, hatten Vorgärten.
Ich hatte aufgegeben die Richtungsänderungen zu zählen und war, hin und her gerissen zwischen Hoffen und Bangen, und in Ermangelung eines erfolgversprechenden Rettungsplanes mit einem weiteren Stoßgebet beschäftigt, als der Fahrer mit Macht auf die Bremse trat. Die Beiden vom Bahnhof sprangen hinaus und ich hinterher. Schon stand mein Gepäck auf dem Bürgersteig. Auf einem Emailleschild, das im Wind hin und her klapperte stand in verblassten Buchstaben "Goddards Guesthouse". Wir waren da, am tatsächlich unspektakulärem Ende einer Reise. Als ich mich wieder der Limousine zuwandte, schlugen schon die Türen. Der Wagen setzte sich in Bewegung, aus den Fenstern reckten sich winkende Hände, "Radio Caroline" fetzte "Pretty flamingo" und der Wagen beschleunigte davon.
Ich blieb zurück, in einer Flut wirrer Gedanken, an deren Ende eine Erkenntnis blieb, "Das waren nette Jungs, ein bisschen verrückt zwar, aber doch wirklich große, nette Jungs".
Man schrieb den zweiten Januar 66. Mein London-Abenteuer konnte beginnen. Ich atmete tief durch, packte meine Sachen, durchquerte den Vorgarten und betätigte den Türklopfer am Eingang zu "Goddards Guesthouse", oder wie ich es später nannte "Goddards Geisterhaus", aber das erzähl ich vielleicht ein andermal oder auch nicht.       




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Anmerkung von TassoTuwas:

Mitte der 60ziger Jahre bestand London in der Vorstellung vieler hierzulande aus einer Mischung von "Carnaby Street" und Edgar-Wallace-Filmen.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (25.08.14)
"(...)deren Eigenheiten und Rhythmus ich nicht kannte.
Die Tücke steckt in den Einzelheiten. Aber zumindest warst du ja in Westeuropa geblieben und nicht z.B. in Bayern gelandet (da hätten dir deine Deutschkenntnisse auch nichts genutzt)...

Ganz davon abgesehen:
"Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?"
In dieser Situation wären ein paar Weiße vielleicht auch nicht so wirklich beruhigend gewesen.

Und die Moral von der Geschicht:
Nicht immer so viele Krimis gucken. Ab und zu eine schöne Liebesschnulze ist auch besser fürs Gemüt!

 TassoTuwas meinte dazu am 25.08.14:
Zu deinem wie immer lesenswerten Kommentar nur eine Bemerkung zum Stichwort Bayern. Es wäre doch wünschenswert, wenn die Länderkultusminister, die seit Jahrzehnten Hervorragendes in der Schulpolitik leisten, Grundkurse in bayrisch anbieten würden, hoast mi? Es wird wohl daran scheitern, dass der Freistaat Sachsen das gleiche Recht fordern wird, Ei verbibbsch!
Moral, Sissyfilme gucken )

 Regina (25.08.14)
Hautfarbe und Kleidung sagen nun mal nichts über die Absichten eines Menschen aus. Aber nachts und auf Reisen steigen die Ängste auf und das Leben erscheint abenteuerlich. In Wirklichkeit sitzen wir bequem im Fond einer Limousine und fahren kostenlos dem Ziel entgegen. Du hast das so beschrieben, dass die Leserin alles miterlebt. Das ist toll.

 TassoTuwas antwortete darauf am 25.08.14:
Vorsicht hat ja noch nie geschadet, manchmal steigert sie sich zu Angst. Die Medienflut überschüttet uns ja hauptsächlich mit hässlichen und negativen Meldungen, da haben es die Optimisten schwer.
Danke fürs "toll".
LG TT

 Lluviagata (25.08.14)
Am schönsten fand ich dennoch die Schwarze Messe! :D

Sehr sehr lesenswert!

Liebe Grüße
Llu ♥

 TassoTuwas schrieb daraufhin am 25.08.14:
Die Angst lässt im Kopf die Dinge rund gehen, wie auch die Liebe!
Liebe Grüße TT
( PS - nicht meine Antwort auf Trekans Kommi lesen )

 Lluviagata äußerte darauf am 25.08.14:
Ich widerspreche, denn Eddie Arent hat in einem Wallace Film sächsisch gesprochen.

 TassoTuwas ergänzte dazu am 25.08.14:
Das Schauspielerdasein ist manchmal ein schweres!!

 Didi.Costaire (25.08.14)
Eine spannende Geschichte, Tasso, wobei illustre Formulierungen wie
Ein hochbeiniges viereckiges Gefährt von erheblichem Alter
doch das Gefühl geben, dass es am Ende gut ausgeht - wobei ich ja darauf tippe, dass vorm Morgengrauen niemand die Tür öffnet.
Liebe Grüße, Dirk

 TassoTuwas meinte dazu am 25.08.14:
Hallo Dirk,
mit der verschlossenen Tür könntest du Recht haben.
Tea-time nachts um zwei - we are not amused (
Liebe Grüße TT

 susidie (25.08.14)
Sehr nachvollziehbar und gerne gelesen.
Liebe Grüße von Su - von "Mohren" umgeben, *g

 TassoTuwas meinte dazu am 25.08.14:
Hallo Su,
nur zur Info, inzwischen haben die Sprachsäuberer auch das Wort Mohr mit dem Bann belegt.
Negerkuss - Mohrenkopf- Schokokuss, eine Entwicklungsreihe der Weltverbesserer!!
Liebe Grüße TT

 susidie meinte dazu am 25.08.14:
Ich hatte als Kind einen "Sarotti-Mohr" aus dem Morgenland :)
Werd' ich jetzt verhaftet???

 EkkehartMittelberg (25.08.14)
Eigentlich passiert nichts anderes, als dass sie dich mitnehmen und du nichts bezahlst. Aus so einem einfachen Plot eine so spannende Geschichte zu schreiben, ist ein kleines Kunststück.

Herzliche Grüße
Ekki

 TassoTuwas meinte dazu am 25.08.14:
Hallo Ekki,
so war es. Manchmal ist es auch besser wenn nichts passiert. Sagte einer zu mir, "Künstler machen aus Sch..... Geld, meine Version, Schreiber machen aus Nichts Geschichten
Herzliche Grüße
TT

 harzgebirgler (23.03.21)
aß angst auch fast die seele auf
war dennoch glücklich der verlauf.

toll & absolut nachvollziehbar erzählt. ich hatte - freilich viel später - mal nachts in big apple eine ähnliche begegnung...

lg
harzgebirgler

 TassoTuwas meinte dazu am 23.03.21:
Manchmal spielt man ein gewagtes Spiel
doch zum Glück passiert nicht viel!

Auf der Rückreise, nach einem Jahr London, hatte ich den englischen Humor im Gepäck

LG TT
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