Reden, obwohl ich schweigen will - ein Geständnis

Tagebuch zum Thema Unsicherheit

von  tulpenrot

Ich schweige viel zu viel, denke ich – nicht weil ich an meiner Umgebung und einem Austausch uninteressiert wäre, sondern weil ich das Gefühl habe, dass andere viel berechtigter sind, sich zu Wort zu melden, z. B. zum Weltgeschehen. Weil sie besser informiert sind, sich besser auskennen, weil sie sich ihre fundierte Meinung gebildet haben, während ich noch unschlüssig bin, was ich denken und meinen soll. Ich lese Nachrichten auf verschiedenen Kanälen, höre Kommentare aus unterschiedlichen Quellen, aber immer mit dem Gefühl, trotzdem nicht genug zu wissen, um etwas Entscheidendes zu sagen. Mir gehen z. B. so viele Argumente durch den Kopf, ohne dass ich sie gewichten könnte, ohne zu wissen, was treffender ist. Ohne die Hintergründe zu durchschauen, warum etwas so geworden ist, wie es geworden ist.

Ich kann mir kein Bild machen, komme zu keiner Bewertung – es zerfällt  immer wieder, bröselt sich auf in viele kleine Einzelteile. Und ich steh da, ungebildet, alt geworden und hilflos. Ich ärgere und schäme mich und muss dennoch so leben. So wie fein ziseliertes Metall.



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Kommentare zu diesem Text

Muckelchen (70)
(23.10.23, 12:18)
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 tulpenrot meinte dazu am 23.10.23 um 15:55:
Das hat mit dem Alter nichts zu tun, es hat mit einer Eigenart zu tun, die zugleich Segen und Fluch ist - ich analysiere gerne und oft Verhältnisse und Gegebenheiten sehr ausführlich und verheddere mich dann in lauter "Fürs und Widers". Und solange ich nicht genau weiß, auf welche Seite "die Waage" ausschlägt, sag ich nichts. Und ich mag mich nicht ohne weiteres auf eine Seite schlagen, ohne genau zu wissen oder abzuschätzen, welche Konsequenzen daraus folgen Ich bin daher schon immer ein aufmerksamer Zuhörer gewesen, weniger ein lautstarker Diskutierer.

 millefiori antwortete darauf am 23.10.23 um 20:50:
Ich kann da voll mitfühlen, ich finde dann auch immer so viele Für und Wider für beide Seiten, weil ich mich immer versuche in beide Seiten hinein zu versetzen. Ich finde aber, dass das nicht immer falsch ist, denn oft wird zu vorschnell geurteilt oder gehandelt und dann kann es nicht mehr rückgängig gemacht werden. Und je älter ich werde, desto bewusster wird mir das. 

Liebe Grüße
millefiori 😘

 tulpenrot schrieb daraufhin am 23.10.23 um 21:22:
Ja, diese "Schnellschüsse" im (Ab-)Urteilen oder beim Lösen von Streitfragen finde ich auch sehr problematisch. Aber irgendwann muss ich dann doch einmal zu einem Ergebnis oder Standpunkt kommen, den ich dann den anderen mitteilen sollte. Oder man handelt so gelassen wie Maroon s.u.

 AZU20 (23.10.23, 12:44)
Wenn ich Deine Texte lese, denke ich, Du solltsest Dein Licht nicht unter einen Scheffel stellen. Mut!!!

 minimum äußerte darauf am 23.10.23 um 13:50:
Dem schließe ich mich uneingeschränkt an.

 tulpenrot ergänzte dazu am 23.10.23 um 15:58:
:-) In meinen Texten beweg ich mich ja auch auf sozusagen "sicherem" Terrain.

 Maroon meinte dazu am 23.10.23 um 16:00:
Den ersten Absatz kann ich gut nachvollziehen, da ich ähnliche Gedanken habe.

Im Gegensatz zu dir freue ich mich allerdings eher darüber, dass ich mir den Luxus erlauben kann, keine Meinung haben zu dürfen.

