Der Videoabend

Kurzgeschichte zum Thema Sport

von  Koreapeitsche

Der Videoabend 

 

Die Dritte Herren kickte irgendwo im Mittelfeld der A-Klasse. Der Spaß war für alle wichtiger als der Erfolg, das konnten sie sich in den unteren Klassen erlauben, denn hier ging es um fast gar nichts. In der Mannschaft spielten mehrere Studenten, Mitarbeiter des lokalen Rüstungsbetriebes, aber auch einige arbeitslose und drogenabhängige junge Männer. Es wurde stets über heikle politische Themen diskutiert, aber auch über belangloses Zeug. Sie zogen über die Leute her, wenn sie nicht anwesend waren, sagten einigen im Verein aber auch offen die Meinung ins Gesicht. Das spielerische Potential war gar nicht einmal schlecht, ein paar Jahre zuvor stiegen sie sogar als Zweitplatzierter in eine höhere Klasse auf. Doch es wurde ständig Alkohol getrunken, einige rauchten mehr oder weniger offen Marihuana. 

      An einem Samstagabend war eine Spontanparty beim Mannschaftskapitän angesagt, der als Wirtschaftsingenieur in der Rüstungsfirma beschäftigt war. Sie tranken ein Bier nach dem anderen, einige gönnten sich auch das ein oder andere Glas Rum. Der Käpten war in der großen Firma für Verkäufe von Dieselloks, Schiffsmotoren, Panzern und Panzerfahrzeugen zuständig. Sie hörten an diesem Abend Bands wie Bruce Springsteen, Rolling Stones und die Pogues. Nach einer hitzigen Diskussion über die weltpolitische Situation machte der Käpten der Dritten sich den Spaß, ein Verkaufsvideo für den Verkaufsschlager dieser Firma, ein ausgezeichnet verkäufliches Panzermodell, hervorzuholen und zur Verwunderung seiner Mannschaftskollegen und ohne die Musik leiser zu stellen, in den Videorekorder einzulegen und zu starten. Die Leute staunten nicht schlecht, mit einem Mal auf dem Fernsehbildschirm einen Panzer durch ein Versuchsgelände flitzen zu sehen, sich auf der Stelle zu drehen und Hindernisse wie Mauern und Stacheldraht einfach platzuwalzen. Der Gefechtsturm wurde vorgeführt, der sich schockartig in alle Richtungen zu drehen vermochte. Auch die Durchschlagskraft der Geschosse wurde mit realen Aufnahmen und anhand von Computersimulationen vorgeführt. Im Hintergrund, während auf CD von den „Rolling Stones“ „Satisfaction“ lief, war die kommentierende Stimme eines Sprechers zu vernehmen, der alle gezeigten Funktionen dieses Superpanzers im Detail erläuterte. Die Teamkollegen staunten nicht schlecht, waren zum Teil erheitert, zum Teil schockiert. Das spaltete die Mannschaft in zwei Gruppen. Die einen äußerten Meinungen wie: „Das ist ja geil!“, die anderen: „Mach den Scheiß aus!“ Doch die meisten waren bereits zu besoffen, die Tragweite dieser Vorführung zu erkennen. Der Käpten lachte die ganze Zeit vergnügt, fast sadistisch, während ein ehemaliger Zivildienstleistender nicht wusste, ob er lachen oder weinen sollte. Er fürchtete eine „miese Aktion“. Er fragte den Käpten, ob er als hoher Mitarbeiter dieses Rüstungsunternehmens dieses Video überhaupt in der Öffentlichkeit vorführen dürfe und wer es hergestellt habe. Der Käpten wollte den Mitspieler erst wieder veräppeln, kam dann jedoch mit der Sprache heraus, dass dafür eigens Firmen engagiert würden, die im Auftrag des Panzerherstellers diese aussagekräftigen Videos produzieren. Der Käpten kam ihm ein wenig schwach vor, als hätte dieser ein Kommunikationsbedürfnis und wollte sich mit der Videovorführung Luft verschaffen. Der ehemalige Zivi fragte weiter, was die mit den Videos überhaupt machen. Es hieß, dass sie potentiellen Käufern vorgeführt wurden, die Aufnahmen würden auch ins Ausland verschickt, dann müssten die Interessenten nicht eingeladen werden. Dies geschehe erst bei konkretem Interesse. Die Party blieb feucht fröhlich, einige gackerten wie verrückt, andere fragten sich, wie diese Anwandlung des Käptens zu Stande kam, der jahrelang mit seinen Aufgaben innerhalb der Firma hinter dem Berg hielt und auch auf solche Videoabende verzichtete. Es hieß wieder und wieder, er solle das Video endlich ausschalten. Die Sache wurde immer chaotischer. Der 15 Mann starke Partykreis wurde langsam konfus. Die wenigen Kiffer in diesem Kreis hatten sowieso keine Meinung zu diesem Thema mehr. Sie rauchten ihre Joints und tranken Bier oder Rum. Nach gut 45 Minuten war das Video zu Ende. Jetzt lief eine CD von Bruce Springsteen. Ein vernünftiges Gespräch war nicht mehr möglich. Die Leute waren  entweder schockiert, besoffen oder schwelgten in sadistischer Freude. Diese Fußballmannschaft, die vielen als Kleinod der Aufmüpfigkeit und des politischen Ungehorsams galt, zerfiel in den folgenden Wochen. Es war das Ende der Saison 1993/94. Die Leute hatten sich nichts mehr zu sagen oder konnten nicht mehr miteinander reden. Auch der Käpten hörte in der Folgezeit mit dem Fußballspielen auf. Er spielte noch sporadisch in der Alten Herren des alten Arbeitervereins und widmete sich fortan nur noch seinen Geschäften. Bald lernte er seine spätere Frau kennen und gründete eine Familie. Andere aus der Mannschaft bekamen nie wieder ein Bein an Deck, galten als zu kritisch und fanden auch keine Arbeit mehr in der Peripherie dieses Rüstungsunternehmens. Der ehemalige Käpten der Fußballmannschaft arbeitet immer noch ziemlich weit oben in der Firmenhierarchie, macht sogar Geschäftsreisen nach Kanada und in andere ferne Länder. Ihm ist bis auf den heutigen Tag nicht klar, dass er fast die Hälfte seiner ehemaligen Fußballkollegen durch diese Video-Performance in arge Gewissenskonflikte gestürzt hat. Doch seine ehemaligen Sportfreunde schützten ihn noch, ein Anruf bei der Firmenführung oder der Presse hätte da vielleicht gereicht, um diesen Großverdiener in jungen Jahren in die Arbeitslosigkeit zu befördern. Letztendlich ging der gesamte Verein den Bach herunter, so dass sich einige der Leute fragten, ob sie nicht nur Knallchargen der Leute waren, die in Personalunion in der Firma und im Verein aktiv waren. Es gibt also Videos, die trotz geringer Auflagenzahl einen durchschlagenden Erfolg erzielen können. 

