Bachstraßengeplätscher

Kurzgeschichte zum Thema Beobachtungen

von  Hartmut

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Ob nun der Name der Straße von der Pau, einem Bach ganz in der Nähe, stammt
oder von Johann Sebastian, wer weiß das schon? Jedenfalls ist sie schmal und mit Blech 24 Stunden zugeparkt.
Fast jeden Sonntag wird es gegen 10 Uhr laut. Norbert, immerhin schon 70, lässt Neil Youngs „Words“ raus.“
Zu dieser Zeit geht ich immer Brötchen holen und freue mich, wenn ich mithören kann. Sonntags muss man sich immer beim Bäcker anstellen. Da stehen nur Männer, meist unrasiert. Ich bin immer wieder überrascht wie viele Sorten von Brötchen es gibt: Mohn-, Sesam-, Roggen-, Drei-, Vier-, Schweden-, Spitz- und normale Brötchen. Wie kann die Verkäuferin all die Sorten, Wünsche, Preise und Extras behalten, wenn ich schon vergessen habe, wo  ich am Vortag mein Auto geparkt habe.
Natürlich kennt sie mich und ich hoffe immer, dass Sagittarius, das Zentrum unserer Galaxis, die Zeit anhält und die Eiligen hinter mir in einen tiefen Schlaf fallen. Nur ganz selten lächelt sie, aber wenn sie es tut ist es wie eine Erscheinung.
Von Penny in der Mozartstraße – welcher Dummkopf hat diesen Namen wohl erfunden – strömt abends rotes Licht, ein Hauch von Red Light in die Bachstraße.
Morgens gegen 10 ist es hier noch still und ich kann mich mit der Kassiererin unterhalten. Sie kennt meinen Namen aus einer Umtauschaktion (bei Nichtgefallen Geld zurück). Ihren wage ich nicht auszusprechen: Frau Lluviagata.
Heute trägt sie ein Kopftuch und bemerkt mein Erstaunen. „Ich muss unbedingt zum Friseur“, sagt sie lächelnd. Und dann, „ich bin eine Bosniake und Muslimin keine Angst.“
Sonderangebot nur für kurze Zeit! Eine Stromerzeugungsmaschine für 199 Euro. Jedem sein eigenes Kraftwerk auf dem Balkon. Warum empfinde ich klammheimliche Freude, wenn der Mann den Schwerpunkt seines Einkaufswagens falsch einschätzt hat. Beladen mit Paletten von H-Milch und Plastikflaschen (Shampoo) aus dem Sonderangebot, kippt der Wagen an der Bordsteinkante um.
Einmal entdeckt ich  ihre schwarzen Haare nur von oben. Sie kniet (ohne Kissen) vor dem Regal „Non food“: Streusalz. Ich spreche sie nicht an. Der Angehörige der „Viert-reichsten-Nation“ schämt sich. Dann bemerkt sie mich doch, steht auf und sagt: „Nur Christen knien so".

Das Ende der Bachstraße führt zu der Kreuzung Schillerstraße/Goethestraße. Hier beginnt das Südviertel mit einer Sparkasse. Schräg gegenüber eine Litfaßsäule. Mario Adorf macht Werbung für einen Hörgerätehersteller. „Hören wie früher“, verspricht der Lügner. Daneben die Bushaltestelle. Eine digital verstümmelte Schönheit wirbt halbnackt für eine Seifenfirma. „Je sauberer DU bist, desto schmutziger wird ES nachher werden“, verspricht sie. Die Invasion der Barbaren hat begonnen. Ich hoffe, dass Eta Carinae, ein implodierender Stern, auf seiner Reise in den Untergang diese Haltestelle mitnimmt.
Obwohl morgens immer ein Parkplatz in der Nähe zu finden ist, parken die Kunden direkt vor dem Eingang der Bank im Halteverbot. Jetzt steht hier ein sogenannter SUV mit Kind im Fond. Eine junge Frau steigt aus, Stiefeletten, enge Jeans, darüber ein (edler?) Poncho. Sie hat alle Insignien einer schönen, weißen Frau.
Ich  folge ihr, und wir müssen vor dem Geldautomaten warten. Als sie den Automaten bedient wird für einen Augenblick eine Rolex Lady an ihrem Handgelenk sichtbar.

Hat Yai: Eine Stadt im Süden Thailands, von blutigen Anschlägen immer wieder erschüttert. Zwei Religionen, die eine gilt als friedfertig, die andere als gottesfürchtig: Zu schwach? Zu stark?
Ich schlendere zwischen den Ständen und Food Stalls, sehe kleine Kinder unter Tischen schlafen. Ein Wagen mit großen Rädern fällt mir auf, ehemals ein Kinderwagen, beladen mit einem Schränkchen, darin Schubladen. Eine junge Frau ohne Kopftuch möchte mir etwas verkaufen. Ich bewundert die Konstruktion des fahrenden Bauchladens. Sie lächelt, ihre Augen sprechen und dann machte sie eine Schublade auf. Darin, auf Samt gebettet, eine Rolex. Sie sagt etwas oder besser sie versucht es. Dann schreibt sie den Preis auf: 50 Dollar, bückt sich, um eine andere Schublade zu öffnen und ich sehe, dass sie Hörgeräte trägt, groß, vorsintflutlich.

Ich verlasse die Bank zusammen mit einem sich laut streitenden Paar. Mario Adorf lächelt noch immer. Gerade startet die junge Mutter den BMW, die Autos von Aldi stauen sich an der Kreuzung, hupen, und ich schalte mein Hörgerät aus, möchte nichts mehr hören.

If I was a junkman
washing your cars.....

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