Von der Müdigkeit am Ende des Sommers

Lyrischer Prosatext zum Thema Melancholie

von  LotharAtzert

Gestern sah ich ein Rotschwänzchen sterben.
Es saß, ermattet von der brütenden Sommerhitze, auf dem Boden und ich nahm es vorsichtig in die Hand, um es aus einem Gefahrenbereich (Hund) an einen halbwegs sicheren Ort zu bringen, der noch dazu von Sonneneinstrahlung frei war. Ja wie schlug das kleine Herz bekümmert. Dann holte ich ihm noch ein Schälchen mit Wasser und stellte es dem armen Vogel zur Seite. Und außer Mantras sagen und gute Wünsche äußern, fiel mir nichts mehr ein, was ich noch hätte tun können.

Als ich nach zwei sorgenvollen Stunden nachschaute, blieben bei meiner Ankunft die Augen geschlossen, sein Herz schlug weiterhin. Wieder wusste ich nichts anderes zu tun, als den Bodhisattva des Mitgefühls zu bitten, für seine Wohlfahrt da zu sein.
Beim nächsten mal lag der kleine Körper schon auf der rechten Seite. Unvermindert schlug das Herz, was mir Tränen entlockte, wobei die innere Stimme so etwas wie "greife nicht ein, jedes Leben hat seine Zeit" zu sagen schien.

Beim dritten mal war der Vogel verschwunden und seither beschäftigt mich das, wohin der Geist entschwebt und in wessen Schlund vielleicht der kleine Körper  Hunger stillte .... oder könnte er auf wundersame Weise genesen sein? Hätte ich nicht etwas mehr für ihn tun können. Ach, mein Herz ist mit einem mal so schwer und  müde.

Am nächsten Tag war die Hitzewelle vorbei. Die Müdigkeit blieb.


Anmerkung von LotharAtzert:

 Evanescence - October

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter Wal (23.08.20)
Erstaunlich, dass kein größeres Säugetier das Rotschwänzchen vorher appetitlich fand. Kennst Du das wunderschöne letzte Gedicht Hesses? Er arbeitete es zuletzt in ein reimloses Prosagedicht um. Ich glaube, drei Tage vor seinem Tod entstand die dritte Version.

https://xara.org/knarren-eines-geknickten-astes/

 LotharAtzert meinte dazu am 23.08.20:
Ja, ich kannte es.
"Man ist geknickt, noch nicht gebrochen,
Man knarrt, sobald ein Windhauch bebt."
Mir persönlich gefiel die erste Version am besten, weil am ursprünglichsten.

Danke, insbesondere für den na du weißt schon.

 Dieter Wal antwortete darauf am 23.08.20:
Ich liebe die Drittversion. Sehr gekonnt, überaus klang- und stimmungsvoll. Und mehr als wahr in wirklich jeder Hinsicht.

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 23.08.20:
Sein "Glasperlenspiel" las ich übrigens im Bundeswehrknast, wo ich einsaß zunächst wegen "Fahnenflucht", was dann aber in "unerlaubtes Entfernen von der Truppe abgeschwächt wurde. Ist gut 50 Jahre her.

 Dieter Wal äußerte darauf am 23.08.20:
Das schreit nach Memoiren. Bitte teile privat mit, sobald sie abgeschlossen sind.

 LotharAtzert ergänzte dazu am 23.08.20:
Mach ich gern. Hier schon mal ein Vorgeschmack:

Marburg - ... aß der junge Mittelberg in der Mensa Hühnchen auf Reis, während nur ein Steinwurf weiter der wehrzersetzende Kanonier Atzert mit der Zahnbürste ein Klo zu putzen hatte - selbstverständlich am Wochenende ....

Antwort geändert am 23.08.2020 um 15:47 Uhr

 Dieter Wal meinte dazu am 23.08.20:
"Marburg - ... aß der junge Mittelberg in der Mensa Hühnchen auf Reis, während nur ein Steinwurf weiter der wehrzersetzende Kanonier Atzert mit der Zahnbürste ein Klo zu putzen hatte - selbstverständlich am Wochenende ...."

..., während nur einen Steinwurf weiter...

Ansonsten weitermachen. Gefällt mir.
Aha (53)
(23.08.20)
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 LotharAtzert meinte dazu am 23.08.20:
Tknupsgnagsua
eknad

 Regina (23.08.20)
"mit der Zahnbürste ein Clo zu putzen", zum Glück nicht mit der Clobürste die Zähne!

 Dieter Wal meinte dazu am 23.08.20:
Nimm Chlor!

 LotharAtzert meinte dazu am 24.08.20:
und Napalm für die Körperenthaarung.
Dankeschön
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