       Jahre später traf der kritische Fußballer den ehemaligen Mannschaftskapitän auf der Terrasse eines Cafés an der Küste wieder. Beide spielten schon lange kein Fußball mehr. Der Ex-Käpten saß dort mit drei anderen Geschäftsleuten an einem Tisch. Der Ex-Käpten grüßte seinen alten Teamgefährten flüchtig, der zwei Tische weiter platznahm und zu lesen anfing. Im Hintergrund liefen alte Sachen von der Band U2. Er sollte in den nächsten Minuten ein Top-Rüstungsgeschäft mitbekommen. Neben dem Ex-Kapitän gehörten zwei weitere Personen der örtlichen Rüstungsfirma an. Der Vierte war unschwer am Dialekt als Schweizer zu erkennen. Der vermeidliche Mithörer bei diesem Deal, es wurde noch nichts unterschrieben, war wieder sehr verunsichert und fühlte sich wieder als gesellschaftlicher Außenseiter.  

       „25 gepanzerte Fahrzeuge“, hieß es. Sie sollten übernächstes Jahr, es wurde sogar das genaue Datum genannt, an eine Schweizer Firma ausgeliefert werden. Das war schon beschlossene Sache, und wurde noch einmal unterstrichen. Nur das Panzergeschäft sollte noch ausgehandelt werden. „Da haben wir ja noch den Leopard-2“. Der Schweizer, sprach wie jemand, der eine Rede nach der Entgegennahme eines Preises hält, der zuvor mit endlosen Lobpreisungen überhäuft wurde. Nicht zuletzt die malerische Atmosphäre in diesem Café am Meer, das Geschrei der Möwen und das Jaulen der Schiffsirenen überzeugte ihn, auch Leopard-2-Panzer mit in sein kleines Einkaufssäckle zu packen.  

Auch wenn nur emotional fühlte sich der ehemalige Abwehrspieler zum zweiten Mal unfreiwillig in eine Sache hineingezogen, mit der er gar nichts zu tun haben wollte. Das Vertrauen, dass er früher dem Mannschaftsführer schenkte, blieb also unerwidert, die gemeinsam auf dem Spielfeld verbrachten Stunden bekamen in der Erinnerung einen negativen Beigeschmack. Ihm war, als durfte er damals nur auflaufen, um dem Käpten zu mehr Akzeptanz zu verhelfen.   

 

 

 



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (09.12.21, 09:25)
Gerne gelesen.
Ich selbst habe Anfang der 1990er an der Herstellung eines Imagefilms, wie diese heißen, mitgearbeitet, allerdings gings da um ein Forschungszentrum.
Etwas bleiern im Tonfall und arg streng chronologisch erzählt, da könnte man vlt. noch was machen. Auch würde ich den Protagonisten (fiktive) Namen geben, das macht das Ganze lebendiger, wahrhaftiger.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram