1. Auf dem Weg...

Text

von  Elisabeth

Jochawam beugte sich über Awinna noch bevor die ersten Sonnenstrahlen das Bett erreichten, strich sanft ihr dunkles Haar beiseite, küßte sie knapp unter dem Ohr auf die zarte, so verlockend duftende Haut ihres Halses und genoß ihren wohligen Schauder, als er sie auf diese Weise mit seinem Bart kitzelte. Er ließ seine Lippen ein wenig weiter wandern, zu ihrem rechten Schlüsselbein, strich mit seinem Kinnbart über ihr Decolleté, folgte dann der Rundung ihrer rechten Brust, küßte sie wieder und fühlte ihre steigende Erregung in sich selbst.

"'Meide die Rotbärte' hat meine Mutter immer gesagt", flüsterte Awinna ihm zärtlich zu und strich bei diesen Worten durch sein ebenfalls rotes Haupthaar. "'Sie stehlen dein Herz und suchen sich dann die nächste Liebschaft.'"

"Momentan bist du meine einzige Liebschaft", versprach er und rückte dicht neben sie, da ihr Begehren einfach unwiderstehlich war.

"Dann lieb' mich und stiehl mir das Herz, heute abend hole ich es mir wieder zurück." Und genau so meinte sie es.

Jochawam mußte lachen, als Awinna dabei begehrlich zwischen seine Beine griff. "Heute abend habe ich vielleicht schon eine andere Liebschaft", neckte er, dann begann er, sie zu ihrem beiderseitigen Vergnügen hingebungsvoll zu lieben.

*



Etwas später lagen sie entspannt nebeneinander, Awinnas Gedanken kreisten nur um die gerade genossenen Freuden, ihr Interesse an Jochawams durchtrainiertem Körper und ein paar für ihn nicht unschmeichelhafte Vergleiche mit anderen Liebhabern. Es war so beruhigend, daß ihr Denken und ihre Taten, ihre Worte und die Erinnerungen an vergangene Gelegenheiten, bei denen sie ähnliche Worte gesprochen hatte, eine solche Einheit bildeten. Hier konnte er sich wirklich entspannen, ohne seine Sinne mit Oinos betäuben zu müssen. Also folgte er seinem Impuls und küßte sie zart auf die Lippen.

"Wofür war das?" fragte sie erstaunt, auch wenn sie ihm den Kuß gleich darauf mit Zinsen zurückgab.

Er war versucht, das Liebesspiel gleich noch einmal neu zu beginnen, aber er hatte eine Verabredung mit seinem Bruder und er wollte den Jungen nicht unnötig warten lassen. "Das war ein Abschiedskuß. Ich habe Buhachan versprochen, heute morgen mit ihm den Übungshof zu besuchen. Tatsächlich ist er nicht einmal schlecht."

"Damit auch er dereinst seine Liebsten mit seinem gestählten Körper beeindrucken kann, ja?" fragte Awinna und lachte. "Wie alt ist er denn jetzt? Neun oder zehn Jahre?"

"Laß ihn so etwas nicht hören, er ist schon elf! Und als Prinz muß er schließlich auch das Heer anführen können. Was sein Interesse an Geschichte und Politik betrifft, wäre er sogar ein viel besserer Kronprinz als ich es bin. Vielleicht hat er die Neigung dazu von seiner Mutter geerbt."

Jochawam erinnerte sich noch, wie ihm der Kopf geschwirrt hatte, als er seiner ersten Ratssitzung beiwohnte: Gedanken, die das Gegenteil von dem besagten, was laut gesprochen wurde, und die finsteren Irrgärten der Pläne, wer wie zu bewegen sei, ganz gegen seinen eigenen Willen doch das zu tun, was er nach der Meinung des Planenden tun oder entscheiden sollte. Und er hatte erkannt, daß Politik nichts anderes war als die adlige Form der Lüge. Seine Schwester Peribil war damals schon als Geisel nach Garam geholt worden und ihre gemeinsame Mutter hatte noch gelebt, also war er etwa fünfzehn gewesen. Doch Mutter hatte ihn trösten müssen wie ein kleines Kind, hatte ihm versprochen, daß er seine Göttergabe bald besser kontrollieren könne, und ihm geraten, bis dahin einen Schluck Oinos zu trinken wenn es ihm zu viel wurde, um die Gabe für eine Weile schlafen zu legen. Als Mutter dann bei einem Besuch in ihrer Heimat verstarb und ihr jüngerer Bruder an den Hof kam, um ihnen diese Nachricht zu überbringen, hatte Jochawam befürchtet, nun ganz allein gelassen zu sein.

