2. ...zu Groms Tafel

Text

von  Elisabeth

Der Kammerdiener weckte Jochawam, als noch die Sterne am Himmel standen. Er half seinem Herrn, den ehernen Brustpanzer zu schließen, den mit Bronze beschlagenen Panzerrock und die Beinschienen anzulegen und trug ihm den Helm mit dem rot-weißen Kammbusch bis in die Eingangshalle des Palastes hinterher. Dort lagen die Waffen des Königs und seiner Angehörigen bereit, und ein sehr verschlafen aussehender Buhachan stand dort im Untergewand.

Der Junge rieb sich die Augen, dann umarmte er Jochawam, Furcht und Stolz hielten sich in ihm die Waage. "Möge die Göttin über dich wachen, Bruder", flüsterte er, denn er wußte genau, daß er jetzt eher Grom anrufen sollte.

"Und über dich", antwortete Jochawam genauso leise. "Geh zurück ins Bett. Wenn du der Schlacht zusehen willst, warte bis zum Sonnenaufgang, vorher passiert sowieso nichts."

Buhachan nickte, wankte barfuß wieder zurück zum Flur in die Privatgemächer der Königsfamilie und lief fast dem König und Fawach in den Weg. "Möge Grom mit euch sein", wünschte er den beiden und salutierte.

Fawach folgte ihm. "Ich bringe dich zurück ins Bett", sagte er, nickte dann dem König kurz zu. "Ich komme gleich nach, Achawam. Noch bevor das Opfer an Grom vollzogen ist stehe ich an meinem Platz in der Phalanx."

Der König war erfüllt von gerechtem Zorn gegen die Garamar und der Geringschätzung ihrer Moral. Allein die zahlreichen Stimmen der auf den Goldenen Feldern Gefallenen würden Grom für diesen Kampf auf die Seite der Verrar ziehen. Aber soweit würde es gar nicht erst kommen, denn Upatach um-Anasku würde die Schlacht nicht wagen, wenn er sich dem gesamten Heer der Verrar gegenüber sah. Doch der König schwieg, als er den Schwertgurt umlegte, sich den Helm mit dem prächtigen roten Kammbusch auf das graue Haupt setzte, den Schild auf den Arm schob und zurecht rückte.

Jochawam beeilte sich, seinem Vater zu folgen, und ging dann die angemessenen zwei Schritt hinter dem König, der wie Grom persönlich schien, mit dem vergoldeten Schild, dem vergoldeten Brustpanzer und dem vergoldeten Speerschaft. Wenn erst die Sonne aufging, würde dieses Gold noch mehr glänzen, als es das jetzt schon im Schein der Feuerschalen und Fackeln tat, die den Weg zum Platz hinter dem Stadttor beleuchteten.

Es war wirklich das gesamte Heeraufgebot der Verrar hier versammelt, die Männer aus den umliegenden Dörfern, die Männer aus der Stadt, hier standen sie nun nach Haushalten, Familien, Stadtvierteln und Gemeinden geordnet, viele mit den drei Ähren der Verrar als Schildzeichen. Jochawam würde sich gleich links neben Kaharach einfinden, in der vordersten Reihe, rechts neben dem König und Fawach, am rechten Rand der Phalanx.

Er verschloß sich vor den Gedanken und Gefühlen um sich herum, stählte sich für die vielleicht doch bevorstehende Schlacht. Er erlaubte sich auch nur eine halbe Umarmung zur Begrüßung von Kaharach, die ein Abschied sein mochte, wenn Grom an einem von ihnen Gefallen fand und ihn zu sich holte.

Der König trat an den Altar, verneigte sich vor Groms Vorsteher, sprach die althergebrachten Gebete an den Gott, verfluchte die Feigen, lobte die Tapferen, die das Höchste wagten, und schlachtete das Lamm für Grom. Zwei Priester begutachteten im Schein der Fackeln den Fluß des Blutes und die Innereien des Tieres und versprachen den Verrar eine lange Friedenszeit nach diesem Tag, dann häuteten und entbeinten sie das Tier zügig und entzündeten auf dem Aschehaufen Knochen und Fell als Opfer für Grom.

Das Opfer an Grom war vollbracht, der König reihte sich in sein Heer ein, und Fawach stand nicht wie versprochen an seinem Platz in der Phalanx. Obwohl Jochawam versuchte, alle fremden Gedanken auszusperren, merkte er, daß sein Vater unruhig wurde, denn es war nicht Fawachs Art, seine Versprechen nicht einzuhalten. Und wenn der König nicht bei Morgengrauen das Stadttor öffnen ließ und das Heer des Gegners zur Schlacht herausforderte, würde Grom ihn seinen Zorn spüren lassen, dessen war sein Vater sicher. Prüfend sah Jochawam in den Himmel, im Osten begann es schon zu dämmern. Nicht lange und das Heer mußte ausrücken.

