Das Brot der fetten Jahre

Kalendergeschichte zum Thema Respekt

von  eiskimo

Mein Discounter ist bei Brot unschlagbar günstig. Schon für 99 Cent kriegt man da einen Kilo-Laib feines Brot, und jeder kann es an der eigens bereit gestellten Brotmaschine auch bedarfsgerecht schneiden. Ich sehe bei meinen Einkäufen, dass ganz viele Kunden diese Maschine nutzen. Und ich sehe auch, dass nach dem Schneiden links und rechts jeweils ein Krüstchen übrig bleibt.
Früher, in meiner siebenköpfigen Familie, da wurde aus Brotresten  immer Suppe gemacht. Eine süße Suppe, mit Rosinen drin und sonntags auch mal mit einem Schuss Büchsenmilch. Nur Mutter durfte  bei uns das Brot anschneiden. Mit dem Messer ritzte sie vorher auf die Unterseite drei Kreuzzeichen. Kam dann das erste Krüstchen auf den Tisch, lechzten schon alle danach. Klar, dass streng nachgehalten wurde, welches Kind wann mit dem begehrten Endstück dran war.
Ganz anders die Kunden in meinem Discounter. Die lassen die Krüstchen einfach liegen. Die Ablage war zeitweise voll davon, darum steht jetzt unter der Brotmaschine ein Eimer. Und dieser Eimer muss mehrmals täglich ausgeleert werden. Ja, das Brot für unschlagbare 99 Cent geht halt richtig gut.
Heute beobachtete  ich  am Brotregal eine Frau mit zwei Kindern. Eins der Kinder, ein vielleicht zehnjähriger Junge, sah auf der Brotmaschinen-Ablage ein frisch abgeschnittenes Endstück liegen. Seine Augen  blitzten auf, und schwupp – nahm er sich dieses Krüstchen. Er wollte es tatsächlich zu Munde führen.  Aber schwupp – seine Mutter fuhr empört dazwischen. „Lässt du das wohl liegen!“
Der ertappte Sünder ging brav mit dem Brothappen zu der Ablage zurück. Ich sah sogar, dass er es dann auch ordentlich in den Abfalleimer legte.
Kaum war er wieder im Schlepptau der Mutter, hörte ich, wie sie ihn anzischte „Du solltest dich was schämen!“


Anmerkung von eiskimo:

In Anspielung auf H. Böll "Das Brot der frühen Jahre".
Passt vielleicht auch zum Auftakt der Fastenzeit (gibt es die noch?)

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (26.02.20)
Das Brot oder die Brötchen aus den Backautomaten, die zu häufig angeklickt werden, bleiben auch stets liegen. Schon eine Minute später ... selbst wenn der neue Kunde eben dieses Produkt wünscht.
Ich glaube allerdings nicht, dass sich dieses Problem durch Verteuerung lösen lässt. Bei Luxusgütern mag das funktionieren ...

 eiskimo meinte dazu am 26.02.20:
Ja, die neuen Automaten, die auf Knopfdruck Brot oder Brötchen ausspucken, die befriedigen auch den Spieltrieb.
Was mit den Backwaren passiert, die einfach liegen gelassen werden, kann man sich leicht ausmalen. Für die Discounter wird es sich trotzdem rechnen.
In meinen Fantasien lasse ich manchmal Leute wochenlang hungern, damit sie am Ende auf den Knien zu den Abfalleimern rutschen... die gerade entleert wurden.
lG
Eiskimo

 sandfarben (26.02.20)
Wir könnten sagen, es sei der Wohlstand oder eine andere Zeit. Aber auch ich erinnere mich an meine Kindheit, in der Brot auf keinen Fall weggeschmissen werden durfte. Bei uns war das eine große Sünde. Und heute, obwohl ich nicht mehr an Sünden und Bestrafung glaube, verarbeite ich das nicht verbrauchte Brot zu Bröseln oder es wird bei uns für Knödel verwendet. Ich sehe das als Nachhaltigkeit.
Jedenfalls gut beobachtet. Deine Geschichte ist ein guter Auftakt zur heute beginnenden Fastenzeit.
lg christa

 eiskimo antwortete darauf am 26.02.20:
Ich glaube noch an Sünde, oder positiv ausgedrückt: An Gewissensbildung.
Überall Polizei hinstellen kann keinen echten Frieden bringen.
Danke für deinen nachhaltigen Kommentar!
Eiskimo

 Dieter_Rotmund (26.02.20)
Du gehst in die richtige Richtung: Beschreiben, nicht verurteilen und/oder werten. Könnte aber ruhig noch sachlicher im Ton sein.

 AZU20 (26.02.20)
Gut beobachtet. Ich klaube sie meinen Enkeln heraus und sie stecken sie freudig inden Mund.. Natürlich gibt es sie noch. Mal sehen, wozu der Virus uns noch zwingt. LG

 eiskimo schrieb daraufhin am 26.02.20:
Um ehrlich zu sein: ich habe mich an der Ablage auch schon bedient. Noch bin ich symptomefrei.
LG
Eiskimo

 AZU20 äußerte darauf am 26.02.20:
Wirts Du auch bleiben. LG

 DanceWith1Life (26.02.20)
Bei uns gabs die Knoblauchsuppenvariante, einmal die Woche und wenn wir als Kinder in den Sommerferien ins nahe Dorf Brot kaufen gingen, frag lieber nicht wie das Brot aussah, bis wir die 2 km wieder an der Wochenendhütte waren. Ich hab immer gedacht, das lag an den Entbehrungen des Krieges, das setzt andere Prioritäten, langfristig. Kartoffel z.B. hatten auch einen ganz anderen Stellenwert.

 TassoTuwas (26.02.20)
Das weckt die Erinnerung an meine Großmutter. Auch sie machte die drei Kreuze auf den Brotlaib bevor sie ihn anschnitt.
Eine Geste die Dankbarkeit und Ehrfurcht ausdrückte!
LG TT
Al-Badri_Sigrun (61)
(26.02.20)
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 eiskimo ergänzte dazu am 26.02.20:
Danke!
In puncto Ernährung gibt es eine skandalöse Schieflage. Hier Überproduktion, Überfluss, Übergewicht - dort ... was Du ja beschreibst.
Und die Heuschrecken fallen ausgerechnet über das bisschen her, was dort noch wächst.
Ich habe dennoch Hoffnung, dass ein Bewusstseinswandel eintritt.
LG
Eiskimo
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