Coiffure mixte mit kleinen Privilegien

Reportage zum Thema Respekt

von  eiskimo

Das heimliche Macht-Zentrum von Bonnard, da, wo alle heißen Themen, die das Dorf bewegen, aufkommen und zu Ende kommentiert werden, heißt „Chez Caroline“.

Caroline hat den Salon de Coiffure mixte . Da wird also allen der Kopf gewaschen, den Frauen öfter als den Männern, aber Caroline macht das mit dem richtigen Druck der Fingerkuppen und die 45jährige findet auch – neben der wohligen Wassertemperatur- stets den richtigen Ton. Da sie zudem gut aussieht, sich sehr modisch kleidet und auch die eigenen Haare mit echt Pariser Chic zu tragen pflegt, gilt ihr Wort auch etwas, und auf den Mund gefallen ist die kesse Caroline fürwahr nicht.

Strategisch liegt ihr Salon in idealer Nähe zum „Café des Sports“, zur Bäckerei und zum Bureau de Tabac, so dass sie durch ihr mit Haarfestiger-Reklame getarntes Schaufenster alles im Blick hat – Caroline weiß also, wer wann in welcher Reihenfolge sein Baguette, seine Zigaretten und den petit café noir besorgt hat. Sie selber beginnt ihren Tag auch stes am Tresen mit den anderen Arbeitern, und dieses 20minütige Ritual – sie, die einzige Frau unter den Blaumännern - ersetzt in Perfektion das, was Politiker ihr briefing nennen. Nein, präziser könnte kein Ministerrat seinen Chef für den Tag wappnen. Insofern wäre Caroline in Bonnard tatsächlich so etwas wie la patronne, ohne die gar nichts mehr ginge.

Genau dieses Gefühl, doch ein bisschen über den anderen zu stehen, muss Caroline dazu verleitet haben, in einer eher zweitrangigen Frage übers Ziel hinaus geschossen zu sein. Zweitrangig, so empfanden es die Leute im Dorf, nicht aber la patronne Caroline!

Denn Caroline gönnt sich als Ausweis ihrer florierenden Coiffeusen-Tätigkeit stets ein höchst flottes Auto, gerne etwas Sportliches, gerne auch ein Teures. Und dieses ihr top gepflegtes Cabrio parkt sie stets werbewirksam vor ihrem Salon.

Das Problem: Die Straße ist leicht abschüssig, der Bordstein sehr hoch und die Damen und Herren, die vor oder hinter Carolines Auto einzuparken versuchen, sind Franzosen. Schlimmer noch: Franzosen oft in vorgerücktem Alter. Bis hierher ein zweitrangiges Thema – aber dann hat es halt einmal ein bisschen gescheppert, jemand parkte „auf Gehör“ ein, und Resonanz gebend war dabei … Carolines flotter Flitzer!

Wer sich die Autos in Bonnard anschaut und verfolgt, wie pragmatisch sie benutzt werden, wird verstehen, dass sich der Verursacher dieses kleinen Touchierens nicht weinend der Coiffeuse zu Füße warf, nein, er ging wohl nonchalant seines Wegs. Und Caroline musste den Affront beim lauten Trocken-Föhnen einer Frisch-Frisierten überhört haben....

Folge: Sie machte nicht nur in den Tagen und Wochen danach bei jedem Kunden dieses Rowdytum zum Leid-Thema, sondern kaufte sich auch vier orange-weiße Hütchen, die sie dann täglich als warnende Statthalter um ihr teures Auto herum positionierte. Es soll Menschen in Bonnard gegeben haben, die sich darüber en secret amüsierten.

Dann aber passierte, was nicht passieren durfte. Scherzbolde – wahrscheinlich aus dem Nachbardorf - mopsten in der Mittagspause diese kleinen Crash-Vermeider.Völlig ungeschützt musste Caroline ihr Cabrio wiederfinden, den geisterfahrenden Dorfdeppen ausgeliefert.

Was tat die empörte Friseurin? Sie wusch dem Bürgermeister und allen 18 Mitgliedern des Gemeinderates so intensiv den Kopf, dass sie zwei hüfthohe Absperr-Poller aus dem Fundus der Dorf-Feuerwehr zur Verfügung gestellt bekam, die sie als protection privée vor ihrem Laden aufbauen durfte. Und damit die nicht so ohne Weiteres weg bewegt werden konnten, füllte sie sie in zarter Handarbeit mit Sand.

Kann man auf dem Land, wo ohne Auto gar nichts mehr geht, ein höheres Privileg ergattern als einen solchen Extra-Parkplatz, und dass mitten im Dorf?

Caroline hatte damit aber noch nicht genug. Der Verlust der vier orange-weißen Statthalter brachte sie auf die Idee, oberhalb ihres Schaufensters auch noch eine Videokamera anzubringen – Attrappe oder echt, die Wirkung sollte einfach nur sein: Ihr Brüder, ich kriege euch!

Da Caroline es versteht, ihre Selbsthilfe-Maßnahmen gut zu kommunzieren, und da ihre Empörung echt ist, findet sie in Bonnard viel Sympathie. Da ist mal jemand, der nicht nur quatscht! Vielleicht denken die Leute hier aber auch ganz praktisch: Sie wollen eine so gute und schicke Friseurin nicht vergraulen. Ohne sie gewänne das bäuerlich-Provinzielle hier ganz schnell wieder die Oberhand.



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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (23.06.23, 17:54)
So geht es auch mit Auto gut. Spannende Geschichte. LG

 eiskimo meinte dazu am 23.06.23 um 20:18:
Danke! 
Mal sehen, ob Caroline auf Dauer ihre Park-Hoheit wird halten  können. Pariser Chic allein reicht vor dem Gesetz der Gleichheit nicht.
LG
Eiskimo
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