"Jochawam", flüsterte der König. "Schau wo Fawach bleibt und berichte mir schnell."

Jochawam nickte und lief so schnell er es in voller Rüstung vermochte, zurück, hinauf auf die Burg und in den Palast. Fawachs Waffen und sein Helm lagen noch immer an ihrem Platz. Jochawam legte Speer, Schild und Helm ab und lief zu den Räumen, die Buhachan und seine Mutter bewohnten. Fawach hatte den Jungen doch zu Bett bringen wollen.

Aber er traf nur die Frau des Königs an. Sie wußte zu berichten, daß Fawach mit dem Jungen hinausgehen wollte, um den Heeresaufmarsch von der Mauer der Burg aus zu betrachten. Wieso hatte er das getan? Der Junge hatte Sandalen getragen, einen Mantel. Das war der Mutter nicht seltsam vorgekommen, denn die Kühle der Nacht mochte dem Kind schaden. Doch auf der Mauer der Burg, neben den Feuerschalen, was brauchte Buhachan da einen Mantel?

Jochawam lief wieder hinaus, ließ Waffen und Helm wo sie waren, um schnell zu sein. Niemand hatte den Weg hinauf genommen, soviel war klar nach der Befragung des Wachmannes dort. Wohin konnten sie gegangen sein? Wollte Fawach den Knaben in Sicherheit bringen? Er hatte die Verrar tot gesehen, vielleicht wollte er so den jüngsten Sproß der königlichen Familie retten. Doch wenn sie nicht auf die Mauer gegangen waren, konnten sie überall in der Stadt sein – oder durch eines der kleineren Tore schon außerhalb, der Schwager des Königs hatte überall Befehlsgewalt.

Jochawam rüstete sich wieder, lief zurück. Inzwischen erreichten die Strahlen der Sonne schon die ersten Dächer, gleich mußte das Heer aufbrechen. Hoffentlich erreichte er den Platz rechtzeitig, um noch ein paar Worte mit dem König sprechen zu können, bevor er die Garamar herausforderte. Inzwischen waren schon die Fackeln und Feuer gelöscht und in den Gassen hing statt des Rauches der würzige Duft des in den Gärten blühenden Hopfens. Einige Männer waren bereits dabei, das Stadttor zu öffnen, aber der König entdeckte Jochawam und anstatt den Vormarsch zu befehlen winkte er seinen Sohn zu sich. "Wo ist Fawach?" wollte er wissen.

Jochawam rückte seinen Schild zurecht, faßte die Lanze weiter unten, erst dann antwortete er im Flüsterton: "Er hat mit Buhachan die Burg verlassen. Er ist irgendwo mit dem Knaben und ohne seine Waffen unterwegs. Ich denke, er will ihn in Sicherheit bringen."

Der König senkte den Blick, schloß für einen Moment die Augen, sackte tatsächlich ein Stück in sich zusammen, als setze sein Herz für einen Schlag aus, und die Verzweiflung des Königs bedrückte auch Jochawam. "Er will ihn den Garamar übergeben, um unser Ende zu verhindern", flüsterte er. "Er glaubt... er sah, daß unser Heer aufgerieben wird, wenn die Garamar die Schlacht annehmen. Die Mauern der Stadt werden geschleift und alle Bewohner getötet oder in die Sklaverei verkauft. Nur als Geisel in Garam könne Buhachan das überleben."

"Dann stell' dich den Garamar nicht zur Schlacht", flüsterte Jochawam zurück.

"Sohn, das geht nicht. Dann würde Grom uns unserer Feigheit wegen vernichten. Die Verrar sind starke Krieger, und wir müssen tun was wir können. Grom wird unser Schicksal ändern, wenn wir würdig sind, so können wir die Garamar schlagen." Er glaubte so fest daran, und Jochawam betete, daß er damit Recht hatte.

Dann zog der König den Helm über das Gesicht und hob den Speer, der Befehl zum Vormarsch.

*



Die Verrar marschierten bis in Sichtweite des Lagers der Garamar am gegenüberliegenden Rand der Ebene. Doch auch wenn einige Krieger der Garamar vor dem Lager standen, reagierte ihr Heerführer nicht auf die Herausforderung durch den König der Verrar. Also mußten sie wohl abwarten.

