5. Einen Plan verfolgen

Text

von  Elisabeth

Nefut hängte seine Tunika und das Untergewand über die seiner Wannim zugeteilten Wäscheleine an der Kasernenwand. Mehr Oberteile hatte er nicht, nur einen Mantel und den ledernen Brustpanzer. Sollte er wirklich wie ein Wilder nur halb bekleidet in das Haus der Hawat gehen?

"Heute kannst du also nicht mitkommen, weil du deiner Wäsche beim Trocknen zuschauen mußt?" fragte da Renim und lachte freundschaftlich.

Nefut schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht, weil alles, was ich an Oberteilen besitze, hier naß auf der Leine hängt."

"Ich hätte noch eine zweite Tunika. Die ist sauber und könnte dir passen, ist aber vielleicht etwas zu kurz."

Sie war deutlich zu kurz, aber gerade lang genug, daß Nefut halbwegs anständig aussah. Er bedankte sich aus tiefstem Herzen und zu zweit gingen sie dann zum Haus der Hawat. Das Haus stand noch genau da, wo es auch in Nefuts Kindheit gestanden hatte. Seinerzeit war er allerdings nur an dem Kücheneingang interessiert gewesen, denn wenn die Frauen kochten, teilen sie oder ihre Kinder auch Leckereien mit ihm. Die Vorderseite hatte er ebenfalls täglich gesehen, doch nun war sie viel prächtiger als damals. Statt gemalter Säulen hatte das Gebäude jetzt welche aus einem weißgelben, fast transparenten Stein, der das Licht der untergehenden Sonne einfing und so an einigen Stellen rosig gefärbt war, und die Tür war nicht mehr eine bloße Holztür, sondern mit golden glänzenden Metallornamenten geschmückt, die Meereswellen, Bäume und Blüten und ein prächtiges, von Säulen umgebenes Gebäude auf einem Hügel darstellten. Ob das der erste Tempel der Göttin in Ma'ouwat sein sollte, von dem die Kinder und Frauen damals erzählt hatten? Und jetzt führten auch ein paar Stufen aus dem hellen Stein empor, die man ersteigen mußte, um an die Tür zu klopfen.

Auf das Klopfen öffnete sich die Tür, dahinter war ein kleiner Eingangshof mit umlaufendem Dach und vor ihnen stand eine Tempeldienerin, die das Ende ihres Wickelkleides über den Scheitel gelegt hatte. Diese Frau war eine Tarib, ganz ohne Zweifel. Bis Nefuts Vater mit ihm zurück zu den Stämmen zog waren nur Sa'atik im Tempel tätig gewesen.

"Seid gegrüßt im Haus der Ama", begrüßte die Tempeldienerin sie. "Habt ihr Geld für den Weihrauch mitgebracht, wenn ihr der Göttin ein großes Opfer bringen wollt?" Sie deutete mit ihrer Hand in eine Ecke des Hofes, zu einer blumengeschmückten Amastatuette auf einem niedrigen Sockel, zu beiden Seiten von einer Öllampe beleuchtet, um die herum weitere Blumen und ein paar Haarsträhnen lagen. Außerdem stand vor ihr eine Metallschale, in der einige Vierteltarstücke in Silber lagen.

Er hatte das Geld vergessen. "Ich hab das Geld vergessen", murmelte Nefut.

Renim lachte verhalten. "Gib es mir später einfach wieder", und er gab der Tempeldienerin zwei Vierteltarstücke. "Wir würden gerne beide der Göttin ein großes Opfer bringen", erklärte er.

"Ich möchte nur mit Schelschér sprechen", warf Nefut ein, "sie bat mich vorhin, hierher zu kommen."

Die Tempeldienerin, die schon in die Knie gegangen war, um das Geld in die Schale zu legen, drehte sich aus der Hocke zu den beiden Männern um. "Ich weiß nicht, ob die Priesterin gerade Zeit hat, aber ich werde sie fragen."

