Hässlicher Winter... mit Folgen!

Groteske zum Thema Gerechtigkeit/ Ungerechtigkeit

von  eiskimo

Norwegen, ein bitterkalter Winter, besonders in Oppland.  Thomas, seines Zeichens Geographiestudent aus Frankfurt, hat sich ganz kurzfristig zu dieser Exkursion in den hohen Norden entschlossen. Jetzt, am dritten Tag, ist er zu einer Wanderung ins Fjell aufgebrochen – Wetterumschwung! Schneesturm … er ist völlig ohne Orientierung. Dann, endlich, nach zwei Stunden verzweifelten Suchens, findet er eine Hütte, ja, sogar eine, die bewirtschaftet ist. Am Tresen nur ein mürrisch drein blickender alter Mann, der weder Deutsch noch Englisch versteht. Immerhin können sie sich auf einen heißen Kaffee verständigen und zwei oder drei Butterbrote. Thomas lebt wieder auf, er inspiziert die dunkle, rein mit Holz ausgebaute Hütte. Urig.  Am Kamin sieht er einen  Stapel Bücher, und dann darüber einen Zettel, der wohl zum Lesen, zum Tauschen oder gar zum Mitnehmen dieser Schinken einlädt. Thomas studiert die Titel und merkt, dass alles nur in Norwegisch ist. Oder doch nicht? Einer der Autoren da hat doch einen eindeutig englischen Namen: Bill Carnegie. Und dann liest Thomas erfreut weiter auf Englisch: „The German Wehrmacht-Crimes 1940!“  „Hmmm. Klingt nicht gerade heiter, aber wenn´s der Teufel will – er würde dieses schreckliche Wetter draußen jetzt mit einem schrägen Schmöker hier im Warmen überstehen können, egal wie mürrisch der Alte da an seinem Tresen herum machte. Und dass da mal die deutsche Wehrmacht hier im skandinavischen Norden war, da hatte er doch schon mal von  gehört, von einer Besatzungszeit, von unschönen Praktiken...,  Jedenfalls: Mal sehen, was Bill Carnegie ihm da enthüllen würde.
Am nächsten Tag kommen Ski-Wanderer in die Hütte, drei Norweger. Es ist kalt, der Holzofen glimmt nur noch. Sie rufen, wollen etwas Warmes zu trinken. Keine Antwort. Da sehen sie auf der Holzbank neben dem Fenster einen Körper, merkwürdig in sich zusammen gesackt. Auf dem Boden vor ihm liegt ein Buch.
Oha! Irgend etwas ist passiert. Etwas Schlimmes. Thomas kann es nicht mehr erzählen. Der Wirt  vielleicht?  Nein, der ist verschwunden.  Googlen geht auch nicht – der Text hier ist frei erfunden und bislang nicht veröffentlicht.
Dann lassen wir es einfach mal so stehen. Einfach eine Geschichte mehr auf der Liste, wo man nicht wirklich weiter kommt. Schade. Aber besser so hier im Warmen mal kurz den Kopf schütteln, als mit dem armen Thomas im bitterkalten Norwegen eine unschöne Vergangenheit zu bewältigen.
Ach so. Vielleicht sollte man noch die andere Geschichte erzählen, die Thomas ein paar Wochen zuvor erlebt hat. Auch was Komisches.
Thomas ist zu Besuch in Düsseldorf bei einem Studienfreund, ein Kumpel aus dem Hessischen. Der hat ihn zwar eingeladen, aber Zeit, um etwas Gemeinsames zu unternehmen, die hat er nicht.  Darum hängt Thomas ein bisschen neben der Spur und trödelt schon seit zwei Tagen nur so in der Stadt herum. Heute hat er sich mal vorgenommen, ins Kino zu gehen. Er ist gerade aus dem Bus ausgestiegen , da sieht er auf dem Boden eine kleine Papp-Schatulle liegen, darauf das Logo eines Hotels, das Mondial,  und per Kuli eingetragen darauf die Zimmernummer 406. In der Schatulle entdeckt Thomas dann eine Art Scheck-Karte. Er weiß sofort: Das ist sozusagen die Eintrittskarte ins Hotel. Damit kann er da nicht nur den Hotelaufzug benutzen, sondern auch problemlos in besagtes Zimmer 406.  