Fronleichnam

Dokumentation

von  Fridolin

25.6.95

Als ich vor wenigen Tagen durch das blumengeschmückte Miltenberg ging, gaukelte die Erinnerung mir Fronleichnam in meiner Kindheit vor. Ich möchte heute versuchen, den Zauber dieses Festes einzufangen. Warum? Weil es denselben heute nicht mehr gibt. Ob es glückt? Zauber ist nicht real – Herz und Gemüt müssen im Erleben mitschwingen - . Ich war noch in den ersten Volksschulklassen. Mittwoch-nachmittags hatten wir Handarbeiten bei Frl. Sauer – einer von uns geliebten Werklehrerin. Deren Vater betreute das Mesneramt in der Pfarrkirche. So kam es, dass am Vortag des Festes unser Unterricht zu einem Stelldichein in der Sakristei umfunktioniert wurde – ein Treffen mit den vielen Messinggeräten der barocken Kirche. Kurz: ein Messingputzen großen Ausmaßes fand statt. Unter unseren Kinderhänden erglänzten die großen Leuchter strahlend. Putzmittel: Kreide und Zinnkraut!! Nachhause entlassen kam die Fortsetzung der Festvorbereitung: das Herbeischaffen der Blumen für den Hausaltar, der auf der Haustreppe aufgebaut wurde. Was in Garten und Wiese blühte, trugen wir herbei, denn das Schorkehaus hatte eine breite Haustreppe, auf der unser Altar aufgebaut wurde. Im Hof und Hausgang entstand fürs erste in Eimern und Vasen und Gläsern ein Blumenmeer. Voll Stolz trugen wir zusammen, was nur immer geeignet und für würdig befunden wurde.

Keine Blume wurde gekauft. Auch die Freunde, deren Häuser nicht am Prozessionsweg lagen, halfen mit. Fenster, Treppe und Fassade wurden gereinigt.

Schilf wurde vom Bach geholt. Der Wagen mit den jungen Birken fuhr durch die abendliche Stadt und jedes Haus bekam die notwendigen, die den Blumenschmuck ergänzen sollten, und die Männer und Buben befestigten die Maien an den Fassaden. Überlegt einmal! Am Elternhaus waren vier Fensteraltärchen und der Hauptaltar stand auf den breiten Sandsteinstufen der Haustreppe. In der Dämmerung wurde noch die große holzgeschnitzte Figur des Siegreich-auferstandenen bei der „Haase-Tante“ abgeholt und flankiert von zwei knieenden Anbetungsengeln – Kunstwerke, auf die wir ganz besonders achten mussten. Soweit unser Hausschmuck. Noch mehr Arbeit und Sorgfalt erforderte unser Privileg, die Zurichtung des Evangeliumaltars am „roten Kreuz“, dem großen Sandsteinkreuz mit Bänken am Ende der Miltenbergergasse.

Das „rote Kreuz“!! Wieviele Kindheitsstunden verbrachten wir dort! Die Spiele in seinem und der beidseitigen Platanen Schatten! An Fronleichnam erfuhr es die Ehre der Altäre und gab dem Allerheiligsten Obdach. Diese Ehre unserer Familie bedeutete jedoch sehr viel Arbeit und Vorbereitung.

Wen wundert es, wenn alles am Fronleichnamstag schon beim ersten zaghaften Morgenlicht auf den Beinen war, um mit Teppichen, Decken, Leuchtern, Blumen, Kerzen, Fahnen usw. eine würdige Stätte zu gestalten. Vor den Häusern flatterten nach und nach die Fahnen, wenn wir nachhause eilten, um uns selbst festlich anzuziehen. Uns Mädchen drehten Mutter und Tante schon vor dem Zubettgehen die Haare auf Papierwickler, befeuchtet mit Zuckerwasser, denn weißgewandet und Kränzchen-geschmückt durften wir blumenstreuend vor dem Monstranz-tragenden Priester in Zweierreihen gehen, angeführt vom „Engelchen“. Dies Engelchenamt – ein Ehrenamt für die Buben – wurde jährlich neu vergeben, und meine Brüder waren stolz darauf, mehrere Jahre damit betraut worden zu sein. Gewandet in einen weißen kurzen Überwurf, in weiße Kniehosen, Strümpfe und Halbschuhe, einen Blumenkranz auf dem Kopf und einen Kreuzstab in der Hand führten sie die Reihe der jeweiligen Erstkommunikanten an.