Aber Onkel Fawach hatte nicht nur so hellblonde Haare und so hellgraue Augen wie Mutter, sondern auch eine ähnliche Gabe, die Vorhersagen erlaubte, und Vater konnte seinen Schwager bewegen, als sein Berater und später als sein Geliebter in Verr zu bleiben. Für Jochawam war er trotz einer Jugend bald wie ein zweiter Vater geworden, vielleicht weil er seine eigene Schwester in Jochawam sah, doch der genaue Grund war so fest in Fawachs Herz verschlossen, daß Jochawam es nie genau hatte sehen können. Vielleicht mochte er Fawach auch deswegen so gerne, weil er seine Gedanken im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen fast immer verborgen hielt, als wolle er Jochawam die Ruhe auch ohne Oinos ermöglichen.

Natürlich hatte Mutter recht behalten, er konnte es nun ganz gut kontrollieren, doch dabei hatte er immer das Gefühl, über alle Maßen angespannt zu sein, im Alarmzustand, als stehe er Wache auf dem wichtigsten Posten. Es war so gut, diese Spannung auch einmal nachlassen zu können, ohne in finstere Gedankenlabyrinthe gezogen zu werden.

"Mit elf steht ja schon fast sein erstes Rauschfest an", sagte Awinna grinsend, richtig, sie meinte Buhachan. "Und das Geheimnis, nicht wahr?" Sie küßte Jochawam wieder.

Beim Rauschfest, kurz nach Mutters Tod, hatte er Awinna kennengelernt, auch wenn es ihr Bruder Kaharach gewesen war, mit dem er dann die Göttin gefeiert hatte. Aber sie hatte er zwei Jahre später zum Geheimnis eingeladen. Zehn Jahre war das also schon her. Inzwischen hatten sie ein gemeinsames Kind und noch immer war Awinna sein liebster Zeitvertreib. Vielleicht war sie die richtige Kandidatin, wenn er einmal auf dem Thron saß und eine Ehefrau brauchte, und sie ihn dann noch haben wollte. Auch wenn ihm so schnell nichts einfiel, um das er lieber einen Bogen gemacht hätte, als um diesen Thron. Es war seinem Vater zu wünschen, daß er noch lange regierte und ihm selbst, daß Buhachan alt genug für den Thron war, wenn der vakant wurde.

*



Jochawam bedauerte, daß er nach seiner Übernachtung bei Awinna nicht mehr genug Zeit gehabt hatte, vor der Verabredung mit seinem kleinen Bruder die Rüstung anzulegen, denn Buhachan genoß es immer so sehr, gegen einen wahrhaften Krieger der Verrar anzutreten. Natürlich war der Junge bereits im Übungshof, die wattierte Weste ordentlich verschnürt, obwohl sein Holzschwert bisher nur gegen einen Pfosten zum Einsatz kam. Joachawam versuchte seine Verspätung wett zu machen, indem er eine formelle Verbeugung vor Buhachan machte: "Möge Grom mit dir sein, mein Bruder."

Buhachan antwortete mit dem gebotenen Ernst. "Grom ist mit den Furchtlosen", und verbeugte sich ebenfalls. Und dann lachte er. "Ich mach' dich fertig", prahlte er. "Ohne deine Rüstung bist du mir nicht gewachsen."

