Psychiatrie-Tagebuch, Teil 10

Tagebuch zum Thema Psyche

von  Koreapeitsche

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Als Langzeitsingle muss ich mich immer wieder hinten anstellen. Die liierten können weiter fleißig fremdgehen. Ich muss mir das mit ansehen. Ich werde nächste Woche den restlichen Text für „Meine ersten Chaostage“ tippen. Ich könnte übers Wochenende und danach auch mit dem Korrekturlesen des Ergonomie-Skripts anfangen. Ich ließ heute einen Beutel mit Büchern, “Time“-Magazine etc. zu Hause. Ich hoffe, dass ich nicht über den 30.3. hinaus hier bleiben muss. Die Leute hätten mir besser und deutlicher erklären müssen, dass es hier wirklich um meine Gesundheit geht und nicht darum, mich zu disziplinieren. Denn das ist nicht ganz deutlich geworden. Ich habe gerade festgestellt, dass die Ader an der rechten Armbeuge von der Blutabnahme durch Hr. Jakubek dick geschwollen ist. Ich hoffe mal, dass das die Ausnahme bleibt.
 
 
 
 
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So. 15.03.2019
 
Laut Udo, meinem Bettnachbarn, soll der HSV heute 2 : 0 gegen Cottbus gewonnen haben, ist wohl jetzt Tabellenzweiter. Ich war heute wieder kurz in meiner Wohnung, holte die Allensbach-Unterlagen ab. Philipp Hirschfeld hat bereits zugesagt, an einer Test-Umfrage teilzunehmen. Auf Hin- und Rückweg war ich im „Peaberries“, trank erst einen normalen Kaffee, einen entkoffeinierten und auf dem Rückweg einen Espresso. Meine Wohnung ist soweit in Schuss. Am Mittwoch gegen 13 Uhr holt mich ja Hr. Wichmann ab um mit in meine Wohnung zu fahren. In der Parterre ist „Flenker-Bestattungen“ eingezogen. Ich glaube jedoch, dass die Filiale noch nicht eröffnet ist. Ab morgen will ich im Rahmen der Ergotherapie mit Kalligraphie beginnen. Ich täte gut daran, der Ergotherapeutin und auch den Physiotherapeuten mein
 
 

 
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Ergonomie-Skript zu empfehlen. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daraus noch etwas mehr zu machen als nur die einfache Publikation. Ich will in der nächsten Woche die beiden Texte für die Kurzgeschichte „Meine ersten Chaostage“ (zu) ergänzen, ich will auch den Ergonomie-Textbaustein tippen. Ich will mit Philipp das Interview machen und mit Hr. Wichmann in meine Wohnung. Das ist eine ganze Menge. Ich hoffe, dass ich nun wirklich am 30.03. hier herrauskomme. Alles andere wäre kriminell und würde bei mir Fragen aufwerfen. Der eine junge Mann, der hiermit auf der P4 ist, scheint mit Psychopharmaka vollgepfropft zu sein. Er hat sich eine Schlägerei mit der Polizei geliefert. Für viele gilt er deshalb als Held. Doch vor den Richtern darf das niemand zu laut aussprechen, um es sich mit denen nicht zu verscherzen. Ich wusste doch,
 

 
 
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dass das das goldene Kalb in der Gesellschaft ist, die Unantastbarkeit der Polizei. Der lange Hr. Freitag ist ebenfalls hier, da er sich im Suff bölken mit der Polizei angelegt haben soll. Er soll in eine Psychose-Sucht-Klinik nach Kropp, obwohl ich den nicht so schlimm finde. Ich glaube, es mangelt an täglichen Anlaufstellen für diese frustrierten  Menschen außerhalb der Klinik. Eine gute Behandlung der Erkrankten bzw. Aufmüpfigen scheint an den Finanzen zu scheitern. Ich will versuchen, mit den Interviews wieder Tritt zu fassen. Wenn ich das mindestens drei Monate mache, kann ich mir auch wieder ein Arbeitszeugnis ausstellen lassen. Ansonsten kann ich in nächster Zeit noch das Ergonomie-Skript korrekturlesen und auf den Berlinroman - step by step. Um noch einmal auf den jungen Mann, der sich mit der Polizei anlegte, zurückzukommen: Er geht wirklich wie in Zeitlupe, so dicht ist der. Die sparen sich hier die Beratungsgespräche mit den Psychiatern und Psychologen und
 

 
 
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pumpen den Menschen stattdessen mit Tabletten etc. dicht. Ich finde das moralisch verwerflich. Auf dem Rückweg vorhin habe ich auf einem Sperrmüllhaufen ein gebrauchtes Schachbrett gefunden - ohne Figuren. Ich sagte: „Da kenne ich überhaupt nichts!“ und schnappte es anderen Weg. Es ist 20:54 Uhr. Die Medien sind noch voll mit dem Amoklauf in Winnenden, bei dem 16 Personen starben. Der Vater des Amokläufers war ein Waffennarr, bei dem sich der Sohn bedienen konnte. Das ist schon Skandal genug. Ich glaube, dass einige Leute die Amokläufer insgeheim verehren, zumal auch mehrere Computerspiele in diese Richtung (Amoklauf) abzielen, auch wenn das nur Situationen beim Militär simuliert. Ich finde es schrecklich. Vor Aufkommen des Internet und der Computerspiele gab es diese Problematik noch nicht, soweit ich weiß.
 

