3. Jede Gegebenheit akzeptieren

Text

von  Elisabeth

Isan mußte gewußt haben, daß Nefut ein Verstoßener war, aber scheinbar war es ihm egal gewesen, oder er hatte einfach ein großes Herz für Männer, die Kamele kraulten. Und dann, als Isan und seine Karawane abbogen und irgendwo in diesem riesigen Handelsposten verschwanden, fiel Nefut sein Versprechen an die Götter wieder ein. Er hatte mit dem ersten Mensch sprechen wollen, den er am Ziel der Karawane sah und tun, was der von ihm verlangte. Der Kaufmann, den Isan beliefert hatte, war wieder in seinem Lagerhaus verschwunden, und das war noch nicht einmal der ersten Mensch gewesen, den er hier am Handelsposten gesehen hatte. Das waren zwei Männer neben der Straße gewesen, beim ersten Gebäude des Handelspostens, einer ein städtischer Krieger in glänzendem Brustpanzer aus Metall und mit einem ebenso glänzenden, spitz zulaufenden Helm, um den ein Streifen blauer Stoff gewickelt gewesen war, der andere in einfacher, fast schäbig zu nennender Kleidung, die angeregt miteinander geredet hatten.

Die beiden waren ihm aufgefallen, weil er bei dem blauen Schal gleich an die Truppen von Letran denken mußte, die sein Vater bis vor zwei Jahren befehligt hatte. Vielleicht war es wirklich ein Anwerber aus Letran gewesen, denn für Städter war es doch eher unüblich, sich mit Leuten außerhalb des eigenen Standes näher zu beschäftigen. Der verarmte Bauer oder Handwerker hatte vermutlich vor, bei den Truppen Letrans sein Glück zu machen und würde nicht länger mit einem Anwerber sprechen, als bis er seinen Werbebrief und damit das Versprechen eines Handgeldes erhalten hatte. Aber der Anwerber war vermutlich noch da. Also ging Nefut den Weg zurück, den sie zum Lagerhaus genommen hatten und sah schon auf Entfernung die silbrig glänzende Helmspitze über dem blauen Stoff in der Abendsonne blinken.

Ja, der Mann hatte die fast Ostler-helle Hautfarbe der Letrani und blaue Augen. Er entbot Nefut ein "Sei gegüßt".

Etwa sechs Jahre hatte Nefut in den Kasernen von Letran gelebt. Die erste Zeit war das Leben südlich der Tore der großen Stadt am Amaar die schönste, die er nach dem Tod seiner Mutter erlebt hatte. Dort hatte er gleich hundert Mütter gehabt, die ihm Leckereien zusteckten oder bei Verletzungen trösteten: die warmherzigen und liebevollen Sa'atik-Frauen, die jeweils ein oder zwei Jahre als Tempeldienerinnen oder Novizinnen im Heiligtum der Hawat dienten und deren Kinder seine Spielkameraden waren.

Sein Vater hatte es nicht gerne gesehen, daß er bald mehr Sa'atit als Taribit sprach und verweigerte die Unterstützung bei seinem Versuch, die fremde Sprache auch noch lesen zu wollen. Die Texte der Sa'atik enthielten nichts, was für einen Oshey von Wert sei, war Murhan Darashys Meinung gewesen. Und wenn er nicht die Truppen der Letrani in den Krieg führte, schulte er ab diesem Zeitpunkt Nefut im Umgang mit den einem Oshey angemessenen Waffen, ließ ihn die Kriegsphilosophen lesen um mit ihm darüber zu diskutieren und ermutigte ihn, jede freie Minute der Lektüre der Schriften zu widtmen. Und wenig später nahm er ihn dann mit auf jeden Kriegszug der Letrani, den er befehligte.

Doch weder von den alteingesessenen Soldaten der Hilfstruppen noch von den Letrani, die für die Verwaltung der Kasernen verantwortlich waren, würde ihn einer wiedererkennen, nicht nach zwei Jahren, nicht nachdem er bei den Stämmen herangewachsen war. Damals war er klein für sein Alter gewesen und - nach Aussage der Sa'atik-Frauen - 'ein schrecklich magerer Knabe'. Inzwischen war ihm die Stirnlocke zusammen mit dem Rest seiner Haare geschoren worden, er war ein Mann - annähernd so groß wie sein Vater und durch die Hilfsarbeiten in dessen Schmiede auch fast so muskulös.

Die Götter meinten es wohl gut mit ihm, denn der Anwerber bedachte ihn mit der erwarteten Aufforderung: "Laß dich für die Hilfstruppen der Letrani einschreiben und trete schon morgen deinen Dienst an in unserer großen Armee."