Jochawam trat näher an ihn heran und sah hinunter auf Buhachans schwarzen Schopf, der gerade seine Brust erreichte. "So, meinst du, du Wurm. Dann laß uns die Klingen kreuzen."

Da der König Buhachan mit seiner zweiten Frau gezeugt hatte - nicht mit seiner göttergesegneten ersten Frau Mesanna, die hellblond gewesen und rothaarige Kinder geboren hatte -, sah der Knabe nicht ebenso die Bewegungen seines Gegners voraus, wie es Jochawam und auch Fawach konnte. Aber Buhachan bewegte sich gut, legte inzwischen auch gezielt Gewicht in seine Schläge, anstatt wie früher nur drauf los zu prügeln. Und als er sich nach einer Weile einen Becher Wasser zur Erfrischung genehmigte, wirkte er auf die Entfernung tatsächlich schon eher wie ein Jüngling, als wie ein elfjähriges Kind. Ja, lange dauerte es sicher nicht mehr, bis er am Rauschfest teilnehmen wollte. Und sobald er groß genug war, seinen Platz in der Phalanx einzunehmen, mußte er die Befehle kennen. "Wollen wir noch mal was anderes ausprobieren?" fragte er seinen Bruder darum, als der wieder näher kam.

Die langen, verschwitzten Haare des Jungen flogen, als er eifrig nickte. "Was denn?" wollte er wissen und seine begeisterte Erwartung wärmte Jochawams Herz.

"Komm mit." Im Vorbeigehen ließ er sein Holzschwert wieder in den Korb fallen, aus dem es stammte, und Buhachan tat es ihm gleich. Dann überquerten sie den Hof, bis zu den Ständern mit den Speeren und Schilden, die zum Exerzieren der Phalanx verwendet wurden. Voller Ehrfurcht nahm Buhachan den Speer entgegen, den Jochawam ihm reichte. Er war faktisch doppelt so lang wie der Knabe, doch mit etwas verkniffenem Gesicht gelang es Buhachan, ihn wie Jochawam zuvor eine Weile mit einer Hand senkrecht zu halten, bis sein Arm zu zittern begann und er den spitzen Metallfuß des Speeres neben sich auf dem Boden absetzte, wie es die Königswachen im Palast gewöhnlich taten.

"Und noch den Schild?" fragte Jochawam.

Buhachan erwägte, dieses Angebot abzulehnen, nickte dann aber tapfer. "Natürlich!" Der Junge ging durch das Gewicht des bronzebeschlagenen Schildes, der ihn von der Nase bis zu den Waden bedeckte, nicht einmal in die Knie, doch Jochawam fühlte, daß Buhachans linke Hand sich um den Halteriemen des Schildes verkrampfte, als er schwerer und schwerer wurde.

"Wollen wir noch ein paar Übungen mit Speer und Schild machen?" fragte Jochawam trotzdem.

Buhachan verkniff sich ein Stöhnen. "Vielleicht mit einem kleineren Schild", schlug er vor und ließ dann den Schildarm sinken, bis der Rand des Schildes auf seinem Fuß ruhte.

Er war nicht so leicht unterzukriegen. "Irgendwo sollte sich noch meine Kinderrüstung und die dazu gehörenden Waffen finden lassen", kündigte Jochawam die Überraschung für seinen zähen kleinen Bruder an, nahm den regulären Speer und Schild wieder entgegen und stellte sie zurück. "Sie sollten für dich gerade die richtige Größe haben. Laß uns Kaharach suchen, der weiß bestimmt, wo die Sachen gelagert werden."

Kaharach half seinem Vater seit einiger Zeit als stellvertretender Kommandant der königlichen Übungshöfe. Jochawam erinnerte sich, daß Kaharach als Kind mit dem Helm seines Vaters auf dem Kopf und dessen Schild am Arm trainiert hatte. Er war auch jetzt noch stärker, oder vielleicht einfach zäher als Jochawam, dabei war er ein gutes Stück kleiner und schmaler.

