Von steilen felsigen Hängen schautest du schon als Kind in viele Schluchten. Deine Mutter torkelte am Rand, und ihr geliebter Weinbrand floss nicht nur in die Tiefe.
Früh musstest du lernen, den Halt nicht zu verlieren. Ein schweres Unterfangen, wenn du dich als Kind emotional haltlos fühlst. Doch irgend etwas in dir verlieh dir eine Stärke, um seelisch zu überleben. Eine Mischung aus Hoffnung, Träumen, und vielleicht auch so etwas Ähnliches wie Mut. Und vor allen Dingen die Liebe deiner Schwester. Einer Emotion, die dir deine Eltern verwehrten.
Viel zu früh musstest du fühlen, wie es ist, sich kurz vor einem Absturz zu befinden. Manchmal dachtest du als Jugendlicher an ein Fallen, nein wohl eher an ein Hinab stürzen, von einem Hochhaus. Für Sekunden wärst du dann ein Flieger gewesen. Doch ein zerschmetterter Körper am Boden hätte den Traum von einer schwerelosen Seele begraben. So stürztest du nicht. Lebenswille oder irgend so etwas.
Später als noch junger Erwachsener, mit vielen Erfahrungen und Erlebnissen im Gepäck, brach deine Seele nach dem Tod eines zweiten geliebten Menschen zusammen. Du stelltest Fragen, falsche oder richtige. Wer kennt die Seele so gut, um dies beurteilen zu können!? Doch deine halb geschlossenen Augen erkannten noch immer nicht, woraus die Wahrheit deines inneren K.o. bestand. Die Welt des Lebens sahst du nur als schachbrettartiges schwarz-weiß Muster. Du erblicktest, oberflächlich betrachtet, nur die Menschen, die auf Häusern vor Glück tanzten und jene, die im Keller nach einem eigenem Grab suchten. Und jene, deren liebe Worte in die Hölle führten, und die, welche von (Gottes) Liebe redeten. Eine Welt zwischen schwarz und weiß. Farben sahst du nur in deinen Träumen. Ein eingeschränkter Blick in die Außenwelt. Du kämpftest seelisch in einer anderen Welt.
Mit den Jahren als junger Erwachsener nahm die Intensität des Blicks in dein Ich immer mehr zu. Zwischen Geburt, der Liebe und dem späteren Drogentod deiner geliebten Schwester, dem erlebtem Trauma, und den vielen Abgründen dazwischen, öffnete sich manch eine Tür, die du nicht bewusst öffnen wolltest. Psychotherapien, stationär und ambulant, ließen dich langsam den Weg zu einem Schlüssel finden. Für deinen Vater warst du "dank" der Psychiatrieaufenthalte "Der Sohn mit der Macke ... "
Manch ein Traum fühlte sich für dich irgendwann wie ein fünf Stunden lang durchgekauter Kaugummi an. Doch du reanimiertest immer wieder deine Träume. Mit einem frischen neuen "Kaugummi". Auch wenn du an vielem anderen mächtig zu kauen hattest. Und zu oft Erbrochenes deiner Seele deinen Weg zeichnet.
Schluchten können schön sein, aber auch verdammt hässlich. So wie das Leben.
Du hast heute Höhenangst.
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