Zwei Seelenverwandte

Short Story zum Thema Annäherung

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  SHORT STORYS

Erwin sitzt auf seiner Lieblingsbank im Park und beobachtet das Verhalten von Liebespaaren. Er erinnert sich an seine Zeit als pubertierender Junge, wie er hingebungsvoll mit seinen Stoffpuppen gekuschelt hatte und deshalb von anderen Jungs gehänselt wurde. Jetzt melden sich die sinnlichen Eindrücke von damals aus seinem Innersten zurück.
Eines Tages, er war gerade fünfzehn Jahre alt geworden, trat Anita in sein Umfeld. Sie war zugezogen in die Siedlung, wo er mit seinen Eltern wohnte. Die Jungs von der Straße nannten sie einen heißen Feger. Ihm war nicht entgangen, dass sie sich für ihn besonders interessierte. Wenn er mit ihr murmelte und sie dann verlor, gab er ihr anschließend alle gewonnenen Murmeln zurück und eine besonders schöne Glaskugel obendrauf. Einmal wollte sie ihn spontan küssen, aber er drehte sich weg, fürchtete sich vor Berührungen mit einem lebendigen Menschen. Sie war enttäuscht und wendete sich anderen Jungs zu. Er war sehr traurig, mied hinfort die Straße und gab das Murmelspiel auf, obwohl er als der beste Spieler galt.
Heute hätte er sich eine gemeinsame Zukunft mit Anita vorstellen können, nachdem er auf Anraten eines Therapeuten seine Angst vor Nähe mit Körperübungen in den Griff bekommen hatte. So lernte er auch das Zulassen von intimeren Berührungen in einem geschützten Rahmen.

Plötzlich durchbricht eine Frau seine Gedanken. Sie spricht ihn mit angenehm weicher Stimme von der Seite an und fragt, ob sie sich dazu setzen darf.
„Ja gern“, antwortet er etwas überrascht.
Es entwickelt sich ein anregendes Gespräch und sie stellen fest, dass sie seelenverwandt sind, sich beide immer als Außenseiter gefühlt haben. Noch etwas unbeholfen versuchen sie sich an einem Kuss. Es klappt schon ganz gut. Sie heißt Iris und hatte Techtelmechtel mit den Männern bereits aufgegeben. Es stellt sich ihr jetzt die Herausforderung, vergessene Gefühlsregungen wieder wachzurufen. Beide beschließen, bevor sie sich verabschieden, eine reale Liebe auszuprobieren und verabreden sich für das Wochenende.
Erwin versucht in den nächsten Tagen akribisch der selbstauferlegten Verpflichtung, sich auf Iris einzulassen, gerecht zu werden. Abends geht er die geführten Gespräche noch einmal durch. Am nächsten Tag holt er sich den neuesten Liebesfilm aus der Videothek, um sich für die erste gemeinsame Nacht am Wochenende zu wappnen.



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