Poetische Frauenzimmer, der geistige Geschlechtstrieb und das Technische

Absurdes Theaterstück zum Thema Kunst/ Künstler/ Kitsch

von  toltec-head

Ich ging heute um fünf Uhr zu toltec, den ich  einige Tage lang nicht gesehen hatte, und verlebte mit ihm einen schönen Abend. Ich fand ihn in seinem Hannoveraner Wohnklo in der Dämmerung sitzend, den Blick fest aus dem Fenster auf das Neue Rathaus gerichtet.  Ich setzte mich neben ihn auf das Sofa und wir sprachen noch eine Weile in der Dämmerung; dann machte er eine einfach so von der Decke herabhängende Glühbirne an, und ich hatte die Freude, ihn vollkommen frisch und heiter vor mir zu sehen.

Er erkundigte sich, wie gewöhnlich, teilnehmend nach dem, was es diese Tage Neues auf Internetliteraturforen gegeben habe, und ich erzählte ihm, dass eine junge Dichterin sich in einem derselben besonders hervorgetan habe. Ich konnte zugleich ihr nicht gewöhnliches Talent rühmen, und toltec, der einige ihrer Produkte gleichfalls kannte, stimmte in dieses Lob mit ein. »Eins von ihren Gedichten,« sagte er, »wo sie einen China-Imbiss in der Fußgängerzone von Halle beschreibt, ist von einem höchst eigentümlichen Charakter. Sie hat eine gute Richtung auf äußere Gegenstände, auch fehlt es ihr nicht an guten inneren Eigenschaften. Freilich wäre auch manches an ihr auszusetzen, wir wollen sie jedoch gehen lassen und sie auf dem Wege nicht irren, den das Talent ihr zeigen wird.«

Das Gespräch kam nun auf die Dichterinnen im allgemeinen und Internetliteraturforendichterinnen im besonderen, und ich bemerkte, daß das poetische Talent der Frauenzimmer mir oft als eine Art von geistigem Geschlechtstrieb vorkomme. »Da hören Sie nur,« sagte toltec lachend, indem er mich ansah, » geistiger Geschlechtstrieb!« – »Ich weiß nicht, ob ich mich recht ausdrücke,« fuhr ich fort, »aber es ist so etwas. Gewöhnlich haben diese Wesen das Glück der Liebe nicht genossen, und sie suchen nun in geistigen Richtungen Ersatz. Wären sie zu rechter Zeit verheiratet und hätten sie Kinder geboren, sie würden an poetische Produktionen nicht gedacht haben.«

»Ich will nicht untersuchen,« sagte toltec, »inwiefern Sie in diesem Falle recht haben; aber bei Frauenzimmertalenten anderer Art habe ich immer gefunden, daß sie mit der Ehe aufhörten. Ich habe Mädchen gekannt, die vortrefflich zeichneten, aber sobald sie Frauen und Mütter wurden, war es aus; sie hatten mit den Kindern zu tun und nahmen keinen Griffel mehr in die Hand.

Doch unsere Dichterinnen«, fuhr er sehr lebhaft fort, »möchten immer dichten und schreiben, soviel sie wollten, wenn nur unsere Männer nicht wie die Weiber schrieben! Aber das ist es, was mir nicht gefällt. Man sehe doch mal belletristische Neuerscheinungen durch, wie das alles so schwach ist und immer schwächer wird! Letztes Jahr machte ein stubenhockerisches Fräulein namens Hermann aus ihrer Angst vor hinter jeder Ecke lauernden  Mistern Fistern, die sich ins Fäustchen lachen, einen ganzen, langen Roman und dieses Jahr lese ich in einem Klappentext dann so etwas:

Lanzarote, am Neujahrsmorgen: Henning sitzt auf dem Fahrrad und will den Steilaufstieg nach Femés bezwingen. Seine Ausrüstung ist miserabel, das Rad zu schwer, Proviant nicht vorhanden. Während er gegen Wind und Steigung kämpft, lässt er seine Lebenssituation Revue passsieren. Eigentlich ist alles in bester Ordnung. Er hat zwei gesunde Kinder und einen passablen Job. Mit seiner Frau Theresa praktiziert er ein modernes, aufgeklärtes Familienmodell, bei dem sich die Eheleute in gleichem Maße um die Familie kümmern. Aber Henning geht es schlecht. Er lebt in einem Zustand permanenter Überforderung. Familienernährer, Ehemann, Vater – in keiner Rolle findet er sich wieder. Seit Geburt seiner Tochter leidet er unter Angstzuständen und Panikattacken, die ihn regelmäßig heimsuchen wie ein Dämon. Als Henning schließlich völlig erschöpft den Pass erreicht, trifft ihn die Erkenntnis wie ein Schlag: Er war als Kind schon einmal hier in Femés. Damals hatte sich etwas Schreckliches zugetragen - etwas so Schreckliches, dass er es bis heute verdrängt hat, weggesperrt irgendwo in den Tiefen seines Wesens. Jetzt aber stürzen die Erinnerungen auf ihn ein, und er begreift: Was seinerzeit geschah, verfolgt ihn bis heute.

