Baumsterben

Gedicht zum Thema Erinnerung

von  Melodia

Es brechen Borke und Bast


Jahresringe erinnern mich an die Zeit

mit ihren Blüten

wie ich mein Sehnen vergaß

mein Herz entfesselte


Nun klebt das Mark an meinen Fingern


Die Tage sind zu Fäden gezogen

fernab der Erinnerungen

die wir woben

und fast vergaßen



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Kommentare zu diesem Text


 DanceWith1Life (10.12.21, 00:26)
ich klickte gerade durch meine "unfertigen Texte" und fand das hier.

Unter uns gesagt, WErde der du bist

Jahreszeiten? aber selbstverständlich

Sonnen- und Regentage

wenn du Glück (h)ast


unendlich viele Möglichkeiten

Baumkronenlungenflügel

atmen im Wind






es jetzt als was eigenständiges veröffentlichen zu wollen, gefällt mir gerade nicht. Deswegen lass ich es hier.





Ich fahre gerade einen Bezirk, jede Nacht, der ist angefüllt

mit solchen Erinnerungen, die deine Zeilen beschreiben.

vom Winkel bis zum Lech

um nur die Schlusssilben zu nennen.

Ich hätte vielleicht darüber geschrieben.

Angrenzend ans Textilviertel.


inmitten dieser Erinnerungen, brechen Borke und Bast
Oberflächen fast lyrischer Gefäße
würde nicht Mark an den Fingern kleben
könnte man sie verflechten
stattdessen sind die Tage zu Fäden gezogen
lose Enden, nicht wahr
auch das Vergessen
löst alles, was vorher verwoben

nur das Herz das sein Sehnen vergisst während es sich entfesselt
ist mir ein Rätsel



Kommentar geändert am 10.12.2021 um 01:46 Uhr

 Tula meinte dazu am 10.12.21 um 02:04:
Hallo Melodia
der zweite Teil ok, aber ein Punkt fällt mir ins Auge. Borke kann brechen, staubt dann sogar. Bast wiederum weniger, auch im trockenen Zustand zähes Material, eigentlich nur mit der Säge bzw. Axt gewaltsam zu trennen.
Also selbst als Metapher: Warum nicht einfach nur "die Borke bricht" - das passt gut auf das unter der Oberfläche lange Zeit Verborgene.

Zweimal "vergaß" - gewollt?
Passt die Herzentfesselung zum Bild des Baumes?
Ginge vielleicht auch eins des Wachstums, der freien Entfaltung, dem Licht entgegenstrebend ...

Jahresringe erinnern mich an die Zeit
der Blüten als ich
noch voller Kraft
den Himmel umarmte

LG
Tula

 Graeculus antwortete darauf am 10.12.21 um 16:49:
ein Punkt fällt mir ins Auge. Borke kann brechen, staubt dann sogar. Bast wiederum weniger, auch im trockenen Zustand zähes Material, eigentlich nur mit der Säge bzw. Axt gewaltsam zu trennen.
Gemeint ist sicherlich: wenn das blanke Holz schutzlos bloßliegt.

 Tula schrieb daraufhin am 10.12.21 um 20:55:
Hallo Graeculus
Natürlich, die Borke schützt, der Bast hat eine weitere Funktion. Von der botanischen Anatomie abgesehen, fragt sich wofür der Baum, hier eindeutig als weiterreichende Metapher, eigentlich steht. 
Das Gedicht mäandert zwischen den Bildern des Baums und des körperlichen Lyrichs. Beide haben eine enge emotionale Beziehung zueinander, es geht um Vergangenheit (als diese Beziehung 'gewoben' wurde) und Gegenwart (der Baum stirbt). Ich dachte daher an Kindheit, das Elternhaus (?) oder eben einen anderen längerwährenden Abschnitt im Leben. Es könnte sich natürlich auch um einen wirklichen Baum handeln, gewissermaßen als emotionales Bindeglied zur Kindheit (zum Beispiel). In diesem Falle jedoch empfände ich die Verflüssigung des Marks (ganz im Gegensatz zur brüchigen Borke) eher als sprachlichen Kunstgriff ohne konkrete Bedeutung. Er wird jedoch eine haben, die sich mir nicht erschließen will, auch nicht die Sehnsucht von 'damals' im ersten Teil. Vielleicht Fernweh im Sinne eines Aufbruchs, der Baum (in seiner konkreten oder metapherischen Auslegung) blieb zurück.

Umgeachtet meiner Deutungsunsicherheiten (die sicherlich meine Schuld sind), finde ich es schöner, wenn ein poetologisch konstruiertes Gedicht über Bilder, Metaphern und Chiffren die Stimmung bzw. Assoziationen in mir als Leser hervorruft, ohne diese zusätzlich mit Begriffen wie Sehnsucht, Herz und Schmerz usw. erklären zu müssen. In etwa wie die alte Regel: Schreibe ein Gedicht über die Liebe, aber bitte ohne diese selbst zu erwähnen.

LG
Tula

Antwort geändert am 10.12.2021 um 20:59 Uhr

 Melodia äußerte darauf am 11.12.21 um 11:00:
Hallo ihr drei! :)
Zunächst einmal vielen Dank für das rege Treiben hier.

@dance: Das Rätsel kann ich lösen. Das LI hat, damals, seine Sehnsucht stillen können, seinen Gefühlen, seinem Herz, freien Lauf gelassen. Den Rest das du sehr gut zusammengfasst, wie ich finde.

@Graeculus: Du liegst vollkommen richtig.

@Tula:
Rein vom Spachklang und -rhythmus muss das "Bast" mit dazu. Außerdem sollte es verdeutlichen, dass egal aus welchem "Material" man geschnitz ist (pun intended), es unmöglich ist, sich vor seinen Gedanken und Erinnerungen zu "schützen".
Die Dopplung mit "vergaß" ist gewollt, ja. Im Übrigen gibt es noch eine: erinnern/Erinnerung. Das erste mal in den Zeilen 1+3 (Vergangenheit), dann in den Zeilen 2+4 (Gegenwart). Sie sind die Verbindung. Vergessen und Erinnern. Ein Schritt weiter und doch immer da. Ich bin für gewöhnlich kein Freund von Wiederholungen, aber hier erschien sie mir sinnvoll.
"Den Himmel umarmen" finde ich persönlich zu kitschig, sorry.
Es hat schon alles seine Bedeutung, aber ehrlich gesagt finde ich es "unlyrisch", wenn man dem Leser alle Bedeutungen, Metapher bzw. den Schlüssel zum Gedicht einfach so presigibt. Es gibt mit Sicherheit unterschiedliche Interpretationen des Textes. Und ich habe vermutlich das falsche Thema ausgewählt, denn im Grunde spreche ich Gefühle nicht direkt an. Ja, es geht um die Erinnerung, aber die Gefühle des LI dabei kann, so hoffe ich, jeder Leser selbst definieren.
Das heißt aber nicht, dass du flasch liegst. Wenn du das so siehst/verstehst ist das ja vollkommen richtig für deine lyrische Auffassung, die sicherlich von anderen geteilt wird.
Diese vielen Möglichkeiten und Debatten darüber finde ich immer sehr interessant und reizvoll. :)

LG
Jo-W. (83)
(10.12.21, 08:23)
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 Melodia ergänzte dazu am 11.12.21 um 11:00:
Vielen Dank!
LG

 W-M (10.12.21, 16:03)
das ist ein sehr starkes gedicht, da stimmen ton und tempo, alles passt!

 Melodia meinte dazu am 11.12.21 um 11:01:
Das freut mich sehr, dass es dir zusagt, gerade nicht bezüglich des Inhaltes.

LG
wa Bash (47)
(10.12.21, 18:31)
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 Melodia meinte dazu am 11.12.21 um 11:04:
Das ist auch mal eine interessante Leseart, mit dem Selektionsdruck.

Das es primär um die Gefühle bei der Erinnerung geht, finde ich die oben stehende Variante besser. Kann sogar sein, dass ich ursprünglich "als" geschrieben hatte. Ist schon eine Weile her.

LG und danke
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