Sie fanden Kaharach im zweiten Hof, wo er wie jeden Morgen in voller Rüstung mit einigen Männern der Königswache trainierte. "Schließt die Reihe", befahl Kaharach, "eins, zwei, drei!" Doch man hörte nur 'Eins, schepper, klonk!', denn nachdem die Männer aus der zweiten Reihe die Lücken der ersten geschlossen hatten, zogen alle gleichzeitig ihre Schilde nach rechts vor die Brust und scharrten dabei mit den metallenen Schildrändern über die Brustpanzer, bevor sie mit der Gegenbewegung auf 'drei' an die Schilde ihres rechten und linken Nebenmannes schlugen, um die Schildreihe zu schließen.

"Speere senken!" befahl Kaharach dann, und als die erste Reihe die Spitzen ihrer Speere über die Schildwand senkten, um auf die imaginären Angreifer einstechen zu können, während die zweite Reihe in Bereitschaft war, die Plätze der Männer vor sich einzunehmen, sah auch Jochawam darin das gesträubte Stachelschwein, an das Buhachan sich bei dem Anblick der senkrechten, halb gesenkten und ganz gesenkten Speerreihen erinnert fühlte. "Stoßt zu - jetzt!" Die Männer stießen zugleich zu, und Buhachan war angemessen beeindruckt von dem tadellosen Zusammenspiel der Einheit.

"Auf dem Übungshof hat man das an einem Nachmittag gelernt", erklärte Jochawam beiläufig. "Der Trick ist, daß du in der Hitze eines tatsächlichen Kampfes nicht vergißt, auch alles wie auf dem Übungshof zu machen, um dich und deinen linken Nebenmann richtig zu schützen. Dafür ist das regelmäßige Training."

Buhachan nickte eifrig. "Können wir gleich anfangen wenn wir deine Kinderwaffen haben?"

"Sobald Kaharach mit der Übung fertig ist", versprach Jochawam.

Tatsächlich entließ Kaharach die Männer der Königswache kurz darauf. Er freute sich sichtlich, seinen ehemaligen Geliebten zu sehen, umarmte und küßte Jochawam. "Was kann ich für dich tun, Mawek", fragte er dann.

Die Zuneigung, die trotz der förmlichen Anrede als Prinz von Kaharach ausging, erwärmte Jochawams Herz, und dann merkte er, daß ein Gutteil dieser Zuneigung auch auf Buhachan gerichtet war. In Kaharachs Gedanken sah er, daß dieser schon einige Male mit dem Knaben trainiert hatte und in Buhachans Entschlossenheit, ein guter Kämpfer zu werden, an seine eigene Kindheit erinnert wurde. "Wir suchen meine Kinderrüstung und die Waffen", brachte Jochawam das Anliegen vor. "Ich glaube, dein Vater hat sie irgendwo in den Waffenkammern einlagern lassen, damit Buhachan sie einmal verwenden kann."

"Ja, die ist hier irgendwo. Und ich denke, sie paßt dem jungen Herrn nun ganz genau", fügte er an Buhachan gewandt hinzu. Er verabschiedete sich von den noch verbliebenen Männern der Königswache, dann legte er seine Waffen und den Helm beiseite und führte Buhachan und Jochawam in das Magazin, in dem offensichtlich nicht nur die Bestände der Waffenhöfe lagen, sondern auch ausgemusterte Rüstungen der Königswache und anscheinend sogar alte Waffen und Rüstungen von Jochawams Vorfahren, die keinen Platz im Audienzsaal gefunden hatten. Und tatsächlich fanden sie auch bald die Kinderrüstung, die vor fast zwanzig Jahren für Jochawam angefertigt worden war, dazu das Kurzschwert, das für Jochawam nun aussah wie ein schwertgeformter Dolch, den Schild und die Lanze in Kindergröße.

"Nimm mal den Zahnstocher", sagte Kaharach und reichte Buhachan die Lanze, die gerade so lang war, daß sie ihn die zwei Kopf überragte, die die Kampflanze der Phalanx einen erwachsenen Mann zu überragen pflegte. Das sah schon deutlich passender aus. Auch der Helm saß, alle anderen Panzerteile waren genügend verstellbar, daß auch sie sicher passen würden. Und Buhachan war so überaus glücklich, wie Jochawam ihn selten erlebt hatte.

Mit ihrer Beute begaben sie sich wieder zurück in den ersten Übungshof, Jochawam wählte für sich eine Lanze und einen Schild aus dem Ständer, und zeigte seinem Bruder zunächst die Grundformen: die Ruhehaltung, Absetzen und Aufnehmen des Schildes in der Phalanx, Bewegung von Schild- und Speerarm beim Schließen der Reihe, Heben und Senken des Speeres bei geöffneter und geschlossener Schildreihe, Ducken hinter dem Schild, um sich vor Wurfspeeren und Reiterei zu schützen, kurz, das ganze Exerzierprogramm eines Jugendlichen, der gerade in die von einem älteren Verwandten geerbte Rüstung hineingewachsen war. Buhachan kopierte die Bewegungen seines Bruders mit großer Konzentration und hielt tatsächlich bis zum Ende durch. Als Jochawam dann gemeinsam mit seinem Bruder den Kampfhof verlassen wollte, rief jedoch ein Diener den Kronprinzen in den Audienzsaal.

*



Achawam, dem König der Verrar, standen schon der Berater in militärischen Angelegenheiten, sein graubärtiger Begleiter aus Jugendtagen nach dem Jochawam benannt worden war, sowie der Berater in Angelegenheiten der Götter, sein deutlich jüngerer Schwager Fawach, zur Seite, als Jochawam dazu kam. Außerdem waren die beiden Befehlshaber der Königswache, die dreiundzwanzig Vorsteher der Stadtteile und Dörfer sowie Groms Vorsteher und die Erste Prophetin von Verr als Vertreter der beiden großen Tempel auf der Burg im Audienzsaal anwesend.

Und es stand ein Herold mitten im Raum, flankiert von zwei königlichen Wachen der Verrar, der als Zeichen auf dem Brustpanzer den Keiler der Garamar trug. Für einen Moment hoffte Jochawam, daß der Mann Nachricht von seiner Schwester Peribil hatte, doch dann wurde ihm klar, wie aufgebracht die beiden alten Männer waren, während Fawach nachdenklich mit den Fingern durch seinen hellblonden Bart strich. Der Mann aus Garam indessen verlagerte sein Gewicht nervös von einem Fuß auf den anderen und wechselte seinen Heroldstab mehrfach von einer Hand in die andere, wie um die Verrar daran zu erinnern, daß ihn seine Funktion, die dieser Stab symbolisierte, immun machte.

"Anaskan von den Garamar verlangt Buhachan als Geisel", grollte der König, kaum daß Jochawam näher gekommen war. "Nur wenn ich seiner Bedingung entspreche, wird er seinem Sohn Upatach befehlen, das Heer der Garamar wieder zurückzuführen, das bereits auf dem Weg nach Verr ist."

"Er will Krieg", sagte der alte Jochawam düster. "Grom soll seine Ahnen verstoßen!"

"Natürlich will er Krieg", bestätigte der König mit einem finsteren Blick auf den Herold. "Aber ich werde nicht noch eines meiner Kinder als Geisel nach Garam schicken. Sag deinem Herrn", wandte er sich dann direkt an den Herold, "die Verrar haben die vor zwölf Jahren vereinbarten Friedensbedingungen mit der Übergabe Prinzessin Peribils als Geisel erfüllt. Vor Menschen und Göttern kann er nicht mehr von uns verlangen."

Der Herold floh regelrecht aus dem Audienzsaal, und kaum war die Tür hinter ihm und den ihm folgenden Königswachen geschlossen, sagte Fawach: "Es wird kommen wie auf den Goldenen Feldern, Gefährte. Ich sehe den Tod."

