Das Haus

Dokumentation

von  Fridolin

Es steht in der Miltenberger Gasse und trägt die Nr. 23 – mein Elternhaus. Eigentlich sollte ich schreiben „unser Elternhaus“, denn in der Erinnerung war es stets voller Leben, beherbergte es ja eine Großfamilie: die Eltern, Tante Marie, acht Kinder und fast immer Besucher dazu. Es war ein stattliches Haus für damalige Maßstäbe. Den geräumigen Eingangsbereich verdankt es wohl der Nutzung durch seinen Erbauer, der nachgewiesener Weise eine Gerberei betrieben hatte. Wie vielen Menschen es Obhut war, von dem Jahr seiner Erbauung bis es von Großvater Berberich erworben wurde? Durch Erbschaft kam es in den Besitz meiner Mutter kurz nach der Heirat meiner Eltern. Ein wahrer Segen für die Großfamilie, die in den folgenden Jahren darin sich entfalten konnte.

Das Erdgeschoss: der geräumige geflieste Flur mit Treppe – ein verhältnismäßig breiter Eingang mit Sandsteintreppe – rechts das Wohnzimmer, dahinter ein Nebenzimmer und danach die gekachelte Küche. Linker Hand die gute Stube und Besuchszimmer, und Kammern dahinter für vielerlei Dinge. Im ersten und zweiten Stock, zu dem eine breite Treppe führte, Schlafräume und in späteren Jahren eine 2. Wohnung. 1. Und 2. Stock in Fachwerkbauweise. Das Erdgeschoss war (wohl von einer folgenden Generation) massiv gemauert. Von außen schön anzusehen, aber eine beständige Ursache für Reparaturen war das Fachwerk. Der geräumige Dachboden war für uns so eine Art kleines Museum, in dem wir vieles aus früheren Zeiten fanden, z.B. Schlittschuhe, Karfreitagsklappern und Ratschen, Spinnrad, die Getreide- und Mehltruhe und dergleichen mehr.
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nern. Im großen zweiten Hof weitere Nutzbauten: Holzhalle, Streuschuppen, Weinkammer und Abstellraum für Fahrzeuge und landwirtschaftliche Geräte. Darüber, im „Bäule“, das ererbter Sitz unserer Tante war, deren Wohnung, die aber zumeist leer stand oder den Lehrbuben Schlafstellen bot. Tante hatte im 2. Stock des Vorderhauses ein Zimmer neben den Schlafzimmern der Mädchen. Ihr Häuschen war ihre Zuflucht, wenn sie aus irgendeinem Grund mit sich und der Umwelt nicht im reinen war. Dann wurde die Haustüre nachdrücklich geschlossen und der Schlüssel hörbar gedreht. Stets klopfte aber über kurz oder lang ein Friedenskommando und versuchte Balsam in das verletzte Herz und Gemüt zu geben, denn niemand konnte sich wohlfühlen, wenn die Tante gekränkt war, was übrigens nicht vorschnell oder grundlos geschah.

Der Mittelpunkt des Lebens, des Geschehens in der Familie spielte sich in Küche und Wohnzimmer ab. Im Sommer auch im Haushof, in dem praktischerweise auch anstelle eines früheren Brunnens ein Wasseranschluss war. Dieser Hof war wie übrigens auch Diele und Küche bis etwa 1924 mit glatten Sandsteinplatten belegt. Der wöchentliche Hausputz war dementsprechend ein mühsames Schrubben, und zwar mit einem extra feinen Sand, den eine Hausiererin von Bürgstadt öfter im Jahr mit einem Handwagen abgewogen in Tüten verkaufte. Das war ein spezieller Sand aus einer Bürgstädter Grube. Ich erinnere mich, dass in meiner frühen Jugend dieser Steinbelag entfernt wurde und durch Kacheln ersetzt wurde. Eine Wohltat für die geplagte Putzerin!!!

Noch einige Worte zur Straßenfront. Rechts und links des breiten Hauseingangs blinkten je zwei Fenster, stets bekleidet mit weißen gestärkten Stores und geschmückt mit weißen Blumengärtchen. Geranien und Fuchsien und dergleichen prangten den Großteil des Jahres. Außerdem standen vor der Hauswand 4 große Blumenkübel mit immergrünen Blattgewächsen. Dazwischen wurde an Sommerabenden eine schöne Holzbank aus der ehemaligen Werkstatt des Großvaters postiert und so entfaltete sich abends ein nachbarliches Feierabendgespräch; gelegentlich wurde daraus auch ein Liederabend. Eine Apfelweinschorle löschte den Durst. Daran durften an heißen Abenden auch die Kleinsten noch teilnehmen. Eine Abendgestaltung, erholsam und in Eigenregie, nicht zu vergleichen mit den heutigen Berieselungen durchs Fernsehen usw. Das war Erholung für Körper, Geist und Gemüt. Mein Vetter Otto M. aus Karlsruhe, der auf Dienstreise öfter bei uns übernachtete, sagte in späteren Jahren einmal zu mir, diese Abende seien unter all seinen Erinnerungen wohl die schönsten seines Lebens gewesen.

Vergessen seien nicht die Trompetensoli, die ein junger Nachbar, der fleißig übende Erwin als Einlagen gab. In der Stille der Dämmerung ein zauberhaftes Erlebnis für uns nicht übersättigte Bewohner der Miltenberger Gasse.




Anmerkung von Fridolin:

Der letzte der "späten" Texte meiner Mutter. Die Bewohner werden in der Folge in der eigentlichen Chronik beschrieben, die sie sehr viel früher verfasst hat.

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