Auf dem Nachhauseweg von meiner Arbeit komme ich an einer Buchhandlung vorbei und denke, ich schau mal in das schmale Bändchen hinein, was dem armen Henning denn so abscheuliches widerfahren. Wär doch zu schön, von der Zeh mit ihrem überwältigenden Sprachtalent eine deftige Internatsgeschichte über einen klapprige Jungens mit seinem fiesen Gürtel vergewaltigenden fetten, spanischen Lustmönch ausgemalt zu bekommen. Die Auflösung war dann aber: Henning hat ein Trauma, weil er als Kind für einen Tag mit seiner Schwester im Ferienhaus von Mami, die einen Seitensprung wagte, und seinem darob hysterisch gewordenen Papi allein gelassen wurde. Und das Traurige ist, unsere männlichen Autoren, die sehen, dass man mit einer solchen beinahe schon letal zu nennenden Überdosis an Familitis reüssieren kann, dealen munter mit dem Krams weiter. Wie denn auch nicht, wenn 80 % aller Leser von Belletristik eh nur noch Frauen sind?

Unterdessen«, fuhr er heiter fort, »wollen wir es mit unseren sogenannten richtigen Autoren gut sein lassen und uns unseres kräftigen Internetliteraturforen-Mädchens aus Halle freuen, die uns mit männlichem Geiste in den Fußgängerzonen-Imbiss einführt. Dieses Gedicht ist wirklich vortrefflich! «

Ich bemerkte, daß das bloße Motiv eines China-Imbiss in der Fußgängerzone von Halle so viel Leben in mir anrege, als läse ich das Gedichte selbst, und daß ich daher nach dem Ausgeführten gar kein Verlangen mehr trage.

»Sie haben ganz recht,« sagte toltec, »es ist so. Aber Sie sehen daraus die große Wichtigkeit der Motive, die niemand begreifen will. Unsere Frauenzimmer haben davon nun vollends keine Ahnung. Dies Gedicht ist schön, sagen sie, und denken dabei bloß an die Empfindungen, an die Worte, an die Verse. Daß aber die wahre Kraft und Wirkung eines Gedichts in der Situation, in den Motiven besteht, daran denkt niemand. Und aus diesem Grunde werden denn auch Tausende von Gedichten gemacht, wo das Motiv durchaus null ist, und die bloß durch Empfindungen und klingende Verse eine Art von Existenz vorspiegeln. Überhaupt haben die Dilettanten und besonders die Frauen von der Poesie sehr schwache Begriffe. Sie glauben gewöhnlich, wenn sie nur das Technische loshätten, so hätten sie das Wesen und wären gemachte Leute; allein sie sind sehr in der Irre.«

toltec sprach sodann noch von höherer Begattung und was den bloß geistigen Geschlechtstrieb von dem wahrhaft dämonischen ins Geschlecht schießenden Geisttrieb unterscheide. Ich fragte ihn, ob es stimme, wenn in letzter Zeit Forscher behaupteten, "höhere Begattung" sei in seinem Werk einfach nur ein terminus technicus für den homosexuellen Analverkehr?

»Was für ein Blödsinn!« rief er aus, » Wie richtiger lägen sie, wenn sie die Technik homosexuellen Analverkehrs oder meinetwegen auch des Fistens in meinem Werk als eine Art höherer Begattung für Faule sähen .«

Von all diesen verwinkelten Zusammenhänge könnten  »unsere Frauenzimmer« und richtigen männlichen Autoren, derweil sie Angst vor Stalkern oder davor hätten, dass Mami und Papi sie verließen, nur träumen.

So meckerten wir beide noch eine zeitlang weiter vor uns hin. Kurz, es war ein köstlicher Abend!

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Kommentare zu diesem Text

nobbi (63)
(31.03.21)
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