"Damals hatten sie uns nur mit der Hilfe der Irimar schlagen können", gab der König darauf zurück und legte die Hand stolz auf Jochawams Schulter. "Und was haben wir jetzt zu fürchten? Die Irimar bleiben unseres Vertrages wegen dieses Jahr im Norden und ich habe inzwischen einen erwachsenen Sohn, der an meiner Seite kämpfen kann. Es muß der Tod der Garamar sein, den du siehst."

Jochawam hörte, daß diese Zuversicht nicht von allen Anwesenden geteilt wurde, aber er konnte die Gedanken, die er aufschnappte, niemandem sicher zuordnen. "Gibt es denn irgend welche Informationen über die Größe des Heeres, das Upatach nach Verr führt?" fragte er.

"Es ist kaum größer als das, mit dem die Garamar damals in die Schlacht auf den Goldenen Feldern gezogen sind", gab der alte Jochawam zurück. "Andernfalls wären die Nachrichten von diesem Heer schneller gereist als ihr Herold. Und falls sie doch stärker sind als damals, haben wir immer noch die Burg, um uns in Sicherheit zurückzuziehen. Hier kämpfen wir nicht fernab von jeder Rückzugsmöglichkeit."

"Dann ist es also entschieden", schloß der König daraus. "Das Heer wird mobilisiert. Morgen stellen wir uns Upatach zur Schlacht." Damit waren die Vorsteher entlassen, die nun genug zu tun hatten, alle Männer zusammenzurufen. Und auch der alte Jochawam schloß sich ihnen an.

Als die Türen des Audienzsaals wieder geschlossen waren, trat Fawach vor den König. "Bitte, Geliebter, laß es nicht zur Schlacht kommen", sagte er leise. "Es ist etwas an diesem Heer, dem unser Heer nicht standhalten wird. Es sind die Verrar, die ich auf dem Weg zu Groms Tafel sehe."

Der König gab Fawach einen zärtlichen Kuß. "Fürchte nichts, Geliebter. Ich werde die Schlacht nur wagen, wenn wir siegreich sein können. Und ich bin überzeugt, daß Upatach die Schlacht nicht annehmen wird, wenn er sieht, welche Macht wir aufbieten können."

*



Die Entscheidung des Königs sorgte für eine Wolke düsterer Emotionen über der Burg. Der Hass auf die Garamar bewegte die meisten, doch es gab auch Furcht, denn die Vorsteher hatten die erste Warnung Fawachs ebenfalls gehört und ihr Wissen sicher bereits hundertfach weitergegeben. Dazu kam der Lärm: berittene Boten brachen auf in die entfernteren Dörfer der Verrar, die Magazine der Waffenhöfe wurde geleert, überall hörte man das Klirren von Waffen und Rüstungsteilen, die vor der anstehenden Schlacht ein letztes Mal geprüft und gegebenenfalls repariert wurden. Irgendjemand hatte auch einen Diener beauftragt, Jochawams Rüstung und seinen Schild noch einmal zu polieren, sein Schwert und die Klinge seines Speers zu schleifen.

Awinna war sehr unglücklich. "Es ist also wahr", sagte sie traurig. "Ich hatte mich darauf gefreut..." Sie sprach nicht weiter, aber Jochawam sah in ihren Gedanken die Hoffnung auf eine ausgedehnte Liebesnacht.

Er schenkte ihr den Abend, aber für die Nacht zog er sich in seine Gemächer im Palast zurück, denn bei Sonnenaufgang sollte das Heer der Verrar ausrücken. Und als er vor der Nachtruhe hinausschaute auf die Ebene vor der Stadt, sah er die Feuer des feindlichen Heerlagers. Sehr groß schien es tatsächlich nicht zu sein, oder die Garamar lagerten enger zusammen, als man es gewöhnlich tat, um ihre wahre Anzahl zu verschleiern. Trotzdem würden sie die Heermacht der Verrar wohl nicht erwarten, da der König seit der Schlacht auf den Goldenen Feldern auch die geringsten waffenfähigen Bürger auf Staatskosten trainieren und mit Leinenpanzer, Helm und Waffen ausstatteten ließ, wenn sie dessen bedurften.

* * *



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