*



Es war ein vertrauter und doch seltsam fremder Anblick, als am Abend des folgenden Tages am Horizont zuerst die Kasernen auftauchten, dann die große Stadt. Und plötzlich fühlte Nefut sich, als wäre er zurückversetzt in seine unbeschwerte Kinderzeit. Er beschleunigte seinen Schritt.

Da Nefut bei Abgabe seines Werbebriefes angab, reiten zu können, wurde er, unter dem Namen Nefut aus Bussir, einer im Aufbau begriffenen neuen Mellim gepanzerter Reiter zugewiesen. Er erhielt eine Marke für seinen Schlafraum in einer neu erbauten Kaserne und eine für sein Pferd, das in dem an diese neue Kaserne angebauten Stall stehen sollte. Als Nefut seine Schlafraummarke dann an einen freien Nagel auf dem passenden Brett in Eingang der Kaserne hängte, sah er, daß noch keine ganze Hundertschaft dort unterbracht war sondern nur sechs vollständige Zehnereinheiten zusammen mit je einem Wanack, bei dem es sich wohl um einen bereits erfahrenen Panzerreiter handelte, denn an den jeweils elf Nägeln für die zehn Schlafräume hing schon überall eine Marke in einer anderen Farbe.

Nachdem er sein Bündel auf sein Bett fallen gelassen hatte, schaute er noch nach seinem zukünftigen Reittier. Ein Gehilfe des Stallmeisters nahm die Pferdemarke entgegen und führte ihn zu einem der offenen Gehege, in denen in kleinen Grüppchen jeweils elf stämmige Stuten in der typisch hellbraunen Färbung der letranischen Pferde standen. Der Mann pfiff ein paar Töne und ein junges Tier mit einem weißen Fleck auf der Nase kam neugierig zum Zaun. Sie war ganz ruhig, als Nefut ihr seine Hand entgegenstreckte, und als er sie an den Ohren kraulte war sie schon sein bester Freund.

Der Stallmeister kam dazu, und schaute sich Nefut und seinen Umgang mit der Stute eine Weile an, dann sagte er: "Ihr bekommt jeder zwei Pferde. Flecks Schwester ist grad in der Obhut des Pferdehirten, die beiden werden sich beim Training mit dir abwechseln. Bei Streifen mußt du aufpassen, die beißt gerne."

"Versorgen wir die Pferde selbst?" wollte Nefut wissen.

Der Stallmeister schüttelte den Kopf. "Nicht hier in der Kaserne, auf Einsätzen schon. Hier kümmere ich mich mit meinen Gehilfen um alles. Natürlich kannst du jederzeit nach ihnen sehen, aber keine Leckereien mitbringen, das macht sie nur fett und träge, hier im Stall haben sie viel zu wenig Bewegung."

Nefut nickte. "Und der Sattel?" fragte er dann.

"Den kriegst du morgen, zusammen mit deiner Uniform und den Waffen", erklärte er.

Der eintägige Fußmarsch auf der Taribischen Straße hatte Nefut übermäßig erschöpft, so daß er in seinen Schlafraum zurückkehrte und sich auf das ungewohnte städtischen Bett legte, statt wie der Rest seiner frisch gebildeten Wannim am ersten Abend noch das Kasernengelände und die Einrichtungen zur Unterhaltung - oder gar Letran - zu erkunden. Ohnehin kannte er sich noch weitgehend aus, auch wenn in den vergangenen zwei Jahren nicht nur bei den Kasernen weitere Gebäude auf dem ummauerten Gelände errichtet worden waren. Also nahm er die geschenkten Schriften zur Hand und las, bis ihm die Augen zufielen.

*



Der kommende Morgen begann mit dem Weckruf der Letrani, der Nefut für einen Moment zwei Jahre zurückversetzte, bis er sich bewußt wurde, daß er nicht auf Teppichen und Decken auf dem Boden im Haus des Birh-Melack sondern auf einem städtischen Bett in einer der Kasernen lag.

Der Wanack, wohl nicht nur der Dienstälteste seiner Wannim sondern anscheinend auch der älteste nach Jahren - und damit mindestens doppelt so alt wie Nefut - war in Uniform: feste Stiefel, doppelt genähte seidene Hose, eine hellblaue Seidentunika, darüber ein lederner Brustpanzer und ein Schwertgurt mit einem kurzen städtischen Schwert, dessen Griff mit einem Pferdekopf geschmückt und einem blauem Seidenstreifen umwickelt war. Er griff nach seinem Lederhelm mit blauem Seidenrand und trieb seine Leute zur Eile an, da eine Ansprache des Melack zu erwarten sei.

