Particula

Gedicht zum Thema Anpassung

von  Isaban

An einem Tag auf Stelzen fiel
ich auf den Asphalt.
Das kam fast unerwartet und
es hat verdammt geknallt.

In einer himmelblauen Nacht
fiel ich aus Traum und Nest.
Das hat zwar nicht sehr laut gekracht,
doch hing ich lange fest,

in dem Gefühl zu fallen
und unschön aufzuprallen,
deshalb hab ich mich starr gemacht,
mich gar nicht mehr bewegt,

da hat sich Staub auf mich gelegt.
Der kitzelte, ich hab gelacht,
seitdem verschmelzen wir ganz sacht, 
recht grau, doch angeregt.

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (13.01.19)
Liebe Sabine,

dieses Gedicht ist mehr als ein Staubpartikel. Der Mensch jedoch ist eines. Wenn man nicht mehr mit sich und seinen unerfüllten Träumen hadert, dann kann das Leben durchaus lebenswert sein, gerade im weisen! Alter. Man muss sein Schicksal annehmen können, klar. Meine Gedanken dazu.
Ja, gut gemacht ist es, natürlich; es hat trotz seiner, naja, Tragik, sag ich jetzt mal, einen witzigen Unterton, der ihm eine besondere Leichtigkeit gibt. Wie ich Dich kenne, hab ich wieder mal gründlich daneben gehauen, aber das ist Dir genau so egal wie mir auch. Ich sehe Dich grad schmunzeln. :-D

Liebe Grüße
Llu <3

Kommentar geändert am 13.01.2019 um 09:23 Uhr

 Isaban meinte dazu am 14.01.19:
Ach du Süße!

Es gibt kein Danebenliegen. Der Text hier gehört - wie alle Texte, die du liest - dir. Du bist der Leser und deine Interpretation zählt. Es gibt keinen Grund, ständig bange zu sein, dass man falsch liegt.

Ich finde deine Interpretation sehr warmherzig und stimmig und eigentlich gefällt sie mir in ihrer optimistischen Sicht und Menschenfreundlichkeit sogar besser als meine. Ich freue mich sehr, dass mein Text so ausgelegt werden kann.

Hab tausend Dank für deine Rückmeldung und die liebevolle Sicht!

Herzliche Grüße
Sabine

 princess (13.01.19)
Tja, da sammelt LyrI so eine Erfahrung nach der anderen. Und reagiert als lernwilliges Wesen auf ein neues Ungemach exakt so, als wiederhole sich das, was bereits abgeschlossen ist. Bis es dann in der letzten Strophe buchstäblich aus einem erlernten Reaktionsmuster herausgekitzelt wird. Und siehe da: Plötzlich wird Neues möglich.

So habe ich dein Gedicht gelesen, liebe Sabine. Besonders mag ich die Leichtigkeit, das Augenzwinkern. Sie wirken so schön ansteckend!

Liebe Grüße
Ira

 Isaban antwortete darauf am 14.01.19:
Das freut mich sehr, liebe Ira!
Ja, wir Menschen sind eine komische Spezies.
Und was wäre das Leben, wenn man nicht still für sich die Situationskomik entdecken könnte? ;)

Sei herzlich gegrüßt.

Sabine

 Irma (15.01.19)
Der Anfang, die erste Strophe, zeugt von einem mutigen Aufwärtsstreben. LyrIch will hoch hinaus, stakst ungelenk auf Stelzen und fällt prompt (nach nur drei Hebungen) im zweiten Vers voll betont auf den harten Beton (ohne Auftakt-Schoner). Autsch, das tut verdammt weh! ‚Aller Anfang ist schwer‘ und ‚Übung macht den Meister‘ - also Spucke aufs Knie und auf ein Neues? Nein, LyrIch selbst scheint überrascht („Das kam fast unerwartet, und“, V.3) vom missglückten Erstversuch, hat nicht wirklich (auffallender ausbleibender Reim auf „fiel“) mit einem schmerzhaften Scheitern gerechnet. Der Spruch ‚Hochmut kommt vor dem Fall‘ passt hier ganz gut. Es bleibt bei diesem einen kurzen (nur drei Hebungen) Probeversuch.

Das Geschehene wird nachts im Traum verarbeitet. Wer kennt sie nicht, diese unangenehmen Fallträume, wo man aus luftigen Höhen abstürzt oder mit einem Fahrstuhl ungebremst in die Tiefe rauscht, für eine schier unendliche Zeit dieses Magenumdrehgefühl verspürt? Neben körperlichen Ursachen wie Blutdruckabfall und ernsten Herz-Kreislauf-Krankheiten werden meist Versagensängste und Selbstzweifel, die Furcht vor Kontrollverlust als psychologische Erklärung für solche Träume gesehen.

LyrIch macht der Verlust der inneren Sicherheit („Nest“, V.6) zu schaffen, sein Selbstbewusstsein ist dahin. ‚Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen‘ heißt es, was für LyrIch in der Umkehrung bedeutet, dass es unweigerlich unmeisterlich fallen muss. Der Aufprall hier im Traum ist ungemein sanfter als in der Realität, die Folgen sind harmlos. LyrIch weiß das auch, was du geschickt zum Ausdruck bringst, indem du den Satz „Das hat zwar nicht sehr laut gekracht,“ (V.7) vor die lange (schönes Strophenenjambement!) Beschreibung des andauernden Fallgefühls (V.8-10) gesetzt hast. Es geht also in erster Linie um dieses Gefühl, buchstäblich ‚aus allen Wolken zu fallen‘, während man ruhig im Bett liegt. (Der „fallen“-„prallen“-Reim in V.9/V.10 als einziger weiblicher Reim in dem sonst ausschließlich mit harten männlichen Kadenzen gearbeiteten Gedicht sticht heraus und zieht dieses Gefühl ein wenig ins Lächerliche. Sozusagen ein Fallen in die Weichen Bettfedern.)