"Ich heiße Nefut", ergänzte er noch, "ich hatte die Priesterin am Waschplatz getroffen."

Die junge Städterin verschwand durch eine Tür im Inneren des Gebäudes. Doch sie mußten nicht lange warten. Aus einer anderen Tür kam eine weitere junge Frau, eine Sa'atik, die mit einem fast schüchtern zu nennenden Lächeln nach Renims Hand griff und ihn durch die noch offenstehende Tür mit sich zog.

Mit der Eingangstür gab es fünf Türen, die aus diesem Hof führten, und neben einer von ihnen war eine Weihinschrift in Taribit. "Zu Ehren der Göttin stifte ich, Barida Faretim, Regentin von Tetraos, Säulen und Schmuck für das Haus der Ama bei Letran." Diese Inschrift konnte noch keine zwei Jahre alt sein, denn vor zwei Jahren lebte der König von Tetraos noch und es gab keine Regentin.

Als Kind hatte Nefut sich keine Gedanken darüber gemacht, wie Hawat gefeiert wurde. Seine Mutter hatte ihm vor vielen Jahren erklärt, daß Hawat etwa der Ama entsprach, die er aus dem Pantheon der Oshey kannte, zu denen sein Vater und ehemals seine Mutter sich zählten, denn in Berresh sah man immer wieder einmal Sa'atik-Händler, die jedermann mit einem freundlichen 'Nane Hawat' - Hawats Segen für dich - begrüßten und verabschiedeten. Ama wurde als Herrin des Wassers besungen, die Frauen betete für eine Empfängnis und eine leichte Geburt zu ihr, und in seinen fast zwei Jahren bei den Stämmen hatte er gesehen, daß Ama eine Göttin für Frauen und kleine Kinder war, denn die Männer beteten zu Orem oder Tyrima. Doch die fliegende Schlange ließ darauf schließen, daß Männer in der Verehrung der Hawat ebenfalls eine Rolle spielten, und damit auch in diesem Haus der Hawat, das die Tempeldienerin Haus der Ama genannt hatte.

"Du bist also gekommen, Nefut", begrüßte Schelschér ihn und streckte ihre Hand nach seiner aus. "Laß uns in das Heiligtum gehen, damit die Göttin ihr Wunder an dir wirken kann." Sie trug das Ende ihres frischen Wickelkleides über der Schulter, die langen schwarzen Haare waren offen, nicht wie bei der Wäsche auf dem Kopf zusammengewickelt. Noch immer wartete sie auf seine Hand, hielt geduldig ihren Arm ausgestreckt, bis er zögernd seine Finger auf ihre legte und sich von ihr durch eine der Türen führen ließ, durch einen weiteren Innenhof und endlich in eine kleine Kammer, die davon abging. Der kleine Raum wurde beherrscht von einem orangefarben bezogenen Polster - und sein Boden damit fast völlig bedeckt. Schelschér legte ein paar Körnchen Weihrauch in eine von der Decke hängende Räucherschale, dann ließ sie sich elegant auf dem Polster nieder und lud ihn mit einer Handbewegung ein, sich ebenfalls zu setzen.

Nefut zögerte. Es war klar, wofür dieses Polster gedacht war, doch er wollte nur eine weitere von Schelschérs wohltuenden Umarmungen. Wenn er sich niederließ mochte das bedeuten, er sei auch an anderem interessiert.

"Du kannst dich unbesorgt setzen, ich bin die Priesterin dieses Tempels und habe geschworen, der Göttin in allem zu gefallen. Wenn Du es nicht ersehnst, wird sie an unserer Vereinigung kein Gefallen haben", versicherte Schelschér ihm.

