Die letzte Begegnung

Ballade zum Thema Abschied

von  AZU20

Sie kniete hinter ihm,
zog ihm sein Gewand über den Kopf,
führte ihn zu einer Bank,
von zahlreichen Teelichtern umgeben.
Sie schrieb mit einem Pinsel
auf seine nackte Haut.

Auch der längste Marsch
beginnt mit dem ersten Schritt.
Dann reichte sie ihm den goldenen Kelch.

Ich werde den Schierlingsbecher zum Mund führen,
ich trinke ihn bis auf den Grund,
zum Übergang in ein anderes, besseres Sein.

Das Weiche besiegt das Harte,
das Schwache triumphiert über das Starke.
wer sich selbst erkennt, ist erleuchtet.

Er flog hinaus in die Nacht,
umringt von dunkel leuchtenden Farben,
die von der Himmelkuppel herabfielen
wie blutiger Schnee.
Der Weg, den wir zurücklegen müssen,
um unsterblich zu werden.

Er fühlte sich unendlich traurig
und unermesslich glücklich zugleich,
ruderte mit den Armen
als wären sie Flügel.
So flog er in sich hinein
immer tiefer und tiefer.

Ihm wurde heiß und kalt,
ein bitterer Geschmack von Rot auf der Zunge,
ihm schwindelte,
Unruhe trieb ihn weiter hinein
in die verborgenen Winkel seiner Seele.

Er genoss das kräftige Strömen,
nahm seine Bahn in die Erkenntnis seiner selbst,
gelangte an einen tieferen Ort
der endgültigen Befreiung
und fühlte sich rein und berauscht.

Als die Dunkelheit herabsank
und der Raum nur noch von flackernden Kerzen
in eine gespenstische Szene
zwischen Tag und Nacht getaucht wurde,
erhob sie die Hände zum Gebet.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (05.03.21)
Diese letze Begegnung trägt ihre Ästhetik in sich.
Die Begleiterin nähert sich dem Todsuchenden (wohl auf dessen eigenen Wunsch) zärtlich. - Sokrates (?) fürchtet den Tod nicht - wohl aber das Ende seines Erkenntnisprozesses.

Die "endgültige Befreiung" ist hier Höhepunkt und Ausklang zugleich.

Sehr schön, Azu.
:):):)

 AZU20 meinte dazu am 05.03.21:
Ich danke Dir. Du gehst in die Tiefe. LG

 TassoTuwas (05.03.21)
Man kann es sich nicht aussuchen.
Kein Ende ist den andern gleich!
LG TT

 AZU20 antwortete darauf am 05.03.21:
Ja, so ist es. LG

 GastIltis (05.03.21)
Hallo Armin,
wenn man nicht so sehr viel schreibt, dann etwas Bedeutendes. Das ist dir gelungen!
Herzliche Grüße von Gil.

 AZU20 schrieb daraufhin am 05.03.21:
Vielen Dank, lieber Gil, lG

 linkeln (08.03.21)
Da ist sie, die Erotik und der Tod. Beide haben eine starke Anziehungskraft. Beide haben den Rausch in sich. "die gespenstische Szene" hätte es als Kommentar nicht gebraucht. Vielleicht war es auch kein Gebet, sondern es reicht wenn sie die Hände faltet und erhebt.

 AZU20 äußerte darauf am 08.03.21:
Vielen Dank für den interessanten Kommentar. LG
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