Guck mal, das ist ein Massenmörder (Skandal an der Uniklinik)

Kurzgeschichte zum Thema Vergangenheitsbewältigung

von  Koreapeitsche

Zur Überbrückung arbeitete ich nach dem Abi bis zum Beginn des Zivildienstes in einem Archiv des Klinikums. Auch nach dem Zivildienst arbeitete ich dort, bis ich mein Studium in Berlin aufnehmen konnte. Zusätzlich arbeitete ich während der Semesterferien dort. Ich lernte schon eine ganze Menge.
      Während dieses Nebenjobs im Klinikum sollte ich im Personalarchiv Dokumente sortieren. Der Archivleiter Pliensky nahm mich eines Tages zur Seite, da er mir etwas Wichtiges zeigen wollte. Wir gingen zum Buchstaben C im Archiv, und er nahm eine vergilbte Personalakte aus dem Regal, die an einem Haken befestigt war. Er schlug sie auf und zeigte mir den Lebenslauf eines längst verstorbenen Medizinprofessors mit dessen Foto und sagte
      „Guck mal, das ist ein Massenmörder!“
Ich bekam einen Schreck. Auf dem Foto war ein übergewichtiger Arzt im weißen Kittel zu sehen, der eine starke Brille trug. Ich war geschockt, als ich das Gesicht sah.
      „Das war ein Massenmörder in Auschwitz. Der hat Tausende von Frauen umgebracht.“
Danach schloss er die Akte und hängte sie zurück ins Regal. Ich wusste jetzt zwar, wo die Akte hängt, schlug sie jedoch kein weiteres Mal auf. Der Mann war mir einfach zu gruselig.
Später nach meinem Studium las ich eher zufällig etwas über den Massenmörder, und es dämmerte mir, dass mir der alte Archivleiter mal dessen Personalakte und den Lebenslauf zeigte.
      Der Arzt arbeitete vor dem Krieg in der Frauenklinik des Klinikums in der Position eines Medizinprofessors. Im Krieg war er in Auschwitz tätig und vollführte grausame Experimente an Frauen. Sie nannten ihn die Bestie von Auschwitz. Unter anderem machte er Sterilisationsexperimente, bei denen viele Frauen auf grausame Art und Weise verstarben. Er galt als menschliches Schwein, als Bestie, als Monster im weißen Kittel. Bevor die Rote Armee Auschwitz erreichte, setzte er sich mit einem Team nach Schinkel in Schleswig-Holstein ab, wo sie die Flucht über die Rattenlinie nach Skandinavien vorbereiten wollten. Der Krieg war vorüber und der Norden von der Royal Army besetzt. Auch das Expeditionschor aus Auschwitz war schnell ausgemacht. Da ließen die Briten ein Kommando der Roten Armee nach Schleswig-Holstein, um die Gruppe aus Auschwitz zu verhaften und in der UDSSR zu verhören. Der Massenmörder blieb bis 1955 in Kriegsgefangenschaft. Wahrscheinlich wurde er von den Sowjets aufgrund seines Professorentitels verschont und nicht hingerichtet. Nach seiner Entlassung bewarb er sich erneut im Klinikum und erhielt die gleiche Stelle in der Frauenklinik wie vor dem Krieg. Er nahm die Arbeit wieder auf, als sei zwischenzeitlich nie etwas geschehen, setzte dort an, wo er vor dem Krieg aufgehört hatte. Doch plötzlich erkannte ihn ein ehemaliger Häftling aus Auschwitz und zeigte ihn an. Der Arzt kam sofort in Untersuchungshaft. Es bahnte sich eine Gerichtsverhandlung an. Der großte Prozess in der Geschichte des Landgerichts zeichnetet sich ab. Es stellte sich heraus, dass er bereits lange vor dem Krieg seine eigene Frau umbrachte und dafür wegen seiner hohen Position unbehelligt blieb. Nach Entlassung aus der Kriegsgefangenenschaft in der neuen Wohnung hatte er ständig Streit mit den Nachbarn, die er teils sogar zusammenschlug. Der Mann galt als unfassbar brutal. Das alles wurde bisher nicht geahndet. Es gab die ersten Verhandlungstage. Doch bevor das Urteil gesprochen werden konnte, schluckte der Arzt in der U-Haft eine Pille, die einen Gehirnschlag fakte. Es hieß später, dass nicht mehr ersichtlich war, wodurch der Medizinprofessor gestorben war, ob es ein Gehirnschlag war oder tatsächlich die Auswirkungen der Pille, also ob es ein Schlaganfall oder Suizid war. Das Verfahren am Landgericht konnte nicht zu Ende geführt werden. Das Thema war raus aus den Medien. In medizinischen Fachbüchern ist selbst heute immer noch eine Methode des Massenmörders aufgeführt ohne Vermerk, auf welche abscheuliche Weise sie zustande kam, eben durch Mordexperimente im Vernichtungslager. Heute weiß niemand, ob die alte Personalakte des Schwerverbrechers noch im Archiv des Uniklinikums hängt. Wenn er schon nicht gehängt werden konnte, so hängt vielleicht zumindest noch die Personalakte im Archiv - für die Nachwelt. Und wenn die Personalakte dort nicht mehr hängt, so wurde sie geschreddert.





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Kommentare zu diesem Text


 Regina (23.06.25, 22:27)
Hört sich an wie Dr. Mengele.
Die Amis haben in Nürnberg nach dem Krieg eine kleine Anzahl der Führungskräfte hingerichtet. Die meisten anderen blieben verschont.

 Pfeiffer meinte dazu am 23.06.25 um 23:07:
Es handelt sich um Carl Clauberg, auch die "Bestie von Auschwitz" genannt.

 AchterZwerg antwortete darauf am 24.06.25 um 07:09:
Du hast die Bestie gut beschrieben, eher sachlich und weitgehnd emotionsfrei, ganz wie es sich für diese unfassbaren Gräueltaten geziemt.
Denn selbst die Sprache "versagt" hier.
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