Frau Eusebier und die maschinellen Missverständnisse

Dialog zum Thema Entfremdung

von  Nachtpoet

Frau Eusebier sagte mir: Sie hätte gestern Nacht einen furchtbaren Alptraum gehabt. Irgendwie fixiert hätte sie sich an einem Eisenregal befunden und Menschen hätten aus den Fächern ihres Körpers Pappschachteln entnommen, dessen Menge sie von dem Display ihrer Stirn abgelesen haben. Dann hätten sie ihr immer auf die Nase gedrückt und es hätte "Piep" gemacht. Danach sei sie schweißgebadet aufgewacht und sie hätte erst mal ihren Körper untersuchen müssen, aber beruhigt habe sie festgestellt, dass es wirklich nur ein böser Traum gewesen sei. Aber - so fügte Frau Eusebier hinzu - so ganz unwirklich war der Traum ja auch nicht.

Wahrscheinlich - so mutmaßte Frau Eusebier - habe das mit dem seltsamen Vorfall in der Weihnachtsversammlung ihres Betriebes zu tun, die immer am letzten Arbeitstag vor den Weihnachtsferien im Konferenzraum des zweiten Obergeschosses der Firma stattfindet. Während der Chef die Umsatzzahlen und die Statistiken des ausgehenden Jahres ins Mikrofon heruntergebetet hätte, da habe auf einmal ihre eigene Stimme die andächtige Stille zerschnitten indem sie in einem langen, monotonen Satz gesprochen habe: "Die neue Kommissionieranlage ist die beste und bequemste Art zu arbeiten-ich freue mich, an dieser modernen Anlage zu arbeiten-weil sie einem die Arbeit so erleichtert-weil alles rationeller und schneller geht-weil keiner mehr schwer heben muss-deswegen ist diese Anlage so herrlich-deswegen bin ich stolz, an dieser supermodernen Superanlage zu arbeiten -denn ich bin ein Teil der Maschine und die Maschine ein Teil von mir ..." Aber dann sei sie von ihrer Kollegen neben ihr hart mit dem Ellenbogen angestupst worden und hätte so erst gemerkt, dass alle, auch der Chef, sie mit großen Augen angeguckt hätten und sie sei rot angelaufen. Nach einer kurzen Schweigepause hätte der Chef dann Gott sei Dank kommentarlos weitergelesen. Aber sie habe nur noch nach Hause wollen.

Ohne, dass die Kollegen irgendetwas hätten fragen können, habe sie sich nach der Weihnachtsversammlung schnell ins Treppenhaus gestohlen und sei ohne Umweg nach Hause gefahren, wo sie - auf der Couch liegend - immer und immer noch diese Zahlen im Kopf gehabt hätte, nichts als Zahlen. Zahlen, die wie ein Mückenschwarm in ihrem Gehirn umher gewuselt hätten. Denn - so erklärte mir Frau Eusebier - man müsse an dieser neuen Kommissionieranlage, wenn ein leerer Karton auf dem Laufband ankäme, die angegebene Menge eines Arzneimittels in den Karton mit der dazugehörigen Kartonnummer legen und würde dann die Summe auf dem Display mit einem piependem Knopfdruck bestätigen. Das und nichts anderes mache sie den ganzen Tag lang und das mache sie langsam krank! Zahlen, Summen, Zahlen ... Früher war es noch abwechslungsreicher gewesen, da kannte sie jedes Produkt mit Namen, packte diese Artikel auf einen Wagen, den sie durch das Lager schob und konnte auch mal ein kleines Pläuschchen mit der Kollegin halten, aber jetzt? NUR NOCH ZAHLEN! Und wenn das so weiterginge - prophezeite mir Frau Eusebier - dann bräuchte sie bald selbst die Pillen, die sie den ganzen Tag zähle und bestätige! Als der Chef diese Umsatzzahlen vorgelesen habe - so kombinierte jetzt Frau Eusebier - da habe sie wahrscheinlich so eine Art Zahlen-Flashback bekommen, gegen den sie sich kaum wehren hätte können.

Doch dann legte Frau Eusebier den Finger auf die Lippen, dachte kurz nach und zitierte lächelnd: "Der Mensch ist keine Maschine, sie arbeitet für ihn!" habe Heiner Müller einmal geschrieben! Und sie wolle es noch aktualisierend ergänzen: "Der Mensch ist kein Computer, er rechnet für ihn!" DIESES Missverständnis der Arbeitstheorie, welches wohl schon seit der Erfindung der Dampfmaschine bestehen müsse, würde sie bald endlich aus der Welt schaffen, indem sie ihrem Chef und jedem der es hören oder nicht hören wolle, ins Gewissen rede! Aber noch BEVOR sie ihrem Arbeitgeber kündige und das aktuelle Angebot, in einer Gärtnerei anzufangen, annehmen würde.

... Ach was gebe es schöneres, als den ganzen Tag mit Blumen, Pflanzen und duftender Erde zu hantieren! Das wäre was! Und so pflückte sich Frau Eusebier einen Tannenzweig in ihrem Garten ab und tänzelte zurück in ihre Wohnung, um die Telefonnummer der Gärtnerei herauszusuchen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

AbrakadabrA (45)
(21.12.14)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Nachtpoet meinte dazu am 21.12.14:
Doch! Genau so ist es! Die Frage dabei ist nur wer gefickt und wer getötet wird.

 Regina (21.12.14)
Ich habe die eine oder andere Folge dieser Eusebier-Texte gelesen und muss sagen, so ganz genau verstehe ich nicht, was der Autor hier vermitteln will. Den ganzen Tag Unkraut jäten könnte das kleinere Übel sein, wenn jmd. die Cyberwelt am Arb.platz nicht verkraftet, aber meist kommt man da nur über das Projekt Ein-Euro-Job rein, also erst mal richtig krank und dann langzeitarbeitslos. aber auch eine moderne Gärtnerei sieht die Menschen als Ware und verwaltet die Ware Pflanze mit Computern.
(Kommentar korrigiert am 21.12.2014)

 Nachtpoet antwortete darauf am 21.12.14:
Trotzdem scheint es Frau Eusebier wohl immer noch abwechselungsreicher zu sein, als nur auf einen Fleck zu stehen und zu zählen. Zudem ist Frau Eusebier auch sehr naturverbunden und so scheint es ihr wirklich das kleinere Übel zu sein. Sicher, Computer und Zahlen kommen heute in jedem Beruf vor.

LG

 Fuchsiberlin (22.12.14)
"Frau Eusebier" lebt ...

Liebe Grüße
Jörg

 Nachtpoet schrieb daraufhin am 22.12.14:
Jaa! Danke!

LG
(Antwort korrigiert am 22.12.2014)
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram