Ein Fall vom Antisemitismus beim Fußball

Kurzgeschichte zum Thema Sport

von  Koreapeitsche

Es war recht kalt, die meisten Spieler trugen lange Hosen, Schals und Handschuhe. Nun ereignete es sich, dass während des Trainingsspiels ein junger Spieler einem Gegenspieler hinterherjagte und ihn aus heiterem Himmel als Juden bezeichnete. Er lief ihm immer weiter hinterher, versuchte von hinten zu faulen und schrie wieder: „Du Jude!“ Das wirkte schockartig und brachte den ältesten Spieler auf die Barrikaden, der sofort intervenierte: „Du sollst die anderen nicht beleidigen. Wir wollen in Ruhe Fußball spielen.“ Die Gemüter beruhigten sich nach einer Weile. Niemand wusste so recht mit dieser Situation umzugehen. Doch nach ein paar Minuten lief der junge Spieler wieder einem Gegenspieler hinterher, schrie erneut „Du Jude!“, und drohte ihm die Beine wegzutreten. Jetzt trat er dem Ballführenden mehrmals von hinten in die Hacken und schrie: „Du Jude!“ Der Ballführende konnte die Tritte aushalten und stürzte nicht. Erneut wurde das Training unterbrochen, und ein anderer der älteren Spieler, ein Grieche, sprach ein Machtwort: „So kann das nicht weitergehen. Du gibst jetzt endlich Ruhe!“, sagte er in Richtung des jungen Spielers. „Ja, ist ja gut!“, sagte dieser. Das restliche Training verlief ruhig. Auch in der Kabine wurde nicht weiter über diesen Vorfall gesprochen. Der Trainer der Mannschaft war bei diesem fatalen Training nicht anwesend.

Der Sportverein gehörte zu einem Stadtteil, der direkt an der Küste lag. Hier gab es eine mittelgroße Werft und einen Rüstungsbetrieb. Der örtliche Sportverein besaß eine wichtige soziale Funktion. In den besten Tagen hatte der Verein über 3000 Mitglieder. Die Fußballsparte war sehr beliebt. In den vielen Herren-, Damen- und Jugendmannschaften kannte fast jeder jeden. Die erste Herrenmannschaft spielte erfolgreich auf Landesebene. Ende der 60er Jahre spielte die Liga sogar auf Regionalebene. Junge Leute kamen extra aus anderen Stadtteilen, um in der Ligamannschaft zu spielen, die als Aushängeschild des Vereins galt. Die Spieler, die in der Ersten spielten, waren im Stadtteil bekannt und beliebt. Die zweite Mannschaft galt als Reserve, obwohl zwischen der Ersten und der Zweiten große Leistungsunterschiede bestanden. In der Dritten hingegen spielten fast ausschließlich Türken und Deutschtürken.

Der Sportverein verfügte über ganze vier Plätze: einen gepflegten Hauptplatz, einen tiefer gelegenen zweiten Rasenplatz, einen ausgetretenen Bolzplatz, der an manchen Tagen wie eine idyllische Wiese wirkte, und einen Ascheplatz. Die beiden guten Rasenplätze wurden abwechselnd geschont. Der tiefer gelegene Rasenplatz lag auf einem trockengelegten Moor.

Auf dem Ascheplatz, bestehend aus feinem mitunter spitzem Granulat, spielten die Spieler nur ungerne, denn Grätschen und Stürze konnten recht schmerzhaft verlaufen. Im Sommer, wenn es ein paar Tage nicht geregnet hatte, war der Ascheplatz mitunter extrem trocken und staubig. Die Granulatteilchen gruben sich in die sensiblen Punkte wie Knie, Ellenbogen, Handballen und Hüftseite ein. Direkt neben dem Ascheplatz stand ein Kopfball-Galgen, der jedoch nur sehr selten verwendet wurde. Vor den Pflicht- und Freundschaftsspielen entschied einzig der Fußballobmann, auf welchem Platz gespielt werden durfte. Das Training fand meistens auf dem Ascheplatz oder dem Bolzplatz statt. Im Vergleich zu anderen Vereinen dieser Region war der Sportverein recht anspruchsvoll ausgestattet. Er befand sich in einer intakten idyllischen Welt. Es gab ein geräumiges Vereinsheim und einen großen Saal für Veranstaltungen. In dieser Saison waren vor dem Ende der Hinrunde alle drei Herrenmannschaften im Mittelfeld ihrer jeweiligen Spielklasse platziert. Keine der Mannschaften war abstiegsbedroht. Es war Winter und die Zweite trainierte auf dem Ascheplatz. In dieser zweiten Mannschaft spielten zum größten Teil Deutsche, außerdem ein Grieche, ein Italiener und ein Türke. Es ging zum Teil hitzig zur Sache, da der Trainer die Mannschaft nach dem Leistungsprinzip aufstellte. Jetzt, während der Winterpause, machte die Mannschaft kein Techniktraining. Sie bildeten zwei Mannschaften, stellten Hütchen als Tore auf und konzentrierten sich aufs Spielen.         

      Eine Woche nach dem Vorfall wiederholte sich das Ganze. Diesmal war auch der Trainer anwesend. Der junge Spieler jagte erneut wahllos Gegenspielern hinterher, attackierte sie mit Tritten und titulierte sie als Juden. Jetzt platzte dem ältesten Spieler erneut der Kragen. Er schrie: „Ich will, dass der endlich damit aufhört!“

Da ermahnte der Trainer den jungen Spieler, seine Mannschaftskollegen nicht weiter als Juden zu titulieren: „Du hörst endlich auf damit.“ Und es kehrte Ruhe ein. Wieder wurde nach dem Training nicht über den Vorfall gesprochen.

Jetzt war Weihnachts- und Silvesterpause, und es fand für zwei Wochen kein Sport statt. Anfang des neuen Jahres trafen sich alle wieder. Für niemanden waren die Vorfälle aus dem alten Jahr Grund, um mit dem Fußballspielen aufzuhören, als sei jeder daran interessiert, wie sich die Angelegenheit weiterentwickeln würde. Das erste Training im neuen Jahr verlief friedlich. Der Trainer war wieder nicht anwesend. Wieder wurde auf zwei Tore aus Hütchen gespielt. Es blieb ruhig. Nach dem Training galt es, sich umzuziehen und zu duschen. In der Kabine saß der älteste Spieler ganz in der Nähe von zwei jungen Spielern, die sich Witze erzählten und lachten. Plötzlich erkannte der ältere Spieler, dass sich die zwei Mannschaftskollegen haarsträubende Judenwitze erzählten. Da schrie der ältere Spieler: „ Was soll das? Seid ihr verrückt geworden? Ihr könnt euch doch nicht hier einfach in der Kabine Judenwitze erzählen!“ Sofort sprang der eine der jungen Spieler auf und wollte dem Älteren an die Wäsche. Es kam zu einem  Handgemenge, bis der Torwart dazwischen ging, und die Streithähne trennte. In einer Kurzschlussreaktion ergriff der ältere Spieler seine Sachen und rannte fluchend aus der Kabine. Im Gang kam ihm ein Ligaspieler entgegen, der ihn ganz verdutzt ansah, als wollte er fragen „Was war da los?“ Die Liga hatte zur gleichen Zeit wie die Zweite auf einem anderen Platz trainiert. Der ältere Spieler aus der Zweiten suchte sich eine freie Kabine, knipste das Licht an und legte seine Klamotten ab. Kurze Zeit später stand der Grieche in der Kabine. „Was ist denn passiert?“, fragte er den sichtlich geknickten Spieler, für den eine Welt zusammengebrochen war. „Die haben sich in der Kabine Judenwitze erzählt.“ Der Grieche fragte weiter: „Wer war denn das?“ Sein Teamkollege nannte die Namen. „Das ist ein Fall von Antisemitismus!“, ergänzte der ältere Spieler. Auf dem Weg zurück in die Umkleidekabine der Zweiten wurde der Grieche von dem Ligaspieler angesprochen, der die Aufregung mitbekommen hatte. Der Ligaspieler fragte: „Was ist denn passiert?“ „Da haben sich zwei in der Kabine Judenwitze erzählt, dann ist er abgedreht und ist  mit seinen Sachen rausgelaufen!“, antwortete der Grieche. Damit war die Sache durchgesickert. In der Zweiten gab es offensichtlich rechtsextreme Spieler. Der Ligaspieler ging in Raum zwei, die Umkleidekabine der Ligamannschaft, und erzählte von dem Vorfall mit den Judenwitzen. Bei der jungen Mannschaft breitete sich Frustration aus. Zusätzlich sickerten die Ereignisse aus den Wochen zuvor durch, als es bereits erste Vorfälle auf dem Trainingsplatz gegeben hatte, bei denen ein Spieler seinen Teamkollegen beleidigend hinterherjagte.

Schließlich wurde die Vereinsführung unterrichtet. Diese verurteilte die Vorfälle in der Zweiten. Doch wie sollte die weitere Reaktion aussehen? Es stand sogar zur Debatte, die  Übeltäter aus dem Verein zu werfen. Jemand hielt entgegen, dass die Initiative dazu nur aus der zweiten Mannschaft kommen könne. Schnell stellten die Verantwortlichen fest, dass sie mit diesem Problem überfordert waren, auch wenn es sie sehr berührte. Es war ein Desaster. Wie sollte es jetzt weitergehen? Der ältere Spieler aus der Zweiten, der in einer Kurzschlussreaktion die Kabine verlassen hatte, wechselte die Mannschaft und spielte bis zum Saisonende in der Dritten, zuletzt in der Alt-Herrenmannschaft.

      Es  hätte konsequent durchgegriffen werden müssen. Inzwischen hatte der Trainer die besagten Übeltäter endlich zur Rede gestellt. Er machte ihnen deutlich, dass das schlechte Verhalten auf dem Platz und negativen Äußerungen in der Kabine zu unterbleiben hätten. Außerdem sollten sie sich bei dem älteren Spieler entschuldigen, der aus Protest die Mannschaft verlassen hatte, und ihm die Hand reichen. Doch zu dieser Entschuldigung kam es nicht. Die Spieler waren zu feige. Mit Ach und Krach beendete die Zweite Mannschaft diese Saison. Einer der beiden Rechtsextremen verlies nach Saisonabschluss die Mannschaft und ging zum Nachbarverein. Die anderen Beteiligten blieben im Verein und spielten weiter. Was aus sportlicher Sicht am schwersten wog, war die Tatsache, dass fast der gesamte Ligakader ohne Angabe von Gründen den Verein verließ. Das kann natürlich auch andere Gründe gehabt haben. Die Spieler meldeten sich bei anderen Vereinen mit ähnlichem Leistungsniveau an. Diesen Verlust konnte der alte Verein nicht verkraften. Die erste Mannschaft ließ sich durch die Spieler der zweiten Mannschaft nicht wirklich auffüllen, denn das Spielerpotenzial mit Landesliganiveau war einfach nicht vorhanden. Die Liga stieg in den folgenden Jahren nacheinander mehrmals ab und fing sich erst in der B-Klasse, der zweittiefsten Klasse auf Kreisebene und damit der zweittiefsten Klasse überhaupt. Die sogenannte Türkenmannschaft ging jetzt geschlossen in die zweite Mannschaft, und die dritte Mannschaft wurde aufgelöst. Die Türkenmannschaft stand sogar bald in der Tabelle vor der Ersten.

In der Alten Herren gab es noch einen letzten Vorfall, bevor der beunruhigte Spieler endgültig aus dem Verein austrat. Ein ehemaliger Ligaspieler nahm an einem Hallentraining teil. Er war unzufrieden mit den Zuspielen seiner Trainingskollegen. Da schrie der altgediente Ligaspieler durch die Halle: „Was sind das wieder für Judenpasse.“ Danach war das Thema Alte Herren durch, und der frustrierte Spieler verließ endgültig den Verein und beendete seine Zeit als aktiver Fußballer.

Durch diese Fälle von Antisemitismus wurde der ganze Verein in Mitleidenschaft gezogen. Heute weiß fast niemand mehr, was diesen Verein so ruiniert hat.

 

 

 


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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (06.12.21, 12:28)
Sehr lange, zu lange Einführung. Du solltest das zentrale Ereignis an den Anfang stellen, dann über die Vereinstrukturen berichten und dann wieder zum Fall zurückkommen. So hältst Du die Leser bei der Stange!

P.S.: tagen -> Tagen

 Koreapeitsche meinte dazu am 07.12.21 um 21:20:
Danke für die Anregung. Ich habe den Text noch einmal überarbeitet.
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