Doch da kam ein einzelner hellblonder Mann in silberner Rüstung und mit einem Heroldstab aus dem Lager - Fawach! Der König war hin und hergerissen zwischen der Liebe zu seinem Schwager und dem Zorn über dessen Verrat. Jochawam versuchte erfolglos, diese Gefühle und Gedanken auszusperren. "Warum kommt der Verräter zurück?" fragte sein Vater dann flüsternd, angesichts der kampfbereit aufgesetzten Helme, deren Polsterungen bei den Männern die Ohren bedeckten, erwartete er keine Antwort, doch die Worte begleitete ein so tiefer Schmerz, daß es Jochawam bestürzte.

Fawach beschleunigte seinen Schritt, als er die Zelte des feindlichen Lagers ein Stück hinter sich gelassen hatte, und plötzlich flog ein kurzer Wurfspeer aus dem Lager der Garamar auf ihn zu. Er ahnte den Weg der Waffe jedoch und wich ihr soweit aus, daß sie ihn nur an der Schulter streifte. Wie konnten die Garamar wagen, den Heroldstab zu mißachten? Durch das Heer der Verrar ging ein feindseliges Murmeln.

Fawach verfiel in einen raschen Laufschritt, der angesichts des Gewichtes seiner Rüstung beeindruckend war. Und die Blicke der immer unruhiger werdenden Verrar gingen zwischen dem verachtenswerten Verhalten der Garamar und der Reaktion ihres Königs hin und her. Doch der König zögerte.

Ein weiterer Wurfspeer traf Fawach am Bein und schlug im Vorbeiflug eine blutende Wunde, die ihn stark verlangsamte. "Sie haben lange Speere", rief Fawach. Das also war der Grund, warum sie der Untergang der Verrar sein würden. Wenn die Länge ihrer Speere ermöglichte, mit zwei oder gar drei Reihen der Phalanx gleichzeitig zuzustechen, konnten sich die Verrar dagegen kaum schützen. Wenn sie den Garamar nicht durch einen Sturmangriff die Initiative nahmen, war die Schlacht für die Verrar schon verloren bevor sie begann.

"Was hat er gesagt?" fragte der König, anscheinend hatte Jochawam eher den Gedanken Fawachs hinter seinem Ruf vernommen, als den Ruf selbst.

"Sie haben lange Speere", wiederholte Jochawam so laut, daß es alle Umstehenden hören mußten. Und dieser Satz wurde durch die Reihen weitergegeben.

Humpelnd näherte sich Fawach weiter, doch nun flogen zwei Wurfspeere gleichzeitig und trafen ihn im Rücken, drangen beide in seinen versilberten Bronzepanzer ein, und der Mann ging zu Boden.

Der König wurde kalkweiß. Sein Geliebter fiel dort, vor seinen Augen. Was konnte er tun? Die Garamar stellten sich nicht einmal zur Schlacht.

"Ich hole ihn", versprach Jochawam, winkte Kaharach mit ihm vorzulaufen, um Fawach in die eigenen Reihen zu retten, solange er noch zu retten war. Sein Onkel war schon in der Vergangenheit mühelos von schweren Verletzungen genesen, vielleicht waren auch die von diesen zwei Speeren gerissenen Wunden nicht tödlich.

Ein weiterer Speer wurde aus der inzwischen neun Mann starken Gruppe vor dem Heerlager der Garamar geworfen und traf den sich gerade aufrichtenden Fawach unterhalb des Brustpanzers in den Rücken. Dann hatten Kaharach und Jochawam ihn erreicht und trugen ihn unter Bedeckung ihrer Schilde aus der Reichweite der Wurfspeere neben die eigenen Reihen.

"Ihre Speere sind fast doppelt so lang wie unsere, mein Sohn", flüsterte Fawach fast unhörbar. "Achawam darf die Schlacht nicht wagen."

Wieso hast du Buhachan ausgeliefert, wollte Jochawam fragen, aber er kannte die Antwort schon. Das war die einzige Rettung für den Jungen gewesen. Doch anstatt dann zu fliehen, hatte Fawach als Herold für die Verrar spioniert. Kein Wunder, daß die Garamar seinen Status mißachteten, da er selbst nicht wie ein Herold gehandelt hatte.

Zwei Wurfspeere hatten sich auf dem Weg aus Fawachs Rücken gelöst, anscheinend hatten sie keine tiefen Wunden gerissen, doch der einer hatte den Panzer durchschlagen und seine komplette Spitze steckte in Fawachs Körper. Jochawam erkannte, daß sein Onkel starb.

Den Blick seiner grauen Augen in unbestimmte Fernen gerichtet, sah Fawach seiner Schwester Mesanna plötzlich trotz seines hellblonden Bartes so herzzerreißend ähnlich. Und dann kniete der König neben Fawach, bettete den Kopf seines Liebsten auf seinem Schoß. "Stirb nicht, Geliebter! Wie soll ich dann weiterleben?" klagte er unter Tränen. Und in den Gedanken, den Erinnerungen seines Vaters an die gemeinsame Vergangenheit mit Fawach sah Jochawam plötzlich, das Fawach in Wahrheit auch Mesanna war, die als Mann an der Seite ihres Gatten geblieben war, als der König alterte, doch sie – als Gesandte der Göttin – nicht.