Puhh, denkt er, das ist jetzt aber mal ein Wink des Schicksals. Und dann gleich das Hotel Mondial, eins der teuersten in Düsseldorf.. Was soll er Abwechslung im Kino suchen, wenn er hier ein Sesam-Öffne-Dich-Märchen erleben kann?  Nein, klauen gehen will er da nicht, Quatsch.Aber so unvermittelt die Schlüsselgewalt über eine Bleibe zu bekommen, so einen geschützten Raum, und dann inkognito dort einfach mal reinschnuppern, das reizt ihn doch ungemein.... Danach würde er die Karte sofort an der Rezeption abgeben, na klar – so viel Ehrlichkeit hat er!
Also macht er sich auf ins Zentrum, zum Mondial. Selbstbewusstsein ist alles, sagt er sich. Aber als er gespielt cool an der Rezeption vorbei schlendert, hat er doch Herzklopfen. Im Aufzug ist er ganz alleine, Siehe da, die Karte funktioniert, Er kommt ungesehen in den vierten Stock. Die Zimmer 400 bis 412 werden ihm in Richtung rechts angezeigt. Schon steht er vor „seiner“  Schatzkammer. Karte einführen, es gibt einen kleinen Peep, und schon lässt sich die Klinke herunterdrücken – nichts wie rein und Tür wieder zu.
Als erstes registriert Thomas das Parfum – hier wohnt eine Frau, weiß er sofort. Rechts neben der Tür ist eine Art Garderobe. Thomas mustert die Jacke und den Mantel, die da sehr ordentlich aufgehängt sind. Unten ein Paar mit Goldrand abgesetzte Pantoffel. Teuer, aber nichts Modernes  – die Bewohnerin muss schon älter sein.
Jetzt der Wohnraum. Der Zimmerservice war wohl schon da, das Bett ist gemacht. Auf dem Nachttisch ein Buch. Thomas kennt weder Autor noch Titel -  irgendetwas von einem Thorvald Bjelkes, und im Titel der Buchstabe O mit schrägem Strich durch -  das muss was Skandinavisches sein. Als Thomas hinterm Bett den Koffer sieht, will er Klarheit: Im Adress-Anhänger kann er als Stadt Narvik entziffern. Also ist er hier bei einer Norwegerin. Wahrscheinlich reist sie alleine. Mit Sicherheit aber ist sie zu alt für mich, grinst er.
Genug gesehen, sagt sich Thomas, raus hier. Schnell noch ein Blick auf den Schreibtisch, links. Ein Stoß Akten, oben drauf eine Klarsichthülle. Thomas stutzt. Er sieht das Foto von einer Frau mit Kinderwagen, schwarz-weiß, aufgeklebt auf ein vergilbtes Blatt Papier. Und darunter in Tinte der Text „Lena, vinter 1941“. Und in der selben Hülle, einfach mit hinein geschoben, das Foto eines deutschen Wehrmachtssoldaten. Darunter, in derselben Tinte, der Name Heribert Kluge. Thomas guckt sich den Helm und die Rangabzeichen genauer an  – da hört er jemanden an der Zimmertür hantieren.
(…) Oha!  Irgend etwas Dramatisches wird jetzt passieren. Thomas wird es nicht erzählen, der ist auf der Flucht. Die Frau vielleicht?  Nee, die kann nur Norwegisch. Googlen? Das war ja nach Episode eins schon sinnlos. Dann lassen wir doch diese Story mit geöffneter Zimmertür mal so stehen. Schon wieder eine Geschichte, bei der man nicht wirklich weiter kommt. Schade. Aber besser jetzt in den schön geheizten Mondial-Hotel abhängen, als in der kalten Hütte irgendwo in Norwegen. Übrigens: Thomas musste hier ja glimpflich davonkommen. Er hat ja in der Folge den winterlichen Auftritt im kalten Norden. Anders als wir Leser, die wir hier wieder nur den Kopf schütteln, hat unser Thomas sich diesen Heribert gemerkt. Und dann recherchiert. Er hat dieses ganze Thema „Norwegen“  wie gebannt fest gehalten. Merkwürdig. Und Norwegen dann ihn.

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