Nachtrag zu den Gedanken in der Adventszeit

Anordnung

von  Quoth

Mein altes Blutdruckmessgerät hat mir wohl geschmeichelt und immer 15mm/Hg zu wenig angezeigt. Das neue enthüllt diesen Betrug. Ich beschließe, es seinerseits für fehlerhaft und schlecht geeicht zu halten.

Ich mag es nicht, wenn meine Partnerin im Spiel gegen mich verliert. Sie ist immer so ehrlich bemüht und tut mir dann wahnsinnig leid. Aber wenn sie gewinnt, sagt sie mir, was ich hätte anders machen müssen, um meinerseits zu gewinnen, und das empfinde ich als belehrend und ärgerlich.

Man mag die Bibel als Grundlage zweier Religionen noch so sehr verachten – als Literatur hat sie Bestand. Ob das auch für den Koran gilt, bezweifle ich.

Mit meiner Heimatstadt verbindet mich nur noch das dortige Grab meiner Eltern. Mein Bruder hat einen Gärtner mit seiner Pflege beauftragt, er schickt uns jährlich ein Foto.

Über den Vater einer früheren Freundin ist ein Wikipedia-Artikel erschienen. Plötzlich fällt ein kaltes Licht auf meine Erinnerung und ich erfahre Dinge, die ich gar nicht wissen will.

Was ist an der Aussage des Aristoteles, der Rauch steige nach oben, weil sein Ort oben ist, so falsch? Mir genügt das völlig.

Der alte Landarzt spricht: „Unten war ich immer oben und oben immer unten.“

Dass Kühe nicht nur Milch und Mist produzieren, sondern auch Methan-Pupse, hat uns die Klimakrise gelehrt. Trotzdem esse ich gern ein gutes Gulasch. Und im Sommer möchte ich grüne Wiesen mit schwarz- oder rotbunten Rindern nicht missen.

Gelegentlich erlaube ich mir einen Ausflug in die Himmelhölle des Dualismus, der ja unserer Sprache mit ihren vielen Gegensatzpaaren gleichsam eingelagert ist. Aber reumütig kehre ich immer in die Wirklichkeit zurück, in der alle Gegensätze verschmelzen. Ist nicht der Dumme oft genial, der Reiche eine arme Sau, der Blinde ein Seher, der Jugendliche senil und die Frau hat die Hosen an? Nein, es ist alles eins und auch Gutes und Böses strömen aus einer Quelle.




Anmerkung von Quoth:

Die Leute sind wirklich erstaunlich. Sie erwarten einfach, dass man sich für sie interessiert.
Jules Renard (1894)

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (06.12.23, 17:24)
Man mag die Bibel als Grundlage zweier Religionen noch so sehr verachten – als Literatur hat sie Bestand. Ob das auch für den Koran gilt, bezweifle ich.

Der Koran hat den literarischen Charme eines Strafgesetzbuches. Daß so viele Menschen gerade dies für das Wort Gottes halten, sagt einiges über die Menschen und wenig über Gott.

 AchterZwerg meinte dazu am 06.12.23 um 19:21:
Dem stimme ich voll umfänglich zu. Ein eher schlichtes Werk. Leider.
Dieter Wal (58) antwortete darauf am 07.12.23 um 16:36:
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 Graeculus schrieb daraufhin am 07.12.23 um 16:49:
Da ich das Arabische nicht beherrsche, kann ich über den Wohlklang nichts sagen. Allerdings bin ich nicht bereit, vom Inhalt abzusehen, und der besteht nun einmal aus nichts als Geboten und Verboten, aus Verheißung von Lohn und Drohung mit Strafe.
Anders steht es mit dem Neuen Testament, wo ich glaube, mir ein Urteil über die Sprache erlauben zu können. Ein Kindergriechisch im Vergleich mit den Klassikern, zu dessen Verteidigung man allenfalls sagen kann, daß es sich halt an einfache Leute wendet. Eine Plebejerreligion, wie Theodor Mommsen sagte.

 Quoth äußerte darauf am 07.12.23 um 18:08:
Und keine Professorenreligion - zum Glück nicht!

 Graeculus ergänzte dazu am 07.12.23 um 18:27:
Über eine solche Religion sagte Goethe einmal: "Gebildete Menschen haben alle dieselbe Religion." - "Und welche ist das?" - "Das sagen gebildete Menschen nicht."
Dieter Wal (58) meinte dazu am 07.12.23 um 18:56:
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 Graeculus meinte dazu am 07.12.23 um 22:21:
Da hatte ich etwas falsch in meinem Gedächtnis abgespeichert; dafür kann ich es Dir jetzt ganz korrekt wiedergeben:

Lord Shaftesbury sprach einmal mit einem Freunde über Relgion. Verschiedenheit der Meinungen, sagte er u.a. fände sich nur unter Menschen von mittelmäßigen Fähigkeiten und Kenntnissen; Leute von Geist hätten durchaus nur Eine Religion. - Und was ist das für eine, Mylord? fragte jemand. - Das sagen Leute von Geist nicht, war die Antwort. Goethe sagt:
Heil den unbekannten
Höhern Wesen,
Die wir ahnen.
Ihnen gleiche der Mensch;
Sein Beispiel lehr' uns
Jene glauben.

Quelle: Die Reden Gotamo Buddhos, übertragen von Karl Eugen Neumann. Mittlere Sammlung. Zürich/Wien 1956, S. 1121. Es handelt sich um eine Anmerkung Neumanns.

Also Lord Shaftesbury, aber Goethe kommt im Kontext vor - daher mein Irrtum.

 eiskimo (06.12.23, 18:04)
Witzig und hintersinnig zugleich. Gefällt mir sehr.
LG
Eiskimo

 Quoth meinte dazu am 07.12.23 um 18:18:
Auch Du hier - freut mich. Ich glaube, Renard war Dir auch noch nicht geläufig. Er ersetzt den meist belehren wollenden Aphorismus durch kleine Beobachtungen und Gedanken, aus denen der Leser seine Schlüsse ziehen kann. Gruß Quoth

 AchterZwerg (06.12.23, 19:23)
Hier entzückt die Zusammenwürfelung der Texteinheiten.
So ist es halt im Spiel! Und im Leben.

Man grüßt sich <3

 Quoth meinte dazu am 07.12.23 um 18:11:
Freu mich, dass es Dir gefällt. Gruß Quoth

 Pensionstarifklempner (06.12.23, 22:30)
Die Dialektik des Lebens trifft sich in jedem Widerspruchspaar. Es ist schön, wenn man gelegentlich den Kopf des Lebens krault. 
Ab 70 gehört man zur Generation der Rückblicker. 
Viel Spaß beim Formen der eigenen Vergangenheit.

 Quoth meinte dazu am 07.12.23 um 18:10:
Ja, die Dialektik, stimmt, die gehört mit ins Ganze. Danke für Empfehlung mit Kommentar!

 BeBa (16.01.24, 23:53)
Hallo Quoth,

deine Gedanken zur Adventszeit (schon vorbei, und mancher raunt "endlich") gefallen mir, weil sie keineswegs abgeschmückt werden müssen, wenn das neue Jahr gekommen ist.

Der Gedanke, den ich mehrmals gelesen habe, war:


Mit meiner Heimatstadt verbindet mich nur noch das dortige Grab meiner Eltern. Mein Bruder hat einen Gärtner mit seiner Pflege beauftragt, er schickt uns jährlich ein Foto.

Unglaublich, aber leider nur allzu oft wahr. 

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