Haut

Text

von  Lilo

Nur noch ein wenige Millimeter Hornhaut waren zurückgeblieben. Im hintersten Eck der linken Ferse. Nicht einmal hart war sie. Ein rauer aufgeriebener Rest, unsichtbar, fühlbar nur, wenn ich prüfend darüber strich. Der rechte Fuß war glatt. Mehrere Monate hatte ich gebraucht, die raue Haut an meinen Fersen aufzuweichen, abzuschmirgeln und wegzucremen, mit Fußbädern und Fruchtsäurepeelings, Cremes und, und. Jetzt waren meine Füße glatt, bis auf diesen letzten Rest. Glatt und rot. So geschält. Ich hatte alles getan, was Anja mir geraten hatte. Alles, was dazugehörte. Die Füße sind nur ein Bruchteil des Körpers. Aber ein wichtiger. „An den Füßen“, hatte Anja gesagt, „zeigt sich, ob eine Frau wirklich gepflegt ist, ob sie sich selbst etwas wert ist. Ob sie rein ist. Und sich selbst liebt.“

 

Ich saß auf dem Boden im Badezimmer und betrachtete meine Füße. Am Ringzeh hing ein winziger Tropfen geronnenen Bluts. Dort, wo die Nagelhaut in die Nagelbetthaut überging. Ich war unvorsichtig mit dem Werkzeug umgegangen, weil ich ungeduldig mit dieser dünnen, durchsichtigen Haut gewesen war, die meine Nägel überwucherte wie Unkraut. Ich kannte den Namen des Werkzeugs nicht. Anja hatte es empfohlen. Ein Stäbchen mit einem halbmondförmigen Schieber am einen und einer kleinen, gespaltenen Klinge am Ende. Ich hatte die Nagelhaut erst nach hinten geschoben, so dass sie sich aufstellte, dann hatte ich die Klinge angesetzt. Ich hatte Hass dabei gespürt. Denselben Hass, der mich trieb, wenn ich einen Pickel zwischen die Fingernägel nahm und zudrückte, bis die Hautoberfläche platzte und der Eiter hervorkam, manchmal als zähe Masse, manchmal als Tropfen, mit Blut vermischt. Manchmal spritzte er mit einem leisen Knacken heraus, direkt auf den Badezimmerspiegel. Mit voller Wucht. Dann fühlte ich mich für einen kurzen Augenblick erleichtert. Als wäre etwas tief aus meiner Brust herausgespritzt. Oder aus dem Herz.

 

Ich nahm die Pinzette und suchte meine Schienbeine und Waden nach zurückgebliebenen Härchen ab. Dort, wo ich die Haare entfernt hatte, hatten sich kleine, rote Punkte gebildet. Ich strich mit den Fingerkuppen über die Beine und Knie und suchte nach Unebenheiten und Stoppeln. „Ob eine Frau wirklich gepflegt ist“, hatte Anja gesagt, „zeigt sich an den Knien“. Eine Frau, die sich nur oberflächlich anpassen will, aber zu faul ist, sich sorgfältig um ihren Körper zu kümmern, entfernt nur die Haare an den Unterbeinen und hört bei den Knien auf. Sie denkt, sie wären unsichtbar. Aber man spürt es. Mann. Wenn, ein Mann ihr über die Beine streicht, werden sich diese kleinen, blonden Härchen aufstellen und er wird sie spüren wie Spinnenbeine. Dann wird er wissen, was sie für eine ist.“ Ich nahm die Körpercreme und cremte meinen Körper ein. Es dauerte lange, bis die Creme eingezogen war und meine Haut nicht mehr klebte. Nach einer halben Stunde wiederholte ich denselben Vorgang noch einmal. Und dann noch einmal. Ich mochte das klebrige Gefühl von Creme nicht. Aber ich hielt durch.  „Eine Frau mit rauer Haut“, hatte Anja gesagt, „ist für einen Mann wie eine Frau mit Körperbehaarung oder eine große Frau, sie unterscheidet sich nicht genug von ihm. Sie braucht keinen Schutz. Ein Mann will den Unterschied spüren. Die Zartheit. Die berührt sein Herz“. Sein Herz. Ich ging in mein Zimmer und öffnete die Türen meines Kleiderschrankes und starrte in meine Leere. Und.


Ich würde noch ein bisschen warten müssen, bis ich meine Füße sehen lassen könnte.


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Kommentare zu diesem Text


 Redux (07.07.23, 17:43)
Also, ich bin ja eher der Meinung,  du solltest auf Lilo und ihren Körper hören. Und nicht auf Anja. Oder irgendeine(m).

Kommentar geändert am 07.07.2023 um 18:00 Uhr

Kommentar geändert am 07.07.2023 um 18:00 Uhr
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