"Verrückt" und der Brief

Brief zum Thema Andere Welten

von  Fuchsiberlin

Meine liebe Tschapsiland-Tine,

bevor ich zwischen Weißkitteln und Pillendramen in der Psychiatrie verschwinde, schreibe ich Dir noch diesen Brief.

Über Einiges, was ich heute wie erlebte ...
Ja und warum Texte und Briefe nur eine Aneinanderreihung von Worten mit mehr oder minder gefülltem Inhalt bleiben. Vielen Sätzen, die nie allumfassend das Leben beschreiben können.
So wie dieser Brief an Dich.

Erdulde es, wenn die Finger des Sitznachbarn im Bus am Smartphone kleben bleiben.
Der Mensch neben mir trägt den Namen "Freund".
Während vor mir ein anderer ein „Määääääh-muuuuh-Blabla“ in ein 15 Jahre altes Handy blökt.
Ich brülle ein „Hallo-gute-Nacht-ich-liebe-das-Tschapsiland“ durch die Sitzreihen.
Reaktionen der Außenstehenden? Kannst Du Dir sicherlich denken ...

Beim Aussteigen ein Tritt auf einen am Boden liegenden MP-3-Player.
Ich schreie „Auaaaa“, humpele  und singe dabei  diesen atemlosen Fischer-Sing-sang.
Entschuldigung, aber ich bin gerade auf dem Weg in die Psychiatrie. Du weißt, Tschapsiland-Tine.

Die U-Bahn fährt ausnahmsweise einmal nicht ohne mich los. Gefühlt. So gefühlt wie Salz im Honig.
Dabei esse ich am liebsten rohe Kartoffeln, von Nutella fein ummantelt.

In der Ecke des Abteils, in dem ich nun Platz nahm,  holt jemand mit zittrigen Händen die Haste-schon-gesehen-mini-Wodka-Flasche heraus.
„Wirf doch deinen Flachmann auf den Boden. So ganz aus Versehen.“, rufe ich ihm zu.
Sei Dir sicher, (fast) keiner von den Fahrgästen wird diesen Alkoholmüll aufheben und entsorgen.
Aber die Nase rümpfen.
Man, der Mann ist alkoholkrank, und kein „Penner“, auch wenn Du, Tschapsiland-Tine, es anders siehst.

So sind wir alle mal große, kleine, schiefe, oder gerade Nasen.
Du Nase, ich habe Schnupfen.
Also küsse mich lieber nicht, meine liebe Tschapsiland-Tine.

Gedichte, Texte und Briefe gleichen sich im Himmel-und-Hölle-Sound. Leben soll so sein.
Bergauf, bergab und talwärts. „Gut“ oder „Böse“, wer schreibt die besseren Texte und Briefe?
Erzähle mir nicht nur etwas über meine Rechtschreibfehler, und Deutschlehrer-tötendem Ausdruck. Schreib mir doch auch einmal etwas zum Inhalt meiner Briefe.
Nur ein Wunsch, und entferne doch einfach die Kieselsteine aus Deinen Hosentaschen.
Und wirf Dein Katapult einfach in den Müll.

Mensch Tschapsiland-Tine, ich soll tatsächlich mein Pfefferspray wegwerfen? Sondermüll?
Dabei benötige ich es, um mich zu stoppen, wenn ich gemein werde.
Hach, komme mir nicht mit „Gutmensch“.
Keiner ist nur gut, das Böse befindet sich in jedem. Schatten des Mondes.

Du versuchst mit Deiner Hand nach (irgend)etwas in meiner Seele zu greifen.
Vergiss es, ich bin auf dem Weg in die Psychiatrie.
Selbst den Seelen-buddel-Profis gelingt nicht immer der perfekte Seelengriff.

Wollen wir vor meiner stationären Aufnahme noch in die Kneipe gehen?
Den Menschen dort beim Hassen, Trauern, Lachen und Lieben zuschauen.
Dabei die eigenen Worte auf der Zunge mit Schnaps vermischen, und diese Kombination dann auf der Zunge zergehen lassen?
Hey Tschapsiland-Tine, dann lade mich aber bitte zu einem Wodka ein.
Nach dem ersten Schluck versuche mir zu erklären, was wo und wie mit allem zu tun hat.
Betrunkene sollen schliesslich immer die Wahrheit sagen. Behauptet zumindest der Volksmund.
Sorry, ich bin noch nüchtern.

Wusstest Du, dass ich in der Nacht dem Mond beim Quatschen zuhöre, und den Sternen beim Dreiecksflug über grüne Himmelsstraßen zusehe?
Und ich die Fenster mit Zucker-Salz-Wasser putze? Und mit der Sonne Badminton spiele?
Nein? Na so weißt Du es jetzt.

Ach, warum schreibe ich Dir diesen Brief?
Das Leben verhält sich nicht für jeden Menschen immer so, wie Du es beschreibst (oder gerne hättest?).
Reserviere für mich nun bitte eine andere Schublade. Liebe mich oder lasse es sein, Tschapsiland-Tine.

Dein ...
Ja, was bin ich eigentlich für Dich, Tschapsiland-Tine?

PS: Ein zweites Bett auf der Psychiatrie ist übrigens noch unbelegt.
Im Leben existieren unzählige unsichtbare Psychiatrien, erläuterte mir die rohe Kartoffel, die mich um ihr Dasein anflehte.

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Kommentare zu diesem Text

Nimbus (41)
(02.02.15)
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 TrekanBelluvitsh (27.01.17)
So sind wir alle mal große, kleine, schiefe, oder gerade Nasen.
Du Nase, ich habe Schnupfen.
Also küsse mich lieber nicht, meine liebe Tschapsiland-Tine.
Das fasst eigentlich diesen Text zusammen. und manchmal glaube ich, dass solche Einsicht selten ist. Zu viele wollen unbedingt geküsst werden ...
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