Beobachtungen am See

Tagebuch zum Thema Alleinsein

von  tulpenrot

von meiner Bank aus schaue ich auf die silbrig glänzende Wasserfläche
mit kleinen Kräuselwellen spült sich der See ans Ufer
der Wind zieht Spuren hinein
eine milde Sonne, nicht zu warm, bräunt Arme, Beine und Gesichter der Urlauber
im See schwimmt eine Frau
seltsamerweise kommt sie kaum vom Fleck
ich mache mir Sorgen um sie
Optimisten setzen ihre Segel für den Segelunterricht und geben so den Booten Tempo
Vater, Mutter und Geschwister warten mit dem Abendessen
vermutlich Felchen und Salat

zwei Yorkshire–Terrier trotten am Ufer neben ihrer Besitzerin her
sie trägt ein lose fallendes rosafarbenes Faltenkleid
ich weiß nicht, ob ich es schön finde
auch ihre Stiefel finde ich merkwürdig
es ist doch Sommer
ein junges Elternpaar kommt mit forschem Schritt vorbei
der Kies knirscht unter den Rädern des Kinderwagens
ein Kind spritzt mit seiner Wasserpistole die vorbeigehenden Menschen nass
die Schwimmerin ist jetzt tatsächlich am Ufer
ich bin erleichtert und breche auf
gehe zum Osthafen und setze mich ins Strand-Café
es riecht nach Karamell
ich bestelle eine Seglerschorle
sie schmeckt wie immer, fruchtig und leicht bitter
ein Teil meiner Seele gehört hierher
obwohl ich immer nur Gast bleiben werde
nur ein Ausflug allein
ich versuche ihn zu genießen

am Nebentisch ein Geschäftsmann
seine Frau ist hübsch
sein Handy klingelt
er nimmt das Gespräch an
ich bin schwerhörig und verstehe nichts
die Reichen sind alle hübsch und schlank
und schauen so vornehm lächelnd herum
unten auf dem Uferweg fährt ein motorisierter Rollstuhlfahrer vorbei
er hat ein verzerrtes, entstelltes Gesicht
sein Kopf liegt schief auf den Schultern
keiner beachtet ihn
warum auch
ein Gast am Nachbartisch schneidet geräuschvoll sein Fleisch
dann wird es vornehm in den Mund geschoben, verhalten gekaut
man gibt sich keine Blöße, auch nicht vor dem Partner
es gibt für alles Regeln

der See ist so still
nur der vorbeifahrende Zug dröhnt so laut bis hierher
drüben auf der anderen Uferseite zieht es sich zu
spätestens morgen wird es regnen
deshalb bin ich froh, dass ich heute hier gewesen bin
allein unter Fremden, um zu vergessen
die Abendgäste kommen
ich gehe


Anmerkung von tulpenrot:

29.08.2012

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(03.03.21)
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 tulpenrot meinte dazu am 03.03.21:
Danke dir. Dein Kommentar freut mich. LG Angelika

 Moja (03.03.21)
Szene für Szene erlebe ich mit, liebe Tulpenrot, so ganz von innen heraus betrachte auch ich beim Lesen die Leute, das Umfeld und fühle mich allein unter den anderen, die mich anscheinend gar nicht wahrnehmen und die Mühe, die es macht, diesem Ausflug etwas abzugewinnen,
Verrate mir mal, was Felchen sind zum Salat.

Liebe Tagesgrüße,
Moja

 tulpenrot antwortete darauf am 03.03.21:
Fein, dass du das alles miterlebst - virtuell natürlich.
Felchen sind Speisefische, eine Delikatesse, die man am Bodensee sehr schätzt. Sie werden frisch gefischt serviert. siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Bodenseefelchen
Ich liebe die Fische - und den See.
Auf der Insel Reichenau wird viel Gemüse und Obst angebaut und weit über Region hinaus verkauft. Auch das ist immer hoch begehrt, auch die passende Salatsoße. UInd am See sitzen und das alles genießen - ein bisschen Paradies! Wer das erlebt hat, ist dauerhaft "geschädigt"

 Moja schrieb daraufhin am 03.03.21:
Verführerisch, würde am liebsten gleich mit Dir hinfahren, Seefelchen mit Salat essen und ein bisschen im Paradies sitzen

Schöne Abendgrüße,
Moja

 tulpenrot äußerte darauf am 03.03.21:
JAAAAA!!

 AZU20 (03.03.21)
Da hast Du eine Menge erlebt und gut beschrieben. LG

 tulpenrot ergänzte dazu am 03.03.21:
Man muss nur die Augen offen halten und einen Schreibblock zur Hand haben. Und dann merkt man erst, wie gegensätzlich verschieden doch die Menschen sind.
LG und Danke fürs Lesen und Empfehlen und Kommentieren. LG

Antwort geändert am 03.03.2021 um 17:35 Uhr
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