Wir lieben Schafskäse

Tagebuch zum Thema Andere Kulturen

von  tulpenrot

Wir lieben Schafskäse, meine Tochter und ich, legen ihn ein in Öl, streuen Thymian und Rosmarin darüber, dazu eine Knoblauchzehe, ein Lorbeerblatt, Chilischoten. Es schmeckt so unglaublich gut. Zu Brot, zu Kartoffeln, zu Fleisch. Am besten schmeckt das Fladenbrot von diesem Feinkosthändler dazu, der von Donnerstag bis Samstag jede Woche vor dem Supermarkt im Nebenort steht. Und am besten schmeckt der lose Schafskäse bei ihm, nur bei ihm. Er liegt in einer Salzlake in großen, dicken Scheiben. Schon der Gedanke daran macht Appetit. Der Verkäufer weiß im Voraus, was wir noch so gerne essen und bei ihm einkaufen: Garnelen in Senfsoße, Frischkäse mit Senf und Honig, Oliven mit Chilis oder mit Mandeln gefüllt, Zaziki, eingelegte Champignons, gefüllte Tomatenpaprika und noch so einiges. Er lächelt wissend, während er unsere Wünsche in Tüten und Plastikdosen füllt. Immer ganz still, ohne viele Worte zu machen, bewegt er sich in seinem Wagen in Ruhe hin und her, arbeitet konzentriert und sorgfältig.

Heute ist er irgendwie anders, schaut uns fröhlich an. Vielleicht weil wir endlich mal wieder nach vielen Wochen bei ihm einkaufen, denke ich? Er erkennt uns jedenfalls als seine Kunden wieder. Das Besondere:  er redet mit uns, ist sehr gesprächig, ja geradezu überschwänglich und persönlich. Das war er über all die Jahre nie. Und so erfahren wir, dass er sich sehr freut. Er wird zu seiner Familie fahren, nach 4 Jahren das erste Mal. Für 5 Wochen. Wir drücken unsere Mitfreude aus, und er erzählt, wie es in seiner Familie zugeht. Da sind immer alle zusammen, sagt er. Man sitzt am Feuerherd und redet viel miteinander, ist freundlich und herzlich. Das genießt er. Es ist anders als hier in Deutschland, wo alle so distanziert sind. Man hört seine Sehnsucht heraus.

Als Kind sei er im Krieg aufgewachsen, er kennt nur den Krieg aus seinen Kindertagen. Jahrelang. In Afghanistan. Ich erschrecke, ich dachte immer, er sei Türke oder sowas. Das Wort Afghanistan macht etwas mit uns. Auf einmal stehen die Probleme mit diesem Land und mit dem Krieg vor uns, leibhaftig. Aber diesmal nicht nur als fernes, politisch ungelöstes Geschehen, sondern als Vorfreude eines nahe vor uns stehenden Menschen.

Ich kann meine Gedanken in diesem Moment gar nicht ordnen. Alles geht durcheinander. Jetzt ist doch der Krieg mit der Ukraine aktuell, das mit Afghanistan ist so weit weg gewesen. Mit 17 Jahren sei er von zu Hause weg gegangen, erzählt er weiter, arbeitete mal hier, mal da und kam vor 15 Jahren in unseren kleinen Ort. Und bekam auch sofort diese Stelle. Seitdem steht er in seinem Verkaufswagen vor dem Lebensmittelmarkt und verkauft „Antipasti und Feinkost für Gourmets“, so die Werbung auf dem Wagen. Das ist etwas hochtrabend, aber wir gönnen ihm seine Stelle. Und es schmeckt uns ja auch, was er anbietet. Er schenkt uns ein ganzes Fladenbrot zusätzlich zu unseren Einkäufen und für jeden von uns ein großes Stück von der gebackenen Pastete, gefüllt mit Schafskäse und Spinat.

Seine Freude schwappt auf uns über. Ich kann es gar nicht ausdrücken, wie uns zumute ist. Einesteils schwingt neben der Freude auch Trauer mit, über ein zerstörtes Land, verstörte Menschen. Andererseits hören wir von dem Zusammenhalt und der Freundlichkeit der Menschen, trotz des Elends. Und wir? Wir leben hier gleichgültig und herzlos nebeneinander in materiellem Überfluss. Meine Tochter sagt spontan zu ihm, dass er seine Familie von uns grüßen soll. Wir kennen sie zwar nicht, aber wir möchten auf irgendeine Weise gut zu ihnen sein. Aus der Ferne nahe sein. Am liebsten würde ich mitfahren, und eigentlich würden wir den Feinkostverkäufer aus Mitfreude umarmen. Aber das schickt sich nicht und geht ja auch nicht – er im Wagen, einen Meter höher als wir. Eigentlich sollten wir ihm etwas für seine Familie mitgeben, sagt meine Tochter im Weggehen zu mir – aber was? Und wie? Hilflos, aber doch reich beschenkt gehen wir nach Hause und essen in den folgenden Tagen mit vielen Gedanken Schafskäse und all das andere Gute. Und werden satt.




Anmerkung von tulpenrot:

Aktuelles vom 15.03.2022
In Afghanistan leiden nach Angaben der Vereinten Nationen mittlerweile 23 Millionen Menschen unter "akutem Hunger" - mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Der stellvertretende UN-Sonderbeauftragte für humanitäre Angelegenheiten, Ramiz Alakbarov, sprach am Dienstag von einer Krise unbekannten Ausmaßes.
Quelle: Gossau24.ch

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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (14.03.22, 18:08)
Liebe Angelika,
das sind die kleinen unspektakulären Alltagsgeschichten, die der Beweis sind, dass wir alle in Frieden miteinander leben könnten!
Du verstehst sie zu erzählen!
Herzliche Grüße
TT

 tulpenrot meinte dazu am 14.03.22 um 18:35:
Danke, lieber Hans Georg. Es war wirklich sehr berührend am vergangenen Samstag. Ich fand es nicht ganz leicht, die richtigen Worte dafür zu finden. Ich las aber heute etwas Vergleichbares (aber dennoch etwas völlig anderes) und dieser Artikel half mir auf die Sprünge.
Einen angenehmen Abend
Angelika
wa Bash (47) antwortete darauf am 14.03.22 um 18:39:
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 tulpenrot schrieb daraufhin am 14.03.22 um 19:42:
Ja, stimmt, auch im Salat!! Da kann man nur schwärmen!
Danke für das Sternchen!
LG

 AchterZwerg (15.03.22, 07:20)
Liebes Tulpenrot,

es ist erstaunlich anzusehen, wie eine Katastrophe durch die nächste abgelöst wird und dadurch fast in Vergessenheit gerät.
Gut, dass wir zuweilen durch die Glücksgefühle anderer aus dieser "natürlichen" Abfolge hinauskatapultiert werden.
Deine Geschichte gibt ein gutes Beispiel dafür.

Herzliche Grüße
der8.

 tulpenrot äußerte darauf am 15.03.22 um 08:50:
Liebe(r) 8.,

und vor allem, wenn es so unverhofft und von einer völlig unerwarteten Seite kommt!
Es mischen sich aber auch Befürchtungen darunter, ich weiß nicht, wie ich das so richtig beschreiben kann, was mich da bewegte. Jedenfalls war es sehr eindrücklich und auch seltsam fremd.

Danke für dein Lesen und das Sternchen.

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