Gedanken in der Vorweihnachtszeit

Anordnung

von  Quoth

Warum ich mich an Diskussionen über die Frage, ob Gott existiert, nicht beteilige: Weil sie sinnlos sind. Existiert Gott, sind sie sinnlos. Existiert er nicht, sind sie auch sinnlos. Beweisbar ist Beides nicht.

Die lange Hand von Per Olof Enquist um meine Hand sich schließen zu fühlen, war - schön.

Wenn Gott einen Sohn hatte, muss er ein Weib gehabt haben. So oder ähnlich hat Paracelsus es ausgedrückt.

Gewinnen Unwahrheiten an Würde und Wahrhaftigkeit, wenn sie lange für Wahrheiten gehalten werden? Für viele: Ja.

Ich hörte von einem Mädchen, dass es aus Schweden stamme. Da ich in Salka verliebt war, sah ich ihren ganzen Zauber in dieses riesige Land hinein, und noch als ich dreißig Jahre später zum ersten Mal nach Stockholm und Uppsala kam, lag über allem, was ich sah und erlebte, ein Hauch ihrer Anmut.

Warum ist damals die Schule nicht abgebrannt? Ich hätte Salka unter Einsatz meines Lebens aus den Flammen gerettet! Wie Holk die Schwedin Ebba in Fontanes „Unwiederbringlich“.

Meine Kinder werfen mir vor, sie hätten sich erst spät zu Partnerschaften durchringen können, weil die Ehe ihrer Eltern so kalt und unzärtlich war. Aber hätten sie uns eine Scheidung nicht erst recht vorgehalten?

Warum bringe ich mich in Diskussionen um Flüchtlinge und Asylanten nicht ein? Ich habe ihnen Deutschunterricht gegeben, habe viele liebenswerte Menschen unter ihnen kennengelernt, habe ihr Essen gegessen, habe unterm Tannenbaum die Weihnachtsgeschichte aus dem Koran vorgelesen und freue mich über die Friseurin, den Tankwart, den Hausmeister und den Fotografen, die aus ihnen wurden. Aber ich lebe auf dem Land und nicht in einem Stadtviertel, in dem es durch sie immer enger wird und in dem viele sich nur noch durch Dealen oder andere kriminelle Handlungen glauben durchbringen zu können.

Wer nie mit den Fäusten von außen auf geschlossene Fensterläden getrommelt und „Cosi fan tutte!“ gebrüllt hat, weiß nicht was Liebe ist.

Ich habe am Genfersee eine Hand geschüttelt, die auch schon die von Rilke, Hofmannsthal, Chaplin und Hitler geschüttelt hat. Sie ist längst so vermodert, wie auch meine bald vermodert sein wird.

Eine lesbische Frau zu lieben, ist ebenso schmerzhaft wie herrlich. Warum schmerzhaft, ist klar, aber warum herrlich: Es ist eine Liebe ohne Bewährungszwang.

Schon als Knaben plagte mich die Frage. zu welchen Verbrechen ich als Kaiser von Rom fähig gewesen wäre. Einerseits: zu allen! Andererseits hätte es mich auch in einen förmlichen Sittsamkeits- oder Gutmenschenrausch versetzt, keines zu begehen.

Warum mische ich mich in Streitigkeiten um den menschgengemachten Klimawandel nicht ein? Ist er nicht menschengemacht, kommt er trotzdem, und ist er menschengemacht, kommt er auch, denn wir klammern uns mit Klauen und Zähnen an das mühsam mit fossiler Kraft Errungene und Gewohnte und gehen freudig damit unter.

Mein Bruder ist begeistert vom Mechanismus von Antikythera. Für ihn beweist er, dass es seit der Antike, die alles vorwegnahm und -ahnte, nichts Neues gibt unter der Sonne. „Er war ein Altertümler, wie die meisten schleswigschen Pastoren,“ schreibt Fontane. Mein Bruder ist Physiker und Atheist, aber es wäre auch ein guter Pastor aus ihm geworden.

Ich liebe den Herrnhuter Stern, aber das ist auch das einzige, was ich von ihnen liebe. Ich war in Christiansfeld und habe ihren nach Geschlecht geteilten Friedhof gesehen. Doch, sie backen einen sehr guten Honigkuchen, den mag ich auch. Entdeckt habe ich die Siedlung ursprünglich deutscher Herrnhuter in Dänemark durch Per Olof Enquists lesenswerten Roman „Lewis Reise“.




Anmerkung von Quoth:

Dieses ganze Gutsein bringt mich um. Wenn ich mir verbiete, ein bisschen schlecht zu sein, wozu bin ich dann gut?
Jules Renard (1904)

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (18.12.23, 12:17)
Ein Hoch auf den Bruder!

Ob es hilft, eine Lesbierin zu lieben?

Zu Gott (ich kann's mir nicht verkneifen): Am Anfang sollte die Frage stehen, was mit dem Wort eigentlich gemeint ist. "Wann immer mir jemand von Gott spricht, weiß ich nicht, wovon er eigentlich redet." (Schopenhauer) Erst wenn man sich auf eine Definition geeinigt hat, kann man sich der Frage zuwenden, ob Aussagen über ihn beweisbar/widerlegbar sind oder nicht.

 Graeculus meinte dazu am 18.12.23 um 12:18:
P.S.: Die ganze Reihe von lockeren, aber nicht oberflächlichen Gedanken, die Du uns in letzter Zeit vorstellst, beeindruckt mich.

 Quoth antwortete darauf am 23.12.23 um 17:28:
Ja, es sind keine Aphorismen, weil sie nicht Recht haben und witzig sein wollen, sondern sich mit ihrem inneren Widerspruch begnügen. Freut mich, dass Du damit was anfangen kannst. 
Mit Gott ohne Artikel meinen wir wohl meistens den Schöpfergott der Bibel, den die Gnostiker als Demiurgen verachteten und dessen Notwendigkeit die meisten Physiker bestreiten. An seine Stelle tritt dann etwa ein kreatives Nichts ...  Dank für Empfehlung mit Kommentar.
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