Anpassung

Verserzählung zum Thema Anpassung

von  Isaban

Sein Bein ist damals in Verdun geblieben,
es ist nicht so, dass es ihm fehlt.
Ins Lazarett hat Oma ihm geschrieben,

hat Tabak hingeschickt und manchmal Geld,
die beiden haben sich schon bald vermählt.
Der nächste Krieg fraß seiner Brüder sieben,

hat mir der Opa ziemlich oft erzählt.
Durch diese Straße wurden sie getrieben,
der Bahnhof war das Ende ihrer Welt

und ein Soldat hat an die Wand gepisst,
wo später dann das Loch gewesen ist,
durch das sie in Frau Kohlmanns Keller kamen,

dort saßen sie drei Monate im Warmen,
bis jener Winter ausbrach und die Armen,
die nichts und auch kein Kellerloch besaßen,

die Dachhasen gleich roh vom Dache fraßen,
um sich an diese Zeiten anzupassen.
Was immer da vom Himmel fiel
- es kannte kein Erbarmen.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (16.06.19)
Hallo Sabine, das liest eine Generation, die nur aus der Literatur und von Fernsehbildern aus exotischen Ländern eine Ahnung davon hat, wie schlimm Hunger sein kann.
Das Bemerkenswerte an deiner Verserzählung ist das Unpathetische, das die schrecklichen Ereignisse authentisch wirken lässt.
Liebe Grüße
Ekki

 Isaban meinte dazu am 17.06.19:
Ja, lieber Ekki,

Hunger wird hier in Deutschland zurzeit nur sehr selten gelitten - aber wer weiß, wie das aussieht, falls einer der Puppenspieler den 3. Weltkrieg twittert? Der letzte Weltkrieg ist schon so lange her, dass die nachfolgenden Generationen inzwischen das damit einhergehende Unheil fast für ein Gerücht halten. Und wir dürfen nie vergessen: Es sind niemals die, die das rote Knöpfchen drücken, die unter den Folgen leiden, es ist immer das Fußvolk, das, was nicht in weißen Häusern oder goldenen Käfigen sitzt.

Liebe Grüße
Sabine
Agneta (62) antwortete darauf am 17.06.19:
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 eiskimo (16.06.19)
Ich bin froh, dass ich das nicht erleben musste und auch nur aus den Erzählungen der Großeltern kenne. Das Szenario ist zunächst weit weg für uns satte Bürger einer Überfluss-Gesellschaft. Aber an Tagen, wo größenwahnsinnige Machthaber wieder zündeln und gedanklich schon mit Krieg spielen - man bedenke nur die brennenden Tanker im Golf von Oman - da gewinnt so ein Text eine große Aktualität.
Man darf die Greuel des Krieges einfach nie vergessen! Darum ist das hier ein sehr guter Text!
Eiskimo

 Isaban schrieb daraufhin am 17.06.19:
Ja, lieber eiskimo,

sie sollten immer in Erinnerung bleiben, die nachfolgenden Generationen sollten endlich daraus gelernt haben - nur glaube ich, dass es immer Idioten geben wird, die Krieg für ein Spiel halten, solange sie sicher in ihren Häusern sitzen und der Kühlschrank voll ist. Schon allein aus diesem Grunde sollten wir gegen das Vergessen anschreiben.

Vielen Dank für deine Rückmeldung!
Liebe Grüße
Isaban

 Moja (16.06.19)
Liebe Isaban,

die Sprache der Verse ist so lakonisch nüchtern gehalten wie die Anpassung der Menschen an ihre Not, dadurch sehr berührend!

Grüße,
Moja

 Isaban äußerte darauf am 17.06.19:
Liebe Moja,

ja. Wie will man weiterleben, wenn alles nur noch unerträglich ist? Man macht das Unerträgliche zur Normalität, man verdrängt, was einem alles fehlt, man macht einfach weiter, denn das Leben will gelebt werden, ob man nun Kaviar schlemmt sich mit den Seinen ein Kätzchen teilen muss.

Vielen Dank für deine Rückmeldung.
Grüße,
Isaban
Sin (55)
(16.06.19)
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 Isaban ergänzte dazu am 17.06.19:
Tweety (oder: Da war doch eine Miezekatze)

Oh Mann, lass uns gen Westen schauen,
dem gelbhaarigen Kerl vertrauen,
der so schön „unfair!“ sagen kann
und fröhlich Öl und Vorteil wittert,
selbst dann,
wenn er den 3. Weltkrieg twittert.




Jepp, genau deshalb kam mir der Text in den Sinn.
Wenn ich lese, was unser Freund mit der gelben Tolle da immer wieder fabriziert, graut es mir vor dem, was er tun könnte. Ich hoffe zutiefst, dass ihm keine neue Amtszeit beschert wird und dass er es in dieser nicht mehr schafft, so viel Unheil über die Menschheit zu bringen, wie ihm vorschwebt. Ihn im Amt zu belassen ist in etwa das Gleiche, wie einem Vierjährigen eine geladene, entsicherte Waffe in die Hand zu geben und zu sagen: So, und nun geh und spiel mal schön mit deinen Freunden!

LG Isaban

 Lluviagata (17.06.19)
Hallo, liebe Isa,

kaum jemand weiß heute noch, was ein Dachhase ist. Logisch, denn es wird eine Zeit kommen, da kann kein Augenzeuge mehr davon berichten. Meine Mutter ist Teil dieser aussterbenden Generation, sie hat den 2. Weltkrieg als Kind erlebt, ihre Mutter musste ohne Partner mit 3 Kindern flüchten. Vor den Russen in die russische Zone. Mein Großvater väterlicherseits ist in Russland gefallen.
Dein Text erinnert mich daran. Kriege wird es immer geben, darum, weil der eine dem anderen das Schwarze unterm Nagel nicht gönnt oder weil man seinen Gott gegen einen anderen Gott und die Welt verteidigen muss. Der Mensch passt sich halt an, ob es ihm nun passt oder nicht. Er muss das tun, denn er will leben.

Liebe Grüße
Llu ♥

Kommentar geändert am 17.06.2019 um 10:05 Uhr

 Isaban meinte dazu am 17.06.19:
Ich bin immer wieder erstaunt, wie anpassungsfähig der Mensch ist, liebe Llu - und wie pragmatisch er selbst mit den größten Katatstrophen umgeht. Das Leben geht weiter, muss weitergehen, was vorher war, ist vergessen, die Gegenwart eine Normalität, in die man hereinwachsen kann, wie in ein vom großen Bruder geerbtes Kleidungsstück.

Man lernt mit Verletzungen zu leben, lernt, ohne ein Bein zu leben, man nimmt die Frau, die einen trotzdem nimmt, man er- und überlebt auch den nächsten Krieg, man isst Katzen, wenn sonst nichts da ist, man nimmt an, was da vom Himmel fällt, seien es nun Bomben, Schneeflocken oder Care-Pakete - es kommt, wie es kommt.

Liebe Grüße,
Isa

 TassoTuwas (20.06.19)
Knallhart klarer Text!
Und die unbequeme Moral: Wer überleben will, dem bleibt nur die Anpassung!
Liebe Grüße
TT

 Isaban meinte dazu am 20.06.19:
So ist es, lieber Tasso. Und wenn man ganz viel Glück hat oder es eine etwas länger kriegsfreie Zeit erlebt, kann man - zumindest temporär - noch ein bisschen von seiner Menschlichkeit, seiner Moral und seinem Ehrgefühl behalten.
Liebe Grüße
Isa
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