6. Mit Hingabe handeln

Text

von  Elisabeth

Am nächsten Morgen fühlte Nefut sich irgendwie klarer, stärker, mehr im hier und jetzt, als hätte die Göttin über Nacht schon ein Wunder gewirkt. Und als sie mit den Schwertübungen begannen, erkannte er das erste Mal die durchdachte Effizient der Bewegungen, die zugleich das Einüben der typischen Kampfmuster des Schwertkampfes und das Aufwärmen der Muskeln für alle körperlichen Herausforderungen des Tages war, die Eleganz eines Raubtieres gepaart mit der von den Göttern gesandten Weisheit des Menschen.

Beim Übungskampf zu Pferde zeigte Streifen, daß sie viel wendiger war als Fleck und ihm damit größere Zielgenauigkeit mit der Lanze ermöglichte. Erst am Abend, nach dem Training, fiel Nefut auf, daß er den ganzen Tag nicht ein mal an die Wunden auf seinem Rücken gedacht hatte. Diesmal schloß er sich den anderen nicht nur auf dem Weg ins Badehaus an, sondern begleitete Renim und zwei andere auch auf dem Weg ins Haus der Hawat, mit einem Vierteltarstück im Gürtel. Diesmal mußte Nefut gar nichts sagen; nachdem die anderen drei abgeholt worden waren, führte ihn die Tempeldienerin in einem Raum mit einem Polster und versprach, die Priesterin würde gleich kommen.

Er ersehnte Schelschérs Umarmung, doch als sie den Raum betrat wurde ihm klar, daß er schon durch ihre Gegenwart glücklicher war, als Momente zuvor.

"Die Göttin hat ihr Werk schon begonnen, wie ich sehe", begrüßte sie ihn.

Nefut nickte. "Und das obwohl ich ihr bisher gar nicht nach der Art der Stämme opfern kann."

"Du meinst eine Haarsträhne? Sie weiß, wie sehr du ihre Hilfe brauchst und wie dankbar du ihr bist. Wenn du soweit bist, kannst du ihr nach der Art der Sa'atik ein großes Opfer bringen."

"Aber ich bin bereit", widersprach Nefut.

Schelschér trat an ihn heran, umarmte ihn, ließ sich von ihm umarmen, sie lächelte ihn an und schüttelte den Kopf. "Nein, du bist nicht bereit für ein großes Opfer. Hab Geduld, die Göttin wird auf den rechten Zeitpunkt warten."

Nefut atmete ihren Duft ein, genoß ihre Umarmung, die menschliche Wärme, die sie ihm zuteil werden ließ und senkte sein Gesicht in ihr schönes Haar. "Was erwartet Hawat denn als großes Opfer?" murmelte er.

"Ich glaube, du weißt es", flüsterte Schelschér zurück, die Lippen so nah an seinem Ohr, daß sie ihn damit streichelte.

Konnte es... ja, so mußte es sein. "Die Vereinigung", sprach er es dann aus. Aber die Vorstellung, Schelschér in dieser Weise nah zu sein war gar nicht mehr so beunruhigend. Sie hatte sicher keine anderen Absichten, als ihrer Göttin zu gefallen.

"Ja, ich will meiner Göttin gefallen", flüsterte Schelschér an seinem Ohr, "also werde auch ich auf den rechten Zeitpunkt warten."

Es war wieder sehr spät, als Nefut zurück in Kaserne kam, wieder sprach er sein Gebet an Ama und schlief rasch ein.

*



Am nächsten Morgen sprach Renim Nefut nach den Schwertübungen an. "Rekrut, du hast bemerkenswerte Fortschritte bei den Schwertübungen gemacht. Ich empfehle dir, bald bei mir eine Prüfung deiner Schwertkünste zu verlangen. Das wird auch die anderen der Wannim motivieren, sich anzustrengen."

"Danke für das Lob, Wanack", antwortete Nefut artig.

"Ich meinte das ganz ehrlich, Nefut", setzte Renim nach. "Du beherrscht die Übungen perfekt. Du wirst die Prüfung bestehen und dich über deine Leistung mindestens ebenso freuen, wie ich. Aber ich will dich nicht drängen, zum rechten Zeitpunkt wirst du genug Vertrauen in deine Fähigkeiten haben."

Nefut verkniff sich die Frage, ob er die Priesterin des Hawat-Heiligtums kannte. Da sein Wanack sicher schon einige Jahre nahezu täglich das Haus der Hawat besuchte, war die Frage überflüssig. Und er dachte tatsächlich über die Worte seines Wanack nach. Am heutigen Morgen hatte er sich gar nicht auf die Bewegungen der Schwertübungen konzentrieren müssen, sein Körper erinnerte sich daran und er war vollkommen darin aufgegangen, ohne einen Gedanken an irgendwas. Vielleicht war dieses sich hingeben für seinen Wanack zu sehen gewesen.

Fleck freute sich richtig, ihn zu sehen und es war eine reine Freude, auf ihrem Rücken die Speerübungen zu absolvieren. Da sie nach zwei Durchgängen genau wußte, was von ihr erwartet wurde, hatte Nefut die Gelegenheit, den anderen Rekruten zuzusehen und merkte, wie er sich noch verbessern konnte, aber auch, wo andere noch Schwächen hatten. Da sie alle gemeinsam vor ihrem Wanack bestehen mußten, um mit scharfen Waffen ausgerüstet zu werden, gab er denen, für die er Ratschläge hatte, in einer Verschnaufpause ein paar Tipps. Und der Wanack verfolgte das anscheinend interessiert.

Am Abend genoss er das Essen mit Renim und den Kameraden, die nicht lieber ihr Geld in eines der letranischen Bordelle trugen und war überrascht, als die anderen schon ins Badehaus aufbrechen wollten. Und auch die Zeit im Badehaus kam Nefut so verkürzt vor, daß er die anderen verabschiedete, anstatt sich ebenfalls aus dem Wasser zu erheben, als sie aufbrachen. Die anderen verschwanden plaudernd und er genoß noch ein wenig länger das heiße Wasser.

Aber schließlich erhob er sich, um auch diesen Abend Schelschér zu sehen, zu umarmen, ihre Haut an seiner zu spüren. Vielleicht war heute der rechte Zeitpunkt gekommen.

Diesmal brachte nicht die Tempeldienerin sondern eine Novizin ihn in einen Raum, in dem er auf Schelschér warten sollte, doch bevor er sich überlegen konnte, ob er im Stehen oder auf dem Polster sitzend warten sollte, war sie schon da und glücklich umarmte er sie. Ihre sanfte Berührung, ihre Wärme, ihre weiche Haut, der Duft ihres Haars, waren so wunderbar vertraut und so begehrenswert, daß plötzlich sein Körper reagierte. Und sie küßte ihn auf die Wange. "Mir scheint, der rechte Zeitpunkt ist tatsächlich gekommen."

Überrascht löste Nefut seine Umarmung und sah in Schelschérs lächelndes Gesicht.

Sie streichelte sein bärtiges Kinn. "Ich freue mich darauf, mit dir heute die Göttin zu feiern." Dann ging sie zur Tür und öffnete sie, aber nur um ein Tablett mit zwei Metallbechern und einer Art Schreibset herein zu holen. Sie stellte das Tablett auf den Fußboden und schloß die Tür wieder.

Sie ließ ein paar honiggelbe Weihrauchkörner auf die glimmenden Kohlen im Weihrauchgefäß fallen, das auch in diesem Raum von der Decke hing, dann nahm sie die beiden Becher auf, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt waren. "Laß uns hiermit die Göttin willkommen heißen. Wenn ich meinen Leib der Hawat geweiht habe, können wir beginnen."

Nefut nickte, nahm den Becher entgegen, trank aber erst daraus, als Schelschér ihren Becher an den Mund hob. Er war erstaunt über den Geschmack, er hatte mit einem berauschenden Getränk wie dem Oinos der Awrani gerechnet, nicht mit einer Art kaltem Tee aus Kräutern und Wurzeln.

Dann begann sie, mit einem absichtsvollen Hüftschwung, ihr Wickelkleid zu lösen. Darunter war sie nackt und ihr Körper so makellos wie Nefut es sich nur hätte erträumen können. Und er spürte, wie eine ungewohnte Hitze in ihm aufstieg und seine Erregung fast schmerzhaft zunahm. Er mußte sein Oberteil ablegen, so warm war ihm geworden.

Schelschér nahm den mit roter Tinte getränkten Pinsel zur Hand und begann damit, einige fremdartige Schriftzeichen zwischen Bauchnabel und enthaarter Scham auf ihren Leib zu schreiben, das letzte Zeichen quer über den Spalt, der zu ihrem Innersten führte. Die Farbe trocknete rasch auf ihrer warmen Haut.

"Diese Zeichen sind ein Weihspruch an Hawat?" fragte Nefut, der sich zurückhalten mußte, um die Zeichen nicht mit dem Finger nachzufahren. Statt dessen löste er das Band seiner Hose.

Schelschér nickte. "Ich bitte damit die Göttin, unser Opfer wohlwollend anzunehmen."

Nefut hatte einen kurzen Moment zu kämpfen, um sich aus seiner Hose zu befreien, dann streckte er die Hand nach Schelschér aus. "Wollen wir der Göttin dann mit der gebotenen Ehrfurcht opfern?"

*



Nefut gab sich hin, ging ganz auf in der Vereinigung und erkannte die Göttin. Dann nahm er an, daß er Schelschér liebte.

* * *
ENDE



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