Kein Grund, sich die Kante zu geben, oder?

Bericht zum Thema Mitmenschen

von  eiskimo

Hilde M., vorzeitig pensionierte Lehrerin, lebt alleine in einer winzigen Wohnung auf dem Land – mehr kann sie sich nicht leisten. Im Dorf ist sie als Akademikerin ziemlich isoliert. Sie hat ein Alkohol- und Tablettenproblem. Das weiß sie, und sie hat es halbwegs im Griff. Die ganz krassen Abstürze kann sie vermeiden. Es gibt noch eine Ex-Kollegin, Cornelia P. und ihren Mann Wolfgang, mit denen sie weiter Kontakt pflegt– ihr einziger verbliebener Kontakt, nachdem wenige Monate zuvor ihr jüngerer Bruder verstorben ist.

Diese Cornelia und Werner sind Doppelverdiener. Sie können sich im Grunde alles leisten. Wenn sie reisen – uns sie reisen viel- , gönnen sie sich teure Hotels. Hilde war seit ihrem Ausscheiden schon mehrfach bei ihnen zu Gast und wurde entsprechend verwöhnt – jetzt will sie die Freunde auch einmal einladen, das ist sie schon allein ihrem Selbstwertgefühl schuldig.

Ein Hotel gibt es in ihrem Dorf nicht. Darum hat sie sich nach einem würdigen Bed&Breakfast umgeschaut, das sie den Besuchern natürlich bezahlen würde.

Und tatsächlich, nur 7 Kilometer entfernt entdeckt sie ein wunderbares Quartier, ein von einem jungen französischen Paar betriebenes Gästehaus – très chic und noch bezahlbar.

Hilde ist begeistert von einem richtig nett eingerichteten Frühstücksraum, von einer geradezu mondänen Lounge und vor allem den kleinen Garten mitsamt Terrasse – Blick auf einen idyllischen Bach.

Das würde Cornelia und Wolfgang zusagen, da ist sie sich absolut sicher. Und sie wäre am liebsten selber mit eingezogen in dieses schmucke kleine Gästehaus, mal kurz raus aus den Tiefs hinein in eine heile Welt mit Freunden.

Begeistert telefoniert sie mit Cornelia und malt ihr die Unterkunft in den schönsten Farben aus. Es fehlte nur noch ein Termin für den lange ersehnten Besuch.

Cornelia scheint auch gar nicht abgeneigt. „Aber zur Sicherheit,“ sagt sie, schauen wir uns das Zimmer lieber noch einmal an. Die Vermieter haben doch sicher eine Website und ein paar Fotos – da soll auch Wolfgang besser noch einmal draufschauen.“

Hilde hat natürlich die kleine Karte der Unterkunft greifbar und kann auch den entsprechenden Link durchgeben, sicher, dass damit dann eine freudige Zusage kommen würde.

Es dauert auch gar nicht lange, da erfolgt der Rückruf der Freundin. Die Stimme am anderen Ende klingt bedauernd, geradezu vorwurfsvoll.

„Nein, meine Liebe,“ hört sie, und Hilde erwischt es richtig kalt, wie Cornelia P. dann wortreich weiter ausführt, „das einzige Zimmer, das von der Größe her in Frage käme, hat keine getrennte Betten. Und ein französisches Bett, Einsvierzig mal Einsneunzig, nein, Hilde! Das tun wir uns nicht an.“





Anmerkung von eiskimo:

Getrennte Betten, da zeigt sich das Talent moderner Paare, ihr Glück zu teilen

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (23.05.24, 15:19)
Eine gelingende Freundschaft erfordert gar nicht so selten, daß man seinen Prinzipien einmal eine Pause verordnet.

Ich kann mir auch vorstellen, daß die offenbar anspruchsvollen Gäste die Bezahlung selbst übernehmen, zumal dann, wenn sie von Hildes beschränkten Möglichkeiten wissen.

 eiskimo meinte dazu am 23.05.24 um 15:54:
Ja, beiden Bemerkungen kann ich zustimmen, wobei das mit dem Bezahlen etwas delikat wäre,  von wegen Selbstwertgefühl...
KonstantinF. (67)
(23.05.24, 15:32)
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 eiskimo antwortete darauf am 23.05.24 um 15:50:
Ja, klar, pardon!

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 23.05.24 um 17:50:
Mir hätte das Bettchen völlig gereicht! :)

 eiskimo äußerte darauf am 24.05.24 um 19:33:
Und die sieben anderen? :P
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