Aus Angst vor einem erneuten (Ab-)Sturz, einer wiederkehrenden Verletzung fällt LyrIch in eine Art Schockstarre und Regungslosigkeit. (Hier in V.11 ist dir beim „deshalb“ das ‚s‘ durch die Maschen gefallen!) Doch mangelnde Bewegung ist ungesund, und wer, um Schmerzen zu vermeiden, eine Schonhaltung einnimmt, versteift nur und verschlimmert damit das Problem. (Davon kann wohl jeder Orthopäde ein Lied singen.) Statt aktiv zu werden, versucht LyrIch den freien Fall zu stoppen, indem es selbst komplett zum Erliegen kommt. Wer am Boden ist, kann nicht mehr tiefer fallen. Aber wie soll Konrad Adenauer doch so schön gesagt haben: „Fallen ist weder gefährlich noch eine Schande. Liegenbleiben ist beides.“

Die Passivität als unangemessene Reaktion von LyrIch wird im Gedicht immer deutlicher, indem das LyrIch immer unkenntlicher wird und unter einer dicken Staubschicht versinkt. Man möchte es aufrütteln, es über die Teppichstange hängen und gründlich ausklopfen, aber LyrIch scheint sich ausgesprochen wohlzufühlen in seiner Rolle („ich hab gelacht“, V.14). Lieber sanft von den Staubpartikeln gekitzelt werden als nochmal irgendwo hart aufprallen. So zerfällt es langsam in seine Einzelbestandteile („Partikel“), verschmilzt mit dem Staub (‚Staub zu Staub‘) und vergeht.

Insgesamt ein wirklich tolles und überzeugend gearbeitetes Gedicht. Gerade der Wechsel zwischen den drei- und vierhebigen Versen führt zu einer Art Singsang, einem Mitschwingen von Ironie, einem augenzwinkernden Blick auf dieses resignierende und kapitulierende LyrIch. Lediglich der letzte Vers will mir nicht so wirklich gefallen: „recht grau, doch angeregt“. Du wolltest hier anscheinend nochmal eine Scheinregung hineinbringen, denn ein angeregtes Verschmelzen hat natürlich wenig mit Aktivität und tatsächlicher Bewegung zu tun. Trotzdem empfinde ich das „recht“ (noch dazu nach dem „ganz“ am Ende der Vorzeile) zu sehr als Füllwort, und auch das „grau“ beim Verstauben bedarf es in meinen Augen nicht. Ich habe lange nach Alternativvorschlägen gesucht, die mir nicht einfallen wollten. (Vielleicht eher etwas, was die sonderbare Regsamkeit untermalt: „seitdem verschmelzen wir ganz sacht, / doch seltsam angeregt“?)

Zum Schluss habe ich mich aber gefragt, ob man diesen Vers nicht komplett ‚fallenlassen‘ könnte. Es ginge dabei in meinen Augen nichts von der Aussage verloren. Heraus käme ein wundervolles Sonett - mit einer leider überzähligen Terzett-Zeile. (Habe ich Recht mit meiner Vermutung, dass das Gedicht ursprünglich auch als Sonett geplant war?) Tja, was tun? Rätselgrüße, Irma

Kommentar geändert am 15.01.2019 um 14:22 Uhr

 Isaban schrieb daraufhin am 17.01.19:
Kaum guckt man mal einen Tag nicht richtig hin, schon - wumms - hat man sein Highlight des Dienstags verpasst!

Eine tolle Interpretation - und zudem eine, die meinen Intentionen über große Strecken hinweg sehr, sehr nahekommt. Ich gestehe, ich hatte beim Schreiben ein lebendiges Vorbild vor Augen, eines, das mit seinen eingeschliffenen Wegen so verbunden ist, dass es lieber mit Staub verschmilzt, als mal ein bisschen in Bewegung zu geraten. Und wenn sich zwei (oder mehr) Gleichgesinnte getroffen haben, dann kann aus der notgedrungenen Verschmelzung sogar sowas wie gegenseitige Anregung zum "Verstauben" entstehen - es kann ja schließlich nicht falsch sein, so zu verstauben, wenn es mehrere machen, gelle?

Du kennst doch bestimmt den alten Beerdigungsspruch "Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub", oder? Ich zweifle immer noch, ob es ein "verlorenes" oder ein "tolles" Gefühl sein muss, nichts als ein unkenntliches Partikelchen im großen Meer aus Staub zu sein. Ich will erst noch ein bisschen tanzen, bevor ich auf immer versinke, aber das ist eine sehr subjektive Entscheidung, mir liegt das chronische Stillelliegen nicht so. ;)

Liebe Grüße

Sabine

Ach ja, PS: Nein, es war nicht als Sonett geplant und sorry, nein, ich mag nicht auf diese Anregung des LI verzichten, vergönnen wir ihm doch zumindest den Eindruck, es wäre noch nicht so richtig tot, als wäre da noch irgendeine Entwicklung in eine aufregende Richtung drin, oder?
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