Wo die Liebe hinfällt

Verserzählung zum Thema Liebe, lieben

von  Isaban

Der Vater war kein großer Mann,
maß nicht einmal eins siebzig,
doch hatte er ein großes Herz;
sich selbst fand er sehr witzig.

Gern schenkte er und gab gern aus,
der Freitag war sein bester Tag,
da kam er meist erst dann nach Haus,
wenn er zuvor im Graben lag.

Des Samstags gabs ein Stimmungstief,
er hatte eine flinke Hand,
ging es nicht Pronto, wenn er rief,
flog man mit Schwung zur nächsten Wand.

Am Sonntag ging er stets zur Beichte,
die Mutter auch. Sie sprach nicht viel;
wenn sein Gehalt bis Montag reichte,
war ihr Gesicht sein liebstes Ziel.

Dann, eines Freitags, kam er nicht,
nicht nachts und auch nicht anderntags.
Sie suchte ihn beim ersten Licht
und bis zum Tag des Herzinfarkts.

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Kommentare zu diesem Text

SchorschD (78)
(20.02.19)
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 Isaban meinte dazu am 20.02.19:
Hallo SchorschD,

das ist eine andere Geschichte, die vielleicht ein andermal erzählt wird.

Freundliche Grüße
Isaban

 sandfarben (20.02.19)
Ein trauriger Text mit sehr viel Tiefe und schonungsloser Beschreibung einer Realität, wie sie sie gab und vielleicht immer noch gibt.
christa
Cora (29) antwortete darauf am 20.02.19:
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 Isaban schrieb daraufhin am 20.02.19:
Hallo, ihr beiden!

Liebe christa, liebe Cora,

ja, ein klassisches, nein eher zeitloses Thema.

Hier kommt der Vater nicht gut weg, obwohl ich sicher bin, dass es nicht immer der männliche Part ist, der die miese Rolle ausfüllt. Klar ist, dass nicht nur ein Teil der Familie darunter leidet. Für Außenstehende oder Familienangehörige bleibt oft unverständlich, warum der Partner, der die Fäuste nicht schwingen lässt, trotzdem bleibt, trotzdem liebt, trotzdem nicht ausbricht aus solch einer Situation.

Liebe ist eine seltsame und sehr subjetive Angelegenheit; man kann sich nicht aussuchen, wen man liebt. Manchmal ist Liebe auch eine unerfreulich einseitige Angelegenheit, was sie nicht unbedingt schmälert. Manchmal gibt es sie auf beiden Seiten, nur in unterschiedlicher Intensität. Manchmal ist sie beinahe unerträglich und "fällt" dennoch erst mit dem letzten Atemzug des Liebenden, ganz gleich, was vorher geschah.

Ich freue mich ungemein, dass der Text euch anlocken und berühren konnte.

Herzlichen Dank für eure Rückmeldungen und dafür, dass ihr euch auf dieses Thema einlassen mochtet.

Lieben Grüße
Isaban

 TassoTuwas (20.02.19)
Muss denn alles tragisch enden?
Ich wollte ihn grade ins Herz schließen!
Liebe Grüße
TT

 Isaban äußerte darauf am 20.02.19:
Hallo Tasso,

wer weiß, vielleicht geht es ihm ja gut und der Weg für euch ist jetzt frei, nach Mutters Herzinfarkt.

Aber du hast Recht, der Text erzählt eine Tragödie. Nur ist - zumindest in diesem Text - nicht er der tragische Held. Aber vielleicht fällt mir ja irgendwann noch ein, wie seine Geschichte endet.

Hab vielen Dank für deine Rückmeldung. Ich hab mich gefreut.

Liebe Grüße
Isaban

 Momo (20.02.19)
Hallo Isaban,

„wenn sein Gehalt bis Montag reichte,
war ihr Gesicht sein liebstes Ziel.“

Hier stolperte ich beim Lesen und dachte, wieso? „Wenn sein Gehalt nur bis zum Montag reichte“ wäre für mich plausibler.

Ansonsten ist dein Gedicht eine gekonnte Milieubeschreibung aus der untersten Schicht der Gesellschaft: am Freitag gibt’s den Lohn und Suff.

Obwohl auch in allen anderen Schichten erwiesenermaßen Gewalt in der Familie vorkommt, auch subtilere Gewalt.
Aber hier, ganz unten, menschelt es noch unverfälscht, die Gewalt drückt sich aus in körperlicher Gewalt, aber auch Wärme ist hier spürbar in ihrer Herzlichkeit (großes Herz, gern schenkte er).

Despot und Tyrann auf der einen, Liebhaber auf der anderen Seite, ein Paradox, aber das eine schließt das andere ja nicht aus.

Liebe Grüße, M.

 Isaban ergänzte dazu am 20.02.19:
Hallo Momo,

wie schön, dass der Text dich ansprechen konnte!

Freitags bekommt er seinen Lohn und fängt an zu trinken. Getrunken wird, bis das Geld zur Neige geht. Manchmal reicht das Geld bis Montag. Zwischendurch wird mal kurz bereut und gebeichtet, wobei die Mutter nicht viel zu erzählen hat.

Hab herzlichen Dank für deine hinterfragende Rückmeldung und die Interpretation.

Liebe Grüße, S.

 EkkehartMittelberg (20.02.19)
hallo Sabine,
meistens geben deine Gedichte inhaltlich ein paar Probleme auf, bevor man sich der Form widmen kann. Diesmal ist inhaltlich alles klar, die Gestaltung des zwiespältigen Charakters umso bemerkenswerter. Du hast diesen Typ so lebendig geschildert, dass ich meine, ich hätte ihn genau gekannt.
LG
Ekki

 Isaban meinte dazu am 20.02.19:
Hallo Ekki,
manchmal muss man zurück zu seinen Wurzeln, um zu sehen, wo man steht. Ich habe beschlossen, ab und an wieder Ausflüge ins "Erzählerische" zu machen. das kann den Texten unter Umständen ein paar Ebenen nehmen, ich empfinde es dennoch als reizvoll, manchmal etwas länger auf einen Punkt zu schauen, der sonst nur Requisite gewesen wäre. Hier ist die Rolle des Vaters klar. Die Rolle der Mutter bleibt bis zum Schluss vage.
Ich freu mich, dass du in meinem Text einen guten Bekannten treffen konntest. Vielen Dank für deine Rückmeldung.
LG
Sabine

 tigujo meinte dazu am 20.02.19:
Kommt schön sachlich daher, ein wenig achselzuckend, genau so, wie im Umkreis davon üblicherweise wohl berichtet wurde - das macht es für mich noch eindringlicher: Drama ohne Drama.
Gelungen, einfach gut!
lg tigujo

 Isaban meinte dazu am 03.03.19:
Danke!
LG Sabine
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