Vater Schork

Dokumentation

von  Fridolin

Die  folgenden Texte meiner Mutter entstanden im Kern 1933/34. Einiges ist aber später hinzugefügt. Alles kursiv geschriebene stammt von mir

Mein lieber Vater heißt: Josef Schork *12.12.1881 zu Amorbach Haus Nr. 145. Bei seinem Vater lernte er das Schuhmacherhandwerk. Er war ein eifriges Mitglied des Turnvereins und wurde Turnwart. Heute ist er Ehrenmitglied desselben. 1923 übernahm er das Geschäft seines Vaters, das er 1928 vergrößern ließ. Am 26. Nov. 1908 verheiratet.
Als Heiratsgut von Mutter bewohnten sie das Fachwerkhaus Miltenbergerstr. 23 (heute Nr. 12) und bewirtschafteten einen kleinlandwirtschaftlichen [Betrieb] neben seinem Handwerk. Am 11.3.1915 kam Vater an die Ostfront und kämpfte bei der Eroberung Warschaus 5 Wochen. Infolge Krankheit musste er zurück. Nach Genesung kam er nach Riga, wo er die Verfolgung der Rotgardisten in Weißrussland mitmachte. Nach dem Waffenstillstand wurde er an die Westfront verschoben. Dort blieb er bis zum schmählichen Ende des Weltkriegs. (Man möge meiner Mutter diese dem damaligen Zeitgeist geschuldete Wortwahl verzeihen)
Mannigfache Vertrauensstellungen bekleidet er. In den 13 Jahren seine Tätigkeit als Stadtrat wirkte er uneigennützig zum Wohle aller. 1933, anlässlich der Revolution wurde er aus dem Stadtrat verdrängt und als Vertrauensmann der bayerischen Volkspartei vom 26.6. – 1.7. [1933] in Schutzhaft genommen. Wiederholt wählte man ihn in den Bezirksausschuss. Bis heute bekleidet er das Amt des Vorstandes des Katholischen Männervereins Amorbach
† 10. August 1957 - 1. Bürgermeister in Amorbach 1945-47. Rücktritt wegen schwerer Krankheit1947. 27.1. 1946 gewählter Bürgermeister in Amorbach

(Später wie folgt ergänzt:)


In den Jahren bis zum Kriegsende war Vater seiner politischen Einstellung wegen sehr gefährdet. In einer Nacht (Sommer 1934) wurde er von örtlichen NSDAP-Angehörigen im Café Bilz angegriffen und niedergeschlagen. Freunde von ihm waren zeitweise im KZ ( z. B. der nachmalige bayrische Ministerpräsident Georg Stang) Was derselbe ihm darüber berichtete, teilte Vater niemandem aus der Familie mit, um niemand durch Wissen zu gefährden. Wir erfuhren erst nach dem Krieg davon. Er musste erleben, dass nun die früheren Gesinnungsgenossen ihn heimlich baten, ihre Mitgliedschaft im Männergesellenverein und der bayrischen Volkspartei zu verschweigen. Er musste erleben, wie seine Familie durch den Krieg an Leben und Besitz zu Schaden kam, und blieb äußerlich stark und zuversichtlich. Noch in den letzten Tagen vor Kriegsende, als auf Anordnung des Gauleiters die Bevölkerung Amorbachs in der Nacht evakuiert werden sollte, stellte er sich dem Befehlsüberbringer entgegen, rief eine Zusammenkunft der Bürger im Kinosaal ein und erklärte, er bliebe zuhause und riet allen, das ebenso zu tun. Als er dem Boten, den die aufgeregte Menge zu lynchen drohte, freien Abgang verschafft hatte, musste er sich jedoch verstecken, denn die SS fahndete nach ihm. Als im Morgengrauen die amerikanischen Panzer ins Städtchen einrückten, waren wir trotz aller Not glücklich, ihn aus der Gefahr zu wissen.

Einige Tage nach Kriegsende bestellte die amerikanische Führung ihn zum kommissarischen Bürgermeister und die ersten freien Wahlen brachten seine Bestätigung in diesem Amt durch die Bürger. Schwer war dieses Amt. Belastet mit den Problemen der totalen Niederlage – Besatzung, Flüchtlinge, Verschleppte, Wohnungsnot, Nahrungsmangel usw. Seine ohnedies strapazierte Gesundheit hielt dem allem nicht stand. Im Frühjahr 1946 ereilte ihn ein Schlaganfall, von dem er sich zwar nach Wochen wieder erholte, aber nun blieb er ein kranker Mann. Er trat vom Amt zurück und konnte noch 10 Jahre im Ruhestand verleben. Seine Freude in dieser Zeit blieb es jedoch, jedem mit Rat zu helfen, der ihn darum anging – seine Enkelkinder – sein Sommerberg! Dort, im Häuschen, inmitten seiner Buschobstanlage, verbrachte er viele Nachmittage. Er besuchte seine Kinder und freute sich an deren Familien. Und ich war mitten in der Vorbereitung für seinen Sonntagsbesuch, als mich die Nachricht seines Todes erreichte.

Heute möchte ich sagen: er war ein kluger, weiser Mann, aktiv und aufgeschlossen seiner Mitwelt gegenüber, ein umsichtiger Familienvater. Er war stark, weil in seiner Weltanschauung fest und stets gerade ausgerichtet. Dabei liebte er Geselligkeiten sehr, hatte Humor, beteiligte sich aktiv an der Amorbacher Fastnacht. Ein Ausspruch von ihm: Man muss alle Feste feiern! Ich erinnere mich, dass er 1946 auf einem Maskenball noch mit mir Walzer tanzte.

Ich vergaß zu berichten, dass er in seiner Jugend und bis in die mittleren Jahre ein exzellenter Turner war. Seine Riege errang auf vielen Gauturnfesten unter seinem Training große Erfolge. Später übertrug man ihm den Vereinsvorsitz.

Diese Büste von ihm hat mein Vater kurz nach dem Krieg angefertigt.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (17.03.22, 08:56)
Ein dreister Euphemismus ist, die Machtübernahme von 1933 eine Revolution zu nennen.

Dies nur am Rande.

 Willibald meinte dazu am 18.03.22 um 08:23:
Es ist in der Forschung umstritten, 
ob man die "Machtübernahme" 1933 eine "Revolution" nennen kann
Es ist aber völlig klar, Dieter, 
dass im Kontext der Aufzeichnungen kein "dreister Euphemismus" vorliegt. 

Das nur am Rande.

Antwort geändert am 18.03.2022 um 16:45 Uhr
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