Holles Vater war der ungekrönte König des Schwarzmarkts. Er hatte sich eine Truppe aufgebaut, die jeden, der ihm dumm kam, so lange verdrosch, bis er aufgab. Er war ein hochgewachsener Typ, Turmschädel und dasselbe umwerfend freche Grinsen im Gesicht wie Holle. Er war immer blitzblank rasiert, pomadisiert und eingedieselt, und viele Hunger leidende Hausfrauen hatten die Erfahrung gemacht, dass man Speck und Butter bei ihm nicht nur gegen Ware oder Geld bekam. Nach der Währung kam eine Reihe Kinder zur Welt, die „Schwarze“ genannt wurden, weil der Schwarzmarkt sie hervorgebracht hatte. Seine Frau drückte die Augen zu. Erna war, wie sie selbst sagte, infolge der immer üppigen Kost ein wenig „aus dem Leim gegangen“, aber mein Vater, der für Rubensfiguren schwärmte, verehrte sie. Im Erdgeschoss gab es nur ein Bad, wir benutzten es gemeinsam mit den Bartels, die als Ausgebombte ins Haus gepfercht worden waren, und ich erinnere mich noch gut, dass mein Vater einmal das schon benutzte Badewasser von Erna Bartels nur mit gespieltem Widerstreben benutzte. Und meine Mutter habe ich in Verdacht, dass sie die Pfanne Bratkartoffeln mit Speck, die sie überraschend erbeutet hatte, auf besondere Weise „bar“ bezahlt hat. „Kommst du mit?“, fragte Holle mich an einem schönen Sommertag. Und kurz darauf ruderten wir in einem Fischerbötchen über den See, um eine Einladung zu überbringen. Wir legten am Steg eines Reetdachhauses an, in dem Holle mit den Worten „Es kann einen Moment dauern!“ verschwand.
Der Moment wurde mir ziemlich lang, und ich fragte mich, was es beim Überbringen einer Einladung an die Fischersfrau viel zu bereden gab. Aber dann kam er mit seinem gewohnten schiefen Siegerlächeln zurück und sagte nur: „Sie hat sie angebissen!“ Es ging um die Einladung zu einer Art Ball unter dem Titel „Der Schwarzmarkt tanzt“. „Als ich jung war,“ sagte meine Mutter, gingen wir in den Film ‚Der Kongress tanzt‘ mit der wundervollen Lilian Harvey. Naja, jetzt tanzt eben der Schwarzmarkt und die Witwe des Fischers ist eingeladen. Wie tief sind wir gesunken!“ Ich erinnere mich noch gut an die Nacht. Ich konnte nicht schlafen, immer wieder dudelte es von nebenan „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder!“ Es wurde nicht mitgesungen, sondern mitgebrüllt, sehr bald auch -gekreischt, und das Haus erbebte unter den rhythmischen Schritten der Tanzenden. Als der Lärm immer schlimmer wurde und schließlich ein Angstschrei ertönte, der in einem Gurgeln unterging, stand ich auf und lief nach nebenan zu Vilma, die noch wach war. Sie nahm mich in den Arm, beruhigte mich und sagte: „Das hört gleich auf. Papa ist rübergegangen und sagt ihnen Bescheid.“ „Aber warum das alles?“, wollte ich wissen. „Es ist der Alkohol,“ sagte Vilma, „sie haben zu viel davon. Der verdammte Alkohol!“ Es war still geworden, Gäste verabschiedeten sich. Mein Vater hatte vollen Erfolg gehabt. Er wusste auch weshalb: „Ich habe mit Erna Bartels getanzt und ihr mein Anliegen ins Ohr geflüstert. Da war Schluss!“
Einen Monat später wurde das Reetdachhaus der Fischersfrau in der Zeitung zur Versteigerung ausgelobt. Die Besitzerin habe es unter Hinterlassung etlicher Schulden aufgegeben und sei aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem „Freund“ in die Zone gezogen.