 
 
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Mi. 18.03.2009
 
Ich bin jetzt auf der P3a. Ich habe jetzt doch ein wenig Schwarzschimmel entdeckt, hier im Zimmer 7 am Fenster und an einer Herrendusche. Das reicht für eine sofortige Schließung. Gleich kommt Herr Wichmann. Wir wollen in meine Wohnung. Es ist 13:02 Uhr.
 

 
 
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Do. 19.03.2009
 
Mona sagte mir vorhin, dass ihr vorgehalten wurde, sie unterhalten sich zu viel mit mir, wahrscheinlich von Fr. Wilms. Ich erhielt vorhin aus Versehen statt eines Duschgels eine Creme, konnte mich nicht einseifen, als ich duschte. Auch auf Station P3 herrscht starker Baulärm. Zum Frühstück musste mir eine Mahlzeit zusammengestellt werden, es war keine an mich „adressiert“. Das Essen scheint leicht matschig zu sein, schmeckt aber trotzdem. Das mit meiner Neurodermitis an den Händen ist schmerzhaft geworden. Ich werde gleich mal nachfragen, was ich da machen kann. Ich will nachher auch in die ZBW und das Buch von Vance Packard zurückgeben. Wenn ich hier wieder raus bin, werde ich es mir erneut ausleihen.
 
 
 
 
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So. 22.03.2019
 
So, ich soll noch einen Tag hier bleiben. Das heißt, dass ich am übernächsten Mittwoch früh entlassen werde, sofern alles nach Plan verläuft. Gestern Abend gab es ansatzweise Streit hier. Als ich den beiden Pflegerinnen sagte: „Hab Ihr zwei Zettel zum Schreiben für mich?" sagte mir die dicke Pflegerin: „Bitte duzen sie uns nicht!“ Ich wehrte mich, sagte in der deutschen Sprache kann ich „ihr“ verwenden, ohne die Gesprächspartner zu duzen.“ Jetzt bin ich mir da gar nicht mehr sicher. Jedenfalls ist „ihr“ nicht „du“, und jemand wird meiner Meinung nach nur geduzt, wenn er auch tatsächlich mit „du“ angesprochen wird. Im Englischen heißt „duzen“ ja auch “to say du“. Seit gestern Abend haben wir auch einen Neuen hier auf Station, der sich mir als Ingo vor-
 
 
 
 
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stellte, der früher von einem albanischen Dealer reines Kokain gekauft hat, dass er sich injizierte. Es ist jetzt 11 Uhr 20 Uhr. In zehn Minuten gibt es Mittag. Vor einer Woche habe ich auch einen   Krankenhausvertrag ausgehändigt  bekommen, den ich unterschreiben soll. Ich werde vorher jedoch Hr. Fitza fragen, ob das negative Konsequenzen für mich haben kann. Gestern war ich in meiner Wohnung, ging kurz beim Sultan Markt einkaufen. Ich kochte mir ein Reisgericht, legte mich hin zum Mittagsschlaf, ging Wäsche waschen, wechselte dazu Geld in einer Spielhalle am Exerzierplatz, Henkel einen Teil der Wäsche im Schlafzimmer auf und ging zurück in Richtung Zip. Wie schon auf dem Hinweg machte ich eine Pause im Peaberries. Die schwarzhaarige Polen arbeitete jetzt dort. Ich bestellte nur, und er hielt mich nicht mit ihr. Nach dem Essen will ich erneut in die Wohnung. Mona wollte heute morgen ins Käpt'n Flint.
 
 

 
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Ich finde es sehr unhygienisch, dass wir hier auf der P3 ständig unsere selben Tassen verwenden müssen. Das sieht das Personal hier anders. Ich will mit Mona eine Tasse Tee trinken, doch wir haben nur unsere gebrauchten Tassen. Wenn ich Mona jetzt zu einer Tasse Grünen Tee einladen will, muss ich die beiden gebrauchten Tassen hier abspülen. Ich finde es nicht okay, auch nicht, dass Patienten Tischdienst, Getränkedienst RC machen müssen, nur weil hier Personal wegrationalisiert wurde oder die die Patienten nicht alleine an den Geschirrspüler lassen.
 
 


Anmerkung von Koreapeitsche:

(Fortsetzung folgt)

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