Stattdessen greife ich zur Gitarre, singe ein paar verträumte Liebesballaden und genieße die warme Herbstsonne ...

In diesem Sinne ... ;)

lg
Maroon

 tulpenrot meinte dazu am 23.10.23 um 19:42:
Deine Antwort gefällt mir! Man (ich) muss nicht zu allem eine Meinung haben! Ich geh dann doch lieber spazieren, fotografiere - und mach auch Musik oder lese in meinen vielen Büchern oder putze Fenster (in echt!). Doch manchmal überkommt mich das Gefühl, dass das nicht genug sei.....

 AchterZwerg (23.10.23, 16:12)
Kein Grund, sich zu genieren. 8-)
Bewertung ist nun mal ein Prozess, der die verschiedensten Aspekte berücksichtigen muss - und das kann dauern.
Recht eigentlich ist es doch das vorschnelle Urteil, das Schaden anrichtet ...

Herzliche Grüße
der8.

 Rosalinde meinte dazu am 23.10.23 um 16:38:
Du bist unsicher, Tulpenrot, weil du in dem, was dir bekannt ist, vermutlich nichts Neues entdeckst und weil du nach gründlichem Nachdenken verschiedene Für und Wider bemerkt hast, die du nicht abzuwägen weißt.

Ja, es ist schwierig, Stellung zu beziehen. Aber das ist es, worauf es heute ankommt, sonst wirst du eines Tages schrecklich überrascht sein. Informiere dich in den alternativen Medien, dort findest du eindeutige Aussagen von Leuten, die sich kein X für ein U vormachen lassen wie in den sogenannten Qualitätsmedien. Aber auch bei den alternativen Medien gibt es Qualitätsunterschiede. Das bemerkst du, wenn du dich eingelesen hast. Und schreib ruhig, was du ganz aus dem Bauch heraus denkst. Kein Grund für Schüchternheit.

Lieben Gruß, Rosalinde

 tulpenrot meinte dazu am 23.10.23 um 19:48:
@ Achter @ Rosalinde 
Ich mag ungern zu den Leuten gehören, die zu ALLEM etwas zu sagen haben, die einfach unüberlegt einfach irgendetwas übernehmen, nur um mitreden zu können.... Vielleicht ist es die Scheu davor...?

 EkkehartMittelberg (23.10.23, 16:56)
Hallo Tulpi,
hast du dich genau darauf überprüft, ob du dich nicht hinter Unschlüssigkeit versteckst, um nicht in den Meinungsstreit gezogen zu werden?

LG
Ekki

Kommentar geändert am 23.10.2023 um 16:56 Uhr

 Redux meinte dazu am 23.10.23 um 18:41:
Erst einmal ist es gut, wenn du die Dinge abwägst und hinterfragt. 
Du hast einen gesunden Menschenverstand und wirst die richtigen Schlüsse ziehen.
Und wenn sie dennoch in die falsche Richtung gehen sollten, so wirst du wie jeder andere auch irgendwann eines besseren belehrt.
Leider wird man, gerade durch das Netz, durch ein Überangebotan Informationen schlicht weg erschlagen. 
Und falsche Ratgeber sind überall und schnellstens zur Stelle.
Ich denke dein Verstand und deine Lebenserfahrung sind da gute Begleiter...

 tulpenrot meinte dazu am 23.10.23 um 20:01:
@ Ekki, da ist etwas dran. Ich misch mich ungern in Streitgespräche ein, vor allem dann nicht, wenn ich den Sachverhalt nicht durchschaue. So bleib ich lieber still, auch  wenn mein Schweigen für mich nachteilig sein sollte. Ob es immer ratsam ist, so zu leben, bezweifel ich inzwischen. Deswegen dieser Text.
@ Redux Deine Worte sind eine richtig gute Ermutigung! Wie ich in meinem ersten Kommentar schon schrieb, bin ich jemand, der sehr detailliert einen Sachverhalt analysieren will, bevor ich etwas sage. Aber nicht selten verliere ich mich in den Details und dann komm ich zu keinem Ergebnis. Das ist blöd.
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