Opa Gehrke

Prosagedicht

von  Redux

Ich mag sie.

Ganz besonders.

Sie werden bleiben.

Oma Müller.

Oma Tschernowitz.

Oder Opa Gehrke.

Der saß schon morgens in seiner Gartenlaube.

Und nach und nach kamen sie.

Die Rentner seines Viertels.

Damals, 1998, in Bottrop-Eigen.

Sprechstunde ab zehn.

Beim Knappschaftsältesten.

Hinten in der Gartenlaube.

Und immer Hansa-Bier, das Gute.

Vom Aldi.

In Büchsen.

Der wusste nichts von Quantenphysik.

Der hielt Schopenhauer bestenfalls für einen Steiger.

Opa Gehrke war cool.

Seine Frau saß immer vor den sandgelben Gardinen.

Und starrte hinaus auf die Scharnhölzstraße.

War trübe wie das Mädchen Hinsch in Borcherts Kurzgeschichte.

Die aus dem Milchgeschäft.

Aber in seiner Gartenlaube war immer was los.

Auch im Dezember.

Da war alles trübe und grau.

Der Rauch der Koksheizungen vermengte sich.

Mit dem Dezembernebel.

Selbst Oma Gehrke sah nichts mehr.

Aber das war auch im hellen Juni so.

Das waren Menschen.

Menschen.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (30.08.23, 07:59)
Tja,
manchmal kann man tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass diese besondere Spezies im Aussterben begriffen ist.

Hoffentlich erlebe ich das Finale nicht mehr!

. :(

 Redux meinte dazu am 30.08.23 um 19:35:
Nein, es gibt sie noch. Und das Finale ist noch längst nicht in Sicht.
Das glaube ich.

 Saira (30.08.23, 08:13)
Es gab sie, die Zeit mit mehr Gemütlichkeit. Es gab auch die Menschen, die den Inbegriff für Menschlichkeit erfüllten.
 
Es gibt sie auch heute noch, diese Menschen, aber sie wirken wahrscheinlich verlorener in unserer Zeit, in der so viel verlorengeht.
 
Eine schöne Verserzählung.
 
Liebe Grüße
Sigrun

 Gabyi antwortete darauf am 30.08.23 um 10:12:
und bei mir wars Tante Martha ;)

 Redux schrieb daraufhin am 30.08.23 um 19:36:
Danke, ihr zwei, sie werden sicherlich seltener, diese Originale, aber ich wiederhole mich: sie gibt es noch!
Teolein (70)
(30.08.23, 10:17)
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 Redux äußerte darauf am 30.08.23 um 19:38:
Na ja, nicht ganz, ich bin Münsterländer.
Und die Leute aus dem Pott unterscheiden sich von den Münsterländern doch bisweilen gewaltig, auch wenn wir Westfalen sind.
Aber ich habe 5 Jahre in Bottrop gearbeitet und habe sie alle, kreuz und quer, kennen und lieben gelernt.

 EkkehartMittelberg (30.08.23, 15:19)
Jau, Herbert, so is dat.

Dem wird erspart so mancher Scheiß,
der wie Opa nicht zu viel weiß. 

Lernwillige Grüße
Ekki

 Redux ergänzte dazu am 30.08.23 um 19:43:
Manchmal trifft das tatsächlich zu.
Ich denke da an meine 86 jährige Mutter, die sonntags ganz früh zur Kirche geht und nachmittags mit dem Auto ihre 2 oder 3 Freundinnen einlädt und ein Bauerncafe nach dem anderen abklappert.
Sie lebt in ihrer kleinen Welt und hat kaum eine konkrete Ahnung von Klimaerwärmung, Flüchtlingspolitik, Ukrainekrieg etc etc und freut sich wie ein Kind über ihre Tomaten, die sie auf ihrer Terrasse zieht.

Manchmal beneide ich sie....

 ginTon (30.08.23, 18:32)
an Hansa Bier erinnere ich mich auch noch, dass kann man aber nur zum Büchsenstechen gebrauchen  :P

 Redux meinte dazu am 30.08.23 um 19:43:
Ich hätte fast gesagt: Hauptsache, es dickt....

 AchterZwerg meinte dazu am 31.08.23 um 08:08:
. :D :) <3
Agnete (66)
(30.08.23, 20:21)
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 Redux meinte dazu am 30.08.23 um 20:34:
Wenn ich das schaffe: was will ich noch mehr?
Danke, Agnete

 Owald (30.08.23, 22:45)
In Wuppertal gab es 1998 kein Hansa-Pils bei Aldi. Da gabs nur das gute Karlsquell in der 0,33-Liter-Dose.

Dein Text ist ein schönes Stimmungsbild, aber ich glaube, Menschen, die jünger sind als wir, haben auch wieder Erinnerungen an Menschen, die sie erlebt haben, als sie selbst noch jünger waren, und von denen sie sagen: DAS waren noch Menschen; und Menschen, die unsere Generation als langweilig, nervig, krank, seltsam wahrnimmt, sind für Jüngere die Originale von morgen. Und andersrum wurden die Alten aus den Neunzigern von ihren Vätern, Müttern, Onkeln, Tanten und Gattinnen und Gatten trotz Hansa-Pils deutlich nüchterner wahrgenommen als von uns Nachgeborenen.

Wollen wir Originale werden?

Schöne Grüße

 S4SCH4 meinte dazu am 30.08.23 um 22:50:
Ich kann mich meinem Vorredner nur anschließen. 100%

Nachtrag: ähm, sagte ich 100%?...Bis auf das mit dem "Hans A." Das gab´s in Göttingen, ´98 auch als Dosenbier. :)

Antwort geändert am 30.08.2023 um 22:52 Uhr

 Redux meinte dazu am 31.08.23 um 05:55:
Hallo ihr zwei,

nein, das will ich nicht. Wenn ich ein Original werden sollte, was ich nicht glaube, dann nicht, weil ich es wollte.

Und ich wollte in meinem Text auch nichts verklären, mir ging es tatsächlich in erster Linie um ein Stimmungsbild, was ich so ähnlich wahrgenommen hatte.
Es sollte keine Idealisierung von Menschen und Orten sein, wo nichts zu idealisieren war.
Es sollte eher dieses Stimmungsbild sein.

 eiskimo (03.09.23, 20:16)
Eine toll formulierte Würdigung. Und das hat mit Würde zu tun.
Kompliment!
LG
Eiskimo
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