Keine besonderen Vorkommnisse

Prosagedicht

von  Redux

sie stehen im stau und fahren los und stoppen
und fahren los und stoppen und fahren los
und ihnen läuft die zeit davon weil sie
um sieben an ihrem arbeitsplatz sein müssen
sie verladen container auf schwere frachtschiffe
die sich dann auf den weg nach brasilien
japan singapur mexiko südafrika machen
sie schreiben diktate und stürmen auf den schulhof
um halb zehn wenn die glocke klingelt
sie überweisen geldbeträge und unterzeichnen verträge
mit unleserlichem namenszug und einem
nagelneuen kugelschreiber der marke lamy
heizungen springen an und aus und an und aus
und ampeln wechseln von rot auf gelb und grün
und von grün auf gelb und rot und wieder zurück
und hin und her und regen fällt
fliesst über asphalt in unterirdische schächte
sie schmieren baguettebrote mit butter und käse
und gurkenscheiben und tomatenscheiben
sie beissen und kauen und schlucken
und waschen anschliessend das dreckige geschirr
trocknen es ab und räumen es in einen schrank hinein
und holen es wieder hervor abends immer wieder
und sie machen schlagzeilen in bamberg und pittsburgh
auch in acapulco und denver und überall
sie planen etwas und machen es und verwerfen es
sie kratzen sich den dreck unter den nägeln hervor
und waschen die hände
und streicheln die wangen von säuglingen
und graben gärten und äcker um
und kratzen sich erneut den dreck unter den nägeln hervor
immer wieder
sie diskutieren in hell erleuchteten räumen
und hörsälen über die halbleitertechnik
über den einfluss des zen-buddhismus
auf die westlichen zivilisationen
über raubbau von tropenhölzern
im amazonasgebiet oder indonesien
sie zerteilen einen grünen apfel
abends um acht und morgens um neun
oder öffen eine flasche trockenen sherry
sie gehen weiter
weiter fort

sechs stunden nach deinem tod



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Kommentare zu diesem Text


 Saira (24.08.23, 07:50)
Moin Herbert,
 
es ist der alltägliche Wahnsinn, der sie, die Menschen, jeden Tag aufs Neue erfasst. Auch der Tod hält diesen Kreislauf nicht auf.
 
Ich überlege noch, wie du auf die „sechs Stunden“ kommst …
 
Liebe Grüße
Sigrun

 Redux meinte dazu am 24.08.23 um 09:00:
Danke, Sigrun, für deine Worte.
Richtig: der Kreislauf geht weiter, auch wenn wir nicht mehr sind...

Die " sechs Stunden" sind beliebig gewählt. Ich hätte auch eine Stunde oder drei Tage schreiben können.

LG Herbert

 Saira antwortete darauf am 24.08.23 um 13:00:
Vermutet hatte ich schon, dass du die sechs Stunden für eine beliebige Zeit eingesetzt hattest.

C'est la vie! Es steht nicht still.

Liebe Grüße
Sigrun

 eiskimo (24.08.23, 10:28)
Schöner Spannungsaufbau, dem eine gelungene Auflösung folgt.
Guter Text!
lG
Eiskimo

 Redux schrieb daraufhin am 24.08.23 um 15:47:
Vielen Dank. Es ging mir um eine geballte Auflistung,  um zu zeigen, dass alles weitergeht.
Lunarum (40)
(24.08.23, 15:44)
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 Redux äußerte darauf am 24.08.23 um 15:48:
Berechtigte Frage. Der bleibt. Irgendwo.....

 EkkehartMittelberg (24.08.23, 21:13)
Hallo Herbert,
auf dem Hintergrund der immer gleichen Abläufe wird sehr deutlich, wie belanglos der individuelle Tod ist.

Herzliche Grüße
Ekki

 Redux ergänzte dazu am 24.08.23 um 21:26:
Deine Meinung freut mich sehr, doch persönlich glaube ich nicht an diese Belanglosigkeit, selbst wenn ich sie zum Ausdruck gebracht haben sollte.
Ich glaube an etwas Größerem, kann es jedoch nicht beschreiben, geschweige denn beweisen.

LG Herbert

 BeBa (03.02.24, 01:54)
Das ist mal ein Prosagedicht ... das ich bisher übersehen habe.
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