Sie beeilten sich also, liefen zum kleinen Exerzierplatz vor der Kaserne und stellten sich in einer Doppelreihe hinter ihrem Anführer auf, wie auch die anderen Rekruten hinter ihren Wunakim. Den Rekruten gegenüber stand ein kleiner Podest, vor dem ein uniformierter und blau behelmbuschter Mann mit gold glänzendem Schuppenpanzer und langem Seidenumhang stand: der Melack, Anführer ihrer noch nicht ganz vollständigen und weitgehend zivil gekleideten Hundertschaft.

Vor seiner Ansprache inspizierte der Melack alle Einheiten eingehend, hatte für alle Wunakim ein freundliches persönliches Wort und kehrte dann zur Empore zurück, doch auch für die Ansprache stellte er sich davor.

"Noch seid ihr Rekruten. Aber mit Einsatz und Pflichtbewußtsein werdet ihr bald vollwertige Panzerreiter der Hilftruppen der Letranischen Armee sein. Später habt ihr sogar die Möglichkeit, in die Ränge der regulären Armee von Letran aufzusteigen.

Wenn ich mit meiner Begrüßung fertig bin, werdet ihr hier unter Anleitung eurer Wunakim eure ersten Übungen abhalten und danach mit ihnen zur Uniformausgabe gehen. Dort erhaltet ihr auch eure Brustpanzer, die Übungslanzen und Übungsschwerter und euren Sattel. Eines eurer beiden Pferde steht bereits in den Stallungen für euch bereit, morgen werdet ihr das andere kennenlernen.

Unter Anleitung eurer Wunakim werdet ihr ab sofort jeden Morgen mit Schwertübungen beginnen, zunächst an fünf aufeinander folgenden Tagen hier auf dem Exerzierplatz, damit ihr die Bewegungen lernt, danach werdet ihr vor dem Training mit den Pferden wannimweise vor den Ställen gegeneinander kämpfen. Es sind die bewährten Übungen, die der verstorbene Kriegsherr Murhan Darashy für die Armee von Letran etabliert hat.

Für den Umgang mit der Lanze werdet ihr sowohl zu Pferd als auch zu Fuß trainieren. Wenn nach Meinung eures Wanack alle Männer der Wannim den Umgang mit dieser Waffe beherrschen, werdet ihr scharfe Waffen erhalten. Wenn ihr den Schwertkampf beherrscht, könnt ihr euren Wanack um eine Prüfung bitten. Wenn ihr die besteht, erhaltet ihr von ihm die Erlaubnis, zu eurer Uniform ein metallenes Schwert zu tragen. Die Schwerter erhaltet ihr dann ebenfalls bei der Uniformausgabe.

In der Küche eurer Kaserne werdet ihr kostenlos verpflegt, jedem steht am Vormittag und am Abend eine Mahlzeit zu. Einmal im Monat erhaltet ihr euren im Werbebrief vereinbarten Sold. Ihr könnt ihn wahlweise am Monatsanfang auf die Hand bekommen oder vom Zahlmeister verwalten lassen, um ihn zu einem späteren Zeitpunkt einzufordern.

Auf dem Kasernengelände gibt es ein kostenloses Badehaus und drei Schreine, die ihr außerhalb eurer Trainingszeiten jederzeit besuchen dürft: einen der Tyrima geweihten Schrein, einen dem Orem geweihten Schrein und einen der Ama oder Hawat geweihten Schrein, der Haus der Hawat genannt wird. Auch Letran dürft ihr außerhalb eurer Trainingszeiten besuchen, jedoch nicht in Waffen und nur in der Zeit vom Öffnen bis zum Schließen der Stadttore.

Wenn eurer Wanack euch - vielleicht aufgrund von besonderen Fähigkeiten - für spezielle Dienste vorschlägt, wird euch ihre Ausführung extra bezahlt, dabei gilt für die Auszahlung das gleiche wie für die Auszahlung des gewöhnlichen Soldes.

Das wars. Wunakim, befehlt euren Leuten, sich für die Schwertübungen aufstellen." Der Malack nickte den zur Empore kommenden Wunakim kurz zu und ging mit wehendem Umhang davon.

Nefut mußte den aufkommenden Unwillen, die von seinem - noch quicklebendigen Vater - etablierten Schwertübungen zu exerzieren, willentlich unterdrücken und sich bewußt entspannen, um sich überhaupt halbwegs richtig bewegen zu können. Natürlich kannte er die Übungen schon, aber noch hatten sie keine Übungsschwerter, also wurde improvisiert und er verhedderte sich genauso wie die anderen Rekruten, die die verschiedenen Angriffs- und Verteidigungshaltungen das erste Mal sahen und nachzuahmen versuchten.

* * *



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