Mein Bruder

Prosagedicht zum Thema Flucht/ Vertreibung

von  AchterZwerg

Früher
als Kind wolltest du immer nur weg
mit den Händen durch Atlanten fächern
auf PVC in Richtung Westen fliegen
Verlorst dich oft und kehrtest heim
und sprachst mir verbotene Worte

Später dann
grubst du mit Freunden den Tunnel
durchlöchertest Todesgebiete
und ließest mich einfach zurück –
geschah das aus Sorge gar wegen der Öde
war es die Furcht vor dem Leben mit mir


Neulich erst
sah ich ein Foto von dir in der Zeitung:

Baust Brücken und giltst jetzt als häuslich


Anmerkung von AchterZwerg:

2009 (überarbeitet)

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (02.11.19)
Die Brücke zum LyrIch hat er noch nicht gebaut. Fürchtet er sich immer noch?
Liebe Grüße
Ekki

 AchterZwerg meinte dazu am 02.11.19:
Kann gut sein, Ekki.
Kinder und Jugendliche geben sich gern einmal die Schuld, selbst wenn sie keine haben: Das Kind für die Scheidung der Eltern oder eben für die Flucht eines Familienmitglieds.
Zumal ja bei der "Republikflucht" die ganze zurückgebliebene Familie abgestraft wurde, so dass sich dieser Gedanke geradezu aufdrängte.

Liebe Grüße
Pico
.
Sätzer (77)
(02.11.19)
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 AchterZwerg antwortete darauf am 02.11.19:
Das nehme ich auch an, Sätzer.
Für mich persönlich ist schon der wilde Wunsch nach der Musik, die ich hören / machen will, zureichend.

;-) der8.

 DanceWith1Life (02.11.19)
Eine Ode an die Öde, nein, eine Frage an, nein, nichts wird ausformuliert und wie so oft in zwischenmenschlichen Beziehungen bestimmt der Unterton die Interpretation, trickreich

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 02.11.19:
Danke schön, Dance,
das nehme ich als großes Kompliment.

Kerstin Hensel schreibt 1961 (Schatten Riß):
...
Breit, taub und lichtlos, und da ist was
Dazwischen
Gekommen
Und das geht mitten durch
Uns.

Herzliche Grüße
der8.
Al-Badri_Sigrun (61)
(02.11.19)
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 AchterZwerg äußerte darauf am 02.11.19:
Liebe Sigrun,
der Inhalt ist fiktiv (ich komme ja aus dem ehemaligen West-Berlin), habe aber schon oft von solchen Entfremdungen gehört und gelesen, von beiderseitigen Enttäuschungen, zuweilen von einem unkittbaen Riss im Familiengefüge.

Vielen Dank für deinen einfühlsamen Kommentar. Und natürlich für jeden vorherigen Beitrag vor Ort. :)

Schöne Grüße
der8.

 eiskimo (02.11.19)
Der Bruder, ein "Macher", der sich Freiräume schafft und Großes erbaut - die Brücke zur Familie aber lässt er einbrechen.
Für mich eine gebrochene Persönlichkeit.
Ein Text, der Geschichte lebendig werden lässt!
lG
Eiskimo

 AchterZwerg ergänzte dazu am 03.11.19:
Kann man so sehen. *heimlichstolzmalguck

 BeBa (02.11.19)
Hier hat wohl jemand erst einmal alle Brücken hinter sich abgebrochen, bevor er neue gebaut hat. Schade, dass er den Bauplan für die Brücke zum LyrIch wohl nicht kennt oder nicht kennen will.

LG
BeBa

 AchterZwerg meinte dazu am 03.11.19:
Grüß dich, BeBa,
ich denke, dass es hier um eine recht verbreitete Eigenart handelt.
Viele Menschen müssen das Alte erst (zer-) brechen, um Neuem Raum geben zu können.
Insgesamt lässt sich das wohl auch von der "Abwicklung" der DDR sagen.

Liebe Grüße
der8.

Antwort geändert am 03.11.2019 um 06:59 Uhr

 harzgebirgler (21.11.20)
wer brücken baut bricht ab sie auch bisweilen
um sich jäh nach woanders abzuseilen.

lg
harzgebirgler

 AchterZwerg meinte dazu am 21.11.20:
Lieber Henning,

ich bin ja ehemalige Westberlinerin; aber das Thema hat mich natürlich auch beschäftigt.

Herzliche Grüße
der8.
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