Im Wald, da sind die Zombies

Bericht zum Thema Visionen/ Vorstellungen

von  eiskimo

Die Gegend hier lebt vom Holz. Früher gab es auch die Möbelindustrie, jetzt rentieren sich nur noch Bauholz, Pellets und der großflächige Anbau von Weihnachtsbäumen.

Die Wälder sind zu Plantagen geworden, schnell wachsende Monokulturen namens Douglas oder Nordmann. Große Maschinen besorgen die Ernte. In zwei Minuten ist eine stattliche Tanne gefällt, geschält und in Zwei-Meter-Hölzer zerlegt. Da braucht es nur einen Arbeiter auf der Harvester.

Hinter diesem Ungetüm zurück bleiben völllig zerfurchte Flächen, zerrupft und aufgewühlt durch die Riesen-Raupen. Sie haben gezielt die edlen Teile herausgepickt. Liegen bleiben jede Menge Bruchholz, abgekapptes Geäst und bizarres Wurzelwerk – wertlose Relikte in einer entseelten Mondlandschaft.

Nichts für zartfühlende Natur-Liebhaber. Denn hier wird einfach nur mit dem Wald Geld verdient, im Akkord. Wie gesagt: Die Gegend hier lebt vom Holz.

Dass sich da ein Künstler hin verirrt hat, ist schon verwunderlich. Marc Lepage ist freier Fotograf.

Er hatte sich ursprünglich der Tier-Fotografie verschrieben. Doch die Holzindustrie will in ihren Plantagen keine Tiere. Marc hat dafür jetzt andere Wesen entdeckt. In diesem plattgewalzten Bruchholz leben nämlich Zombies: Deformierte, abgerissene, total zerfledderte Baum-Reste, die unser Harvester auf seiner kreischenden Rodungs-Schneise hinterlassen hat. Und Marc Lepage hat in den Resten genau diese skurrilen Gesellen entdeckt, und was tut ein Fotograf, der dafür ein Auge hat? Er schenkt ihnen mit seiner Kamera ein Weiterleben.

Bei schmeichelndem Licht und aus ehrerbietender Perspektive hat Lepage sie abgelichtet, das heißt: In ihrer ganzen wild-trotzigen Schönheit perfekt porträtiert.

Urweltlich anmutende Gnome mit rissigen Fratzen und zersplitterten Fangarmen, drohend aufgerichtet oder einfach nur verzweifelt, jedenfalls in dieser leer gebluteten Szenerie wie eine letzte Schar von Überlebenden.

Marc Lepage hat sich mit diesen Zombies angefreundet. Er gab ihnen lustige Namen und er hat ihre im Bild festgehaltene Pose mit einem kurzen Satz interpretiert. Nicht als Gag, sondern aus Liebe zum Wald.

Seine Kollektion wurde eine Art Nachruf, denn die Stadt, in der zwei Sägewerke rund um die Uhr aktiv sind und am Bahnhof tagtäglich die schön sortierten Holzstämme verladen werden, die hat dem Fotografen tatsächlich eine Ausstellung ermöglicht, sogar im großen Festsaal des Rathauses.

„Meine Freunde, die Holz-Zombies“, so hat Lepage diese sehr fein gestaltete Parade überschrieben. Werden da jetzt etwa kritische Fragen laut werden zu den unschönen holzwirtschaftlichen Hintergründen?

Nein. Die Besucher werden bestenfalls amüsiert sein. Die meisten waren schon lange nicht mehr im Wald. Holz kennen sie eigentlich nur noch von IKEA. Und wie wird ihr Kommentar zu diesen komischen Fotos wohl lauten?

Künstler sind ja irgendwie doch Spinner!



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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (29.07.22, 10:08)
Ja, Holz statt Gas. LG
Agnete (66)
(29.07.22, 21:05)
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 eiskimo meinte dazu am 29.07.22 um 21:24:
Geht es den Bäumen gut,  geht es auch den Menschen gut.. 
Das ist nicht nur romantisch-spinnert, sondern Ökologie.

 eiskimo antwortete darauf am 29.07.22 um 21:26:
.. und wir dürfen nicht alles, was wir Kraft unserer Technik können.
LG
Eiskimo
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