"Wieso hast du das nur getan?" fragte der König.

Fawach-Mesanna schaute seinem König in die Augen. "Ihn konnte ich als einzigen retten. Das mußte ich tun. Verzeih mir, Geliebter. Und wage nicht...", seine Stimme erstarb. Fawachs Untergewand hatte sich inzwischen mit seinem Blut vollgesogen, von der Unterkante seines Panzers tropfte es und färbte die bloßen Beine des Königs rot.

'Wage nicht die Schlacht', hatte er noch sagen wollen, doch dafür reichte seine Kraft nicht mehr. Und auch seine geheimsten Gedanken hielt er jetzt nicht mehr unter Verschluß. Jochawam sah, wie Fawach als Mesanna ihren erstgeborenen Sohn in den Armen hielt, die auf ihn gerichtete, überfließende Liebe, die mit diesen Gedanken verbunden war, erfüllte ihn. Und in den Gedanken des Sterbenden verband sich die Liebe zu seinem Gatten und ihren Kindern mit der Liebe, die seine eigene göttergesandte Mutter ihm entgegengebracht hatte - Liebe die sich in einem seltsam geformten Feuer bündelte, das aussah wie eine geöffnete Blüte. So mußte der Lebensquell der Götter aussehen, von dem während des Geheimnisses erzählt wurde. Doch das Bild in Fawach-Mesannas Gedanken verblaßte und plötzlich war es, als habe sich eine undurchdringlicher Finsternis gebildet an der Stelle, an der Jochawam zuvor die tiefe Liebe wahrgenommen hatte.

Und er erinnerte sich an die letzten Worte in den Gedanken seiner Mutter: "Vater, wage die Schlacht gegen die Garamar nicht. Was uns von Grom droht kann nicht schlimmer sein als das, was die Garamar mit uns machen werden wenn sie siegen. Das war M... Fawachs Überzeugung."

"Wie kann ich vergessen, daß sie Fawach feige ermordet haben? Sie haben mir mein Herz herausgerissen. Wie soll ich so etwas verzeihen?" Er zog mühsam den Speer aus dem Rücken seines Geliebten, bettete ihn dann auf dem Rücken liegend, mit vor der Brust gekreuzten Armen und geschlossenen Augenlidern auf dem Gras der Ebene. Dann erhob er sich, ging die paar Schritt zu seinen Soldaten, die alles angesehen hatten, stellte sich in einiger Entfernung vor seinen eigenen Platz in der Reihe. Jochawam und Kaharach folgten ihm, doch reihten sich dann ein.

Jochawam konnte die Gedanken seines Vaters nicht verdrängen, der überlegte, was er seinen Männern sagen konnte. Wie beginne ich? 'Verrar, ihr habt gesehen, was sie mit meinem geliebten Schwager gemacht haben.' Oder soll ich sie auf die Gefahren hinweisen? 'Fawach sah, daß wir alle aufgerieben werden, doch ich muß es wagen, und sei es nur, um neben meinem Geliebten an Groms Tafel zu liegen.' Soll ich ihnen die Entscheidung überlassen, mit mir in den Tod zu gehen oder zu ihren Familien zurückzukehren?

Und nun stand beim gegnerischen Lager auch die Phalanx der Garamar, als warteten sie nur darauf, die Verrar aufzureiben mit ihren langen Speeren, deren Spitzen auffällig weit über den schwarzen Helmkämme blinkten. Kein Wunder, daß sie sich nicht zuvor aufgestellt hatten, denn das hätte ihr Geheimnis preisgegeben.

Jochawams Vater überlegte noch immer, doch in diesem Moment wurde ihm die Entscheidung aus den Händen genommen. Die Phalanx der Garamar stürmte auf sie zu. Sofort trat der König zurück in die Reihe und einer der Königswache rückte nach vorne auf Fawachs verwaisten Platz. Achawam um-Buhachu, König der Verrar und Herr von Verr, hob den Speer und gab den Angriffsbefehl. "Für Grom! Für Fawach!" rief er.

Und wie die anderen Männer, die seit dem Jünglingsalter gelernt hatten, den Mann links neben sich mit ihrem Schild zu schützen, damit der Mann rechts neben ihnen sie schützte, zog auch Jochawam seinen Schild nach vorne. Sie schlossen ihre Reihen und liefen den langen Speeren ihrer Gegner entgegen.


* * *
ENDE


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