Tango

Short Story

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  SHORT STORYS

Meine Güte, was bin ich aufgeregt.

Seit meinem Aufenthalt in Buenos Aires vor einigen Jahren habe ich nicht mehr getanzt. Ich bin dort oft lange in den Nachtclubs unterwegs gewesen und habe die Exzesse zufälliger Erotik beobachtet, die der Tango mit sich bringt. Es fasziniert mich noch heute, die Konstellationen der Körper zu studieren, die wie Anfang oder Ende von Liebesgeschichten wirken. Und ich will mich mit allen Fasern hineinbegeben. 

Endlich werde ich sie sehen - meine neue Tanzpartnerin, die ich vor einer Woche über eine Anzeige gefunden habe. Ein Bild von ihr auf meinem PC zeigt dunkle Augen, schwarze Haare, glatt nach hinten gekämmt und verknotet, einen sinnlichen, knallrot geschminkten Mund und eine Stolz ausdrückende Nase, und ich habe sie nach allen Regeln der Kunst in Gedanken verführt.
Heute haben wir uns in der Tangobar verabredet. Auf der Fahrt in die Stadt höre ich Körper und Gehirn förmlich knurren. Gier, Leidenschaft und Geist versuchen sich zu verbinden.
Wir erkennen uns sofort. Sie sitzt schon an der Bar. Wir begrüßen uns und ich bestelle ebenfalls ein Glas Prosecco. Wir stoßen an und sagen nichts, schauen uns nur in die Augen und wissen Alles. Auf der Tanzfläche tun wir einfach so als ob unsere Körper sich intensiv unterhalten. Sie bewegen sich exakt und systematisch durch die Lücken, die die vielen Tanzpaare uns lassen. Wir sehen nicht in ihre Gesichter, sind nur in der Haltung unserer Körper miteinander verknüpft, die sich verstehen, verbinden, loslassen und neu verbinden. Fragen zu beantworten, von denen ich noch nicht wusste, dass es sie gibt – mit dieser Frau. Mir ist klar, dass es beim Tango immer um den vertikalen Ausdruck des horizontalen Verlangens geht, dem Geheimnis dieses spielerischen, spekulativen, provokanten und selbstbewussten Tanzes.
Ich inhaliere den Rhythmus und übernehme die Führung, fühle mich wohl in meiner Machorolle, so wie das Bewegungsrepertoire im klassischen Tango betont geschlechtsspezifisch festgelegt ist. Meine Partnerin gefällt sich in den dekorativen und anmutigen Elementen des Tanzes, die durch kunstvolle Verzierungen und durch verführerische weiche, runde und hüftbetonte Bewegungen glänzen, wobei sie gar in Sequenzen den Bodenkontakt völlig aufgibt und auf meinem Oberschenkel sitzt. Ich strukturiere den Tanz mit immer härteren, abrupteren Bewegungen, die aus Stopps und Unterbrechungen, dem Wegschleudern oder Aufstampfen eines Beines bestehen, übernehme die volle Verantwortung für unsere Stabilität und stütze meine neue Partnerin bei allen Figuren, in denen sie sich im labilen Gleichgewicht befindet.
Im permanenten Wechsel von Rhythmus und Melodie entwickeln wir eine Leidenschaft, bei der sich aufgrund der ungewohnt großen Nähe eine knisternde sinnlich-flirtende Spannung zwischen uns aufbaut. Unsere Körper werden eins und doch bleiben wir Individuen. Trotz Improvisation ist jeder Schritt eine neue Entscheidung, und ich bin ihr Choreograph, der durch eindeutige Körpersprache den Tanz spontan, ohne vorherigen Plan, organisiert.
Nach etwa einer Stunde drückt sie ihren erhitzten Körper an meine Brust, presst ihr Gesicht an meine Wange, schließt die Augen und flüstert: „Wie schön mit dir zu tanzen“, die ersten Worte, seitdem unsere Körper sprechen.
Ich atme ihren Geruch, der noch den Schweiß des Tanzes widerspiegelt und sich mit meinem vereint. Minutenlang bleiben wir so stehen und zelebrieren dann weiter unsere Leidenschaft. Die Körper lösen alle Widersprüche auf, waagerechte und senkrechte Positionen verwischen sich, hauchdünne Gefühlsstränge halten uns zusammen und dann verwachsen wir wieder miteinander. Ihre Fragilität verbindet sich mit meinem kräftigen Körper. Ich spüre ihren Atem und sauge die heiße Luft ein. Es öffnen sich alle Poren in sinnlicher Berührung.
Dieser alte argentinische Tanz schlägt breite Schneisen in meine Gegenwart, um zurück in die Vergangenheit zu sehen, und den Blick für die Zukunft freizubekommen, die ich mir schön, schlau und sinnlich vorstelle. Der Tanz ist nicht mehr Selbstzweck, er führt mich wieder zurück auf das, was einmal war. Ein Schlüssel zum Verständnis meines Menschseins und welche Opfer wir als Paar bereit sind zu bringen, für das Wissen, das Nichtwissen, denn wir leben in einer Welt, die an Bildern erstickt und am Körper erlahmt und erstarrt. Die Einheit von Körper und Geist droht immer mehr auseinander zu brechen.

Nachdem wir bei mir zuhause die waagerechte Variante des letzten Tangos zelebriert haben, meint sie beim Abschied am frühen Morgen, als ich ihr hinterherschaue: „Schön, dich endlich persönlich kennengelernt zu haben“, und wirft mir eine Kusshand zu.

Es ist noch sehr früh am Morgen und ich bleibe im Bett, bis Bewegung in meine Straße tritt, ein neuer Tag aufbricht. Ich schmecke ihren zarten Küssen nach, verfühle noch einmal ihre bestimmenden Hände, erlebe ihre Umbeinung und springe ins Leben.



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Kommentare zu diesem Text


 franky (17.05.23, 10:38)
Hi lieber Uwe
 
Schön wie du den Tango zelebrierst.
Gerne mitgetanzt;-)
 
Grüße von Franky

 uwesch meinte dazu am 17.05.23 um 13:09:
Danke Dir franky für die Loorbeeren und LG Uwe

 Oops (17.05.23, 11:53)
Wunderbar, sehr leidenschaftlich und sinnlich  geschildert diesen ganz besonderen Tanz. Also mir macht der letzte Absatz die Stimmung kaputt, auf die ich mich sehr gerne eingelassen hatte. 

LG Oops

( ich übe zur Zeit 8 Standart Tänze u. a . auch den Tango, bin da aber noch ganz am Anfang, wir haben den Grundkurs absolviert und sind jetzt mitten im Fortgeschrittenen , macht super viel Spass )

 uwesch antwortete darauf am 17.05.23 um 13:11:
Kann ich gut verstehen, dass Du den letzten Absatz nicht magst, wenn Du gerade im Erlernen des Tanzes steckst. Denk ihn Dir einfach weg.
Dank für Deine Empfehlung. LG Uwe
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