Mannschaftsfahrt in die DDR

Kurzgeschichte zum Thema Sport

von  Koreapeitsche

Electronic Neuruppin war eine der DDR-Mannschaften, gegen die wir mit meiner Mannschaft vom SV Friedrichsort in der Endphase der DDR gespielt haben. Lang ist's her. Ich habe hier sogar noch den Wimpel bei mir zu Hause. Heute heißt der Verein MSV Neuruppin. Der Kieler Verein SV Friedrichsort hatte sich unter dem Vereinspräsidenten Jürgen Baudach beim DFB für den Deutsch-Deutschen Sportaustausch beworben, der letztendlich per Losentscheid entschieden wurde.
Der DFB hatte uns in Absprache mit seinem Counterpart DFV ein Schreiben zukommen lassen, das jeder einzelne PKW am Grenzübergang Gudow vorzuzeigen hatten. Wir reisten mit 4 oder 5 PKW an, wie bei einem normalen Auswärtsspiel in der Region Kiel. Wir durften komplikationslos weiterfahren und an der Abfahrt Herzberg die Transitstrecke ohne weitere Kontrollen eigenmächtig verlassen. Ich hatte einen Stapel Spiegelmagazine dabei, die ich an die DDR-Fußballer verteilen wollte. Unser Fahrer verseckte etwas Dope im Lenkrad, damit er im Osten seine Joints rauchen konnte.
Da die Leute aus der Ligamannschaft alle Schiss hatten in die DDR einzureisen, ein Großteil arbeitete in der Rüstungsindustrie, musste das letzte Aufgebot herhalten, um die Ehre des Vereins zu retten. Zu diesem letzten Aufgebot gehörte auch ich.      

Unsere Mannschaft wurde damals im örtlichen SED-Heim in Herzberg einquartiert, was wir Spieler jedoch erst am Abend kurz vor dem Schlafengehen erfuhren. Das SED-Heim erinnerte in seiner Bauweise und in seiner weißen Schlichtheit stark an das Hermann-Böttcher-Heim in Pries-Friedrichsort. Es sind beides keine besonders schönen Gebäude. Am Samstag hatten wir das Freundschaftsspiel gegen eine Mannschaft von Traktor Herzberg, deren Sportgelände sich in unmittelbarer Nähe zum SED-Heim befand. Obwohl der Verein seit 1968 sogar BSG Herzberg 68 hieß, war immer nur von Traktor Herzberg die Rede. Am Sonntag waren wir ins Sportleistungszentrum Fehrbellin am Fehrbelliner See eingeladen, wo wir an einem Turnier mit mehreren DDR-Mannschaften teilnahmen in einer großen vollverspiegelten Sporthalle. Bei dieser Gelegenheit spielten wir auch gegen Electronic Neuruppin, die uns vor dem Anstoß ihren blau-weißen Vereinswimpel überreichten. Es war mir etwas peinlich, dass wir keinen Wimpel zum Tausch dabei hatten. Wir wurden in einem großen Speisesaal des Leistungszentrums mit einer typischen Sportlermahlzeit verköstigt, wie sie sonst DDR-Elitesportler erhielten. Ein Teil unserer Spieler nahm die Mahlzeit unter Zurückhaltung zu sich, teils mit makaberen Kommentaren als Referenz zu der bekannten Doping-Misere im DDR-Leistungssport.
Auch aus meiner Mannschaft traten ein paar Spieler die Reise gar nicht erst an. Auch sie hatten Angst vor Konsequenzen. Sie waren in unserem Stadtteil im Panzerbaubetrieb tätig, zumeist als Ingenieure. Diese Fußballer hatten die Befürchtung, dass sie von den DDR-Behörden festgehalten und über ihre Tätigkeiten ausgefragt werden könnten. Das fand ich etwas paranoid, aber es entsprach dem Zeitgeist. Einige Vereinsmitglieder behaupteten sogar, sie würden nicht einmal über die Transitstrecken noch Berlin fahren wollen, sondern für diese Fälle ein Flugzeug besteigen. Und das fand ich richtig paranoid.
Wir hatten zwar am Rande unserer DDR-Fahrt immer wieder mit Funktionären zu tun, die jedoch zu keiner Zeit versuchten, uns politisch zu indoktrinieren. Uns blieben auch Reden erspart, wie wir sie aus Friedrichsort von Funktionsträgern, besonders von Bubi Hetzer, aber auch vom Vereinspräsidenten Jürgen Baudach, kannten. Ein Spieler von Traktor Herzberg berichtete jedoch, welche Funktionsträger bzw. Funktionäre von Traktor Herzberg für den Geheimdienst Staatssicherheit der DDR tätig waren. Das geschah privat, während wir vor dem Haupteingang des SED-Heims das leckere DDR-Bier tranken. Er informierte uns besonders über das Alkoholproblem sowohl von Spielern, aber auch bei der örtlichen Polizei in Herzberg, wo es angeblich regelmäßig zu Alkoholfahrten kam. Wir wunderten uns über die Null-Promille-Grenze in der DDR, was den Bericht des Spielers etwas relativierte. Es fiel wiederholt der Name des Stasi-Offiziers, der in der Vereinsführung tätig war. Nach dem Mauerfall und dem Gegenbesuch von Traktor Herzberg in Friedrichsort wurde berichtet, dass der ehemalige Stasi-Funktionär Unternehmer wurde, voll im Geschäft sei und auf seine guten Verbindungen aus Stasizeiten zurückgreifen könne. Es wurde auch berichtet, das Spieler von Traktor Herzberg, der Verein der heute VfB Herzberg 68 heißt, im Friedrichsorter Rüstungsbetrieb Arbeit fanden. Danach hörten wir nie wieder etwas von der Liäson zwischen dem SV Friedrichsort und der BSG „Traktor Herzberg“, als hätte es dieses Deutsch-Deutsche Sportmeeting nie gegeben. 







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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (23.04.22, 09:22)

Das SED-Heim erinnerte in seiner Bauweise stark an das Hermann-Böttcher-Heim in Pries-Friedrichsort. 

Ja, da wir ja ALLE das Hermann-Böttcher-Heim in Pries-Friedrichsort in- und auswendig kennen, ist dieser Vergleich unglaublich informativ!

Ansonsten gerne gelesen.


 Koreapeitsche meinte dazu am 23.04.22 um 15:25:
Nur so viel. Es sind beides keine besonders schönen Gebäude.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 24.04.22 um 09:31:
Das fehlt im Text.

 Koreapeitsche schrieb daraufhin am 24.04.22 um 12:34:
Danke für den Hinweis, Dieter. Ich habe das mal ergänzt. :)
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