Der eingefleischte Junggeselle

Short Story

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  BEGEGNUNGEN (Erzählungen, Short Stories)

Er beschließt sein Junggesellendasein zu beenden. Alle seine Freunde sind inzwischen verheiratet. Heute Abend geht er in den Kaiserkeller auf der Großen Freiheit.

 

Die Frau, die dort tanzt, scheint für die Welt verloren. Gerade das reizt ihn besonders. Allerdings fürchtet er, wenn er sie aus der Trance in diesem Moment durch Ansprache zurückholt, wird sie fallen. So beschließt er zu warten, kann seine Blicke aber nicht abwenden.
Nach einer Weile des Schauens überfluten ihn seine Gefühle, so als würde auch er aus der Welt fallen. Bodenlose Angst bemächtigt sich seines Körpers, der droht zu versinken. Es gibt keine klaren Worte dafür. Es ist so als wenn eine diffuse See ihn mitreißt und er sich nicht dagegen stellen kann. Eigentlich will er sich nicht wehren, sondern für immer verschwinden, in die Finsternis hinein, der Angst sich hingeben. Ihm wird schwindlig und er muss sich am Tresen der Bar festhalten.

Die Musik bricht ab. Er sieht wie die Frau aus dem Schutz der sie nicht mehr umhüllenden Musik direkt auf ihn zukommt. Sie fragt:

„Ist der Platz neben Ihnen frei?“
„Ja!“ Sie setzt sich geschmeidig auf den Barhocker und bestellt einen Prosecco.
Er betrachtet sie wie sie mit einer ihr offensichtlich angeborenen Sinnlichkeit in ihrem Frausein dasitzt. Er reißt die Augen auf, beobachtet die perlenden Schweißtropfen, die sich auf der hellen Haut ihres freizügig gekleideten Körpers bilden, und verfolgt gebannt wie sie von der Stirn über ihr Gesicht rollen und auf ihr Dekolleté tropfen. Der Duft ihres Parfums mischt sich mit Schweißgeruch. Das erregt instinktiv seinen Jagdtrieb. Der Taumel seiner Angst löst sich wie ein Regen, der auf von Sonne erhitztes Pflaster fällt und sich in Dunstschwaden verflüchtigt.
Jetzt kann er endlich sprechen:

„Ich habe Ihnen beim Tanz zugeschaut und war fasziniert von Ihrer Ekstase.“
„Ja“, sagt sie, „ich war woanders, in der Welt des Taumelns, ohne zu denken. Die Musik hat mich gelenkt, beschützt und getragen. Ich brauche das wie eine Droge in meinem Alltag.“
„Oh, ich habe ganz ähnlich empfunden, obwohl ich nur hier an der Bar saß und Ihnen zusah.“
„Ich habe gefühlt, dass ich nicht allein war auf der Tanzfläche, durch Blicke gehalten. Das also waren Sie.“

 

Schweigen. Er saugt die heiße Luft ein, spürt ihren Atem und stellt sich vor wie seine Poren sich öffnen in sinnlicher Berührung.

Plötzlich stürzt sie ihren Prosecco hinunter und sagt mit herber Stimme:

„Ich muss nach Hause, mein Mann wartet auf mich.“



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (20.09.23, 06:53)
Hallo Uwe,

durch den unerwarteten Schluss brichst du das Vorherige und verleihst ihm aus meiner Sicht Qualität.

Liebe Grüße
der8.

 uwesch meinte dazu am 20.09.23 um 07:46:
So ist es gedacht.
Dank Dir für Deine Empfehlung und LG von Uwe

 harzgebirgler (20.09.23, 09:47)
ein überzeugter hagestolz
ist eh geschnitzt aus härt'rem holz
und sagt sich einfach nur "was soll's!" :D lg vom harzer

 uwesch antwortete darauf am 20.09.23 um 10:27:
Leichter gesagt als getan. Mir kommen da Erinnerungen an meine Jugendzeit, die ich mit einem Freund Samstags oft im Starclub auf der Reeperbahn verbrachte. Die Alternative TopTen und der Kaiserkeller waren nicht so unser Ding. Leute und Musik gefielen uns dort nicht. Im Starclub spielten damals die ersten Bands, die wahnsinnige Gitarrenriffs auf E-Gitarren abzogen. Mein Freund hat dann selbst das Gitarrespielen gelernt und ich habe ihm einen Wimmerhebel eingebaut. Damit kann man die Saiten auf einen Schlag etwas straffen, was natürlich die Töne verzerrt. Als Azubi in einem Betrieb konnte ich den Hebel selbst anfertigen. Was waren das für irre und laute Zeiten in den 50-er-Jahren.
LG Uwe

Dank Dir für Kommi und Empfehlung

Antwort geändert am 20.09.2023 um 10:27 Uhr
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