Und nun - festlich gekleidet - eilte die Familie zur Pfarrkirche. Nur eine Person musste „Haushüten“ um die Kerzen zu betreuen.

Nach dem festlichen levitierten Hochamt formierte sich vorm Kirchenportal die Prozession in überkommener Reihenfolge:

Männer – Schüler und Heranwachsende – Blumenmädchen und Erstkommunikanten und –tinnen geführt vom Engelchen – der Priester unterm Baldachin mit dem Allerheiligsten – flankiert von Bürgermeister und Kirchenrat, die brennende Kerzen trugen. Wenn ich mich recht erinnere, folgten dann Vereine (kath. Männerverein, Kolpingverein, Turnverein und Sänger, zur Seite die Vorbeter. Der Kirchenchor folgte als erster dem Allerheiligsten. Den Schluss bildete das weibliche Element im „Sonntagsstaat“. Dies – wie ich meine – auch ein Indiz der „Frau in der Kirche“ von damals.

Die Prozession schritt unter Singen und Beten über die schilfbegrünten Straßen zum ersten Altar am „Farrenkopfseck“. Es folgte das 1. Evangelium – der Kirchenchor stimmte „Tante ergo“ an und der Segen mit der Monstranz folgte damals wie heute.

In gleicher Weise der Ablauf am zweiten Altar ( am „roten Kreuz“), am dritten Altar (Ecke Debonstr./Schneebergerstr.) und am vierten Altar an der Mariensäule vor der Pfarrkirche.

Alle Häuser am Prozessionsweg waren beflaggt und mit Blumen, Kerzen, Heiligenbildern oder Kreuzen geschmückt. Das war Ehrensache für die Anwohner. Zaungäste waren Andersgläubige und das waren in Amorbach eine Gruppe von Protestanten. Und dies geschah in ungestörter Andacht so stark ausgeprägt, dass den Teilnehmer und Zuschauer die Erhabenheit des Geschehens Besitz ergriff.

Ich vergaß, die Musikkapelle einzuordnen in den Zug! Was folgte war das Wegräumen von Kerzen, Bildern und Statuen. Blumen, Bäume und Schilf beließ man bis zum Frühabend, was dem Nachklang und der Überleitung in den Alltag das Abrupte nahm und eine gewisse Besinnlichkeit schuf.

Der Nachmittag brachte den traditionsgemäßen Spaziergang zum Amorsbrunn mit Einkehr beim Brußler und Vesper und Limonade für uns Kinder und, heimgekehrt, den Spaß des „Karussellfahrens“ beim Straßenaufräumen. Wir trugen die Birkenbäumchen zusammen – legten die Kronen nach innen, die Stammenden nach außen, so dass ein Kreis entstand. Darauf häuften wir das Schilf von der Straße. Abwechselnd besetzten wir so den Mittelpunkt des Arrangements, während von den Stammenden her die anderen im Kreis schritten und so übermütig die Zugpferde spielten. Das war ein Jauchzen und Lachen und die Großen hatten beim Zusehen Spaß!

Fronleichnam – ein katholisches Fest – geprägt von Glauben – Andacht – Würde – Frömmigkeit und Lebensfreude schuf eine gute Verbundenheit unter den Einwohnern meiner Vaterstadt.




Anmerkung von Fridolin:

Nachgelassener Text meiner Mutter. Er kontrastiert etwas mit meinen eigenen  Erinnerungen an dieses Fest. Für mich war das größte der Tag, an dem ich mich traute, die Prozession zu "schwänzen" und statt dessen ins Freibad zu gehen.

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