In Würde altern mit Gott L

Essay zum Thema Luxus

von  toltec-head

Nie einen Krieg, die Promiskuität oder ein Gefängnis gekannt, aber 50 Jahre lang moralisch wie wirtschaftlich im Triumph über die Väter-Generation gelebt - es lässt sich nicht leugnen: Unsere Baby-Boomer altern schlecht! Ihren großen Theologen wie Hans Küng ("es kommt sicher nicht nichts danach") oder demnächst wieder Frau Käsmann mag es vor dem Cocktail noch gelingen, schnell Interviews über den Tod zu geben, der absoluten Mehrheit bleibt nur der Cocktail tout court. Auf Lit-Foren kann sich jeder jeden Tag aufs Neue davon überzeugen, dass Alzheimer & Co. die einzige Chance für ein Normalo-Gehirn auf ein wenig Dada, Surrealismus oder Cut-Up statt Sentiment mit Rechtschreibung sind, die Angst vor auf Elefanten durch einen Scheiße/Urin-Regen reitenden polnischen Arschabwischerinnen treibt die Leute wie in die domestizierte Literatur so in den anständigen schweizer Tod.

Gebeugt nicht durch Rechtschreibung sondern redlich vom bloßen Alter wird Gott L auf einigen Vasen dargestellt, wie er am Stock geht. Er trägt einen großen, altmodischen Hut, dessen Spitze ein Raubvogel, gern schon einmal ein Geier, ziert. Hakennase und eingefallener Mund, in dem keine Zähne mehr aber dafür eine riesige Zigarre steckt, junge Mädchen (schon 15? polnisch-blond?) umgeben den alten Schuft. Auf der Princeton-Vase sitzt er nicht unähnlich Gottfried Benn im Weinhaus Wolf auf einem Thron; hinter ihm stehen drei schnatternde Bedienerinnen, die ihm einen Kakao mit Schuss kredenzen. Vor ihm kniet ein junges Mädchen, dem er ein Jade-Armband anlegt; selbst Götter greifen gegebenenfalls auf den Geschenk-Trick zurück. Ein anderes Mädchen steht daneben und schaut zu, wie auf der anderen Seite der Vase ein anderer Gott gerade von den Helden-Zwillingen enthauptet wird. Das Schöne ist immer nur des Schrecklichen Anfang und wer´s wie in Wohnzimmern oder Lit-Foren einfach nur schön haben will, landet nicht in der Schönheit sondern der Depression.

Am Fuße des Throns, auf dem der Gott L sitzt, trägt ein Hasen-Schreiber die ganze Szene (also Mädchen-Schmückung mit Enthauptung) in einen offenen Codex ein. L ist neben Tabak auch noch für schwarze Magie und Luxus zuständig. Er gehört zu den sogenannten Jaguar-Göttern, hat Jaguar-Ohren, einen Jaguar-Mantel und lebt in einem Jaguar-Palast. Er ist der Gott dessen, was danach kommt - nichts, vom Standpunkt eines Küngs aus gesehen, nicht nichts vom Standpunkt eines Brechts: Mädchen, die aus einer Enthauptung hervorquirlen, junge polnische Arschwischerinnen, die auf Elefanten einen Regen von kleinen Scheiß-Stückchen und Urin durchqueren;luxe, calme et volupté statt den großen Menschheitsfragen.

Anfang 1997. Bei Allen Ginsberg wird Krebs im Endstadium festgestellt, die Medizinmänner geben ihm  noch ein paar Monate, es sind, wie er selbst spürt, nur ein paar Wochen. Ein Tag vor seinem Tod ruft er Burroughs an:

- I thought I would be terrified, but I am exhilirated.

Exhilirating - anregend, beglückend, erheiternd, belebend, wie das Mädchen, dem der Gott das Armband anlegt, und die Enthauptung inter faeces et urinam durch Zwillings-Helden: der Tod.


Anmerkung von toltec-head:

 Princeton-Vase Roll-Out

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