Also wagte Nefut es und setzte sich, mit einigem Abstand, neben Schelschér. Sie nahm seine Hand, rückte näher und umschlang ihn mit ihren weichen Armen. Er legte seinerseits die Arme um sie, verschränkte hinter ihrem Rücken seine Hände und ließ den Kopf auf ihre Schulter sinken. Er meinte, ihren Herzschlag zu hören, spürte ihre Wärme an Brust und Armen und legte dann doch die Hände auf ihren Rücken, um auch mit ihnen dieses köstliche Gefühl der Geborgenheit aufzunehmen. Sie duftete nach Kräutern, nach Weihrauch, nach Frau, aber nicht wie eine Verführerin. Und beruhigt schloss er die Augen.

*



"Wie alt bist du, Kind?" drang eine leise Stimme an Nefuts Ohr.

"Mir wurde die Stirnlocke geschoren, ich bin ein Mann", murmelte er in Taribit. Nun lag er auf dem Polster, auf der Seite, Schelschér zugewandt, und noch immer hielt er Schelschér umfangen und sie ihn. Er ließ die Augen geschlossen, um die Umarmung weiter auszukosten.

Ihr Atem streifte stoßweise sein Ohr, sie lachte still in sich hinein. "Wie alt bist du, Kind", fragte sie wieder.

Nefut überlegte. Er war etwa vierzehn gewesen, als er mit seinem Vater zu den Stämmen zurückkehrte. "Sechzehn", antwortete er.

Sie streichelte seinen Kopf, küßte ihn auf die Wange. "Die Göttin wird dich heilen", versprach sie erneut. "Bete zu ihr und sie wird dir zeigen, wie du wieder ganz wirst. Und komm jederzeit zu mir, wenn dir danach ist. Aber vergiss das Geld für den Weihrauch nicht wieder." An seiner Wange fühlte er, daß sie lächelte.

Er öffnete vorsichtig ein Auge, sie sah ihn aus dunkelbraunen, gold gefleckten Augen an. Es war, als wisse sie, was ihm passiert war und warum, und doch hatte sie Mitleid mit ihm. Ob ihre Göttin auch Mitleid mit ihm hatte?

Mit ihrem obenliegenden Arm strich sie ihm über die Stirn, nein, sie malte so etwas wie ein Zeichen auf seine Stirn. "Die Göttin möge dich segnen", flüsterte sie, "und sie wird dir helfen, denn sie hilft allen, die dessen bedürfen."

*



Die Nacht war schon hereingebrochen, als Nefut das Haus der Hawat verließ, aber im Schlafraum seiner Wannim waren noch einige Betten leer und die Anwesenden schliefen noch nicht alle. Zwei seiner Kameraden saßen auf dem Bett neben ihm und spielten das Bohnenspiel. Er nickte ihnen kurz zu, legte sich auf sein städtisches Bett, schloß die Augen, um Schelschérs Umarmung wieder zu spüren, und er fühlte auch das Zeichen auf seiner Stirn, als habe die Priesterin es mit dicker Tinte aufgemalt. Es war wie ein Schutzschild gegen die finsteren Gedanken, die ihn an anderen Abenden hier in der Kaserne schon heimgesucht hatten, auch wenn er in den Schriften las.

Wenn Hawat und Ama die selbe Göttin waren, mochte ihm ein Gebet an Ama, wie seine Mutter es früher sprach, helfen, Rat von der Göttin zu erhalten. "Mutter Ama, Gemahlin des Nächtlichen Träumers, hüte und beschütze mich und heile meine Wunden", murmelte er, "und schütze auch Isan Mehaly und seine Söhne", fiel ihm noch ein. Die Frauen der Stämme und auch seine Mutter hatten der Göttin Blüten und Haarsträhnen geopfert, je nachdem ob sie einfach nur ihre Aufwartung gemacht oder ein echtes Anliegen gehabt hatte. Doch woher sollte er mit seinen kurz geschorenen Haaren eine Strähne nehmen, die als Gabe für eine Göttin angemessen war? Darauf würde sie